Justizreform in Israel:Sogar aus der Armee kommt Widerstand

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Reservisten der Armee blockieren aus Protest gegen die geplante Justizreform im Februar eine Straße von Jerusalem nach Tel Aviv. (Foto: Ohad Zwigenberg/AP)

Cyberexperten, Piloten, Ärzte - in Israel protestieren jetzt auch Reservisten der Armee gegen den Umbau des Justizsystems. Premier Netanjahu gerät immer weiter in die Defensive.

Von Peter Münch, Tel Aviv

Und jetzt auch noch die Reservisten. Halb Israel, gefühlt zumindest, ist ohnehin schon auf den Straßen, um gegen den von der Regierung betriebenen Umbau der Justiz zu protestieren. Petitionen und öffentliche Aufrufe hagelt es von allen Seiten, es brodelt an den Universitäten, die Finanzexperten warnen, die Hightech-Branche zeigt Fluchtreflexe.

Doch nun hat die Welle noch einmal einen kräftigen Schub bekommen aus dem Allerheiligsten des israelischen Gemeinwesens: der Armee. Für Premierminister Benjamin Netanjahu ist das mehr als nur eine weitere Warnung. Für ihn bedeutet das Alarmstufe Rot.

"Bibi, du opferst den Staat Israel für deine eigenen Interessen."

Israels Armee ist der Stolz der ganzen Nation, der gemeinsame Nenner jenseits aller Differenzen. Bei obligatorischer Wehrpflicht für Männer und Frauen haben fast alle gedient und irgendwann mal Kinder in der Armee. Überparteilichkeit und strikte Zurückhaltung in politischen Streitfragen gehört da zu den obersten Geboten. Doch durch die sogenannte Justizreform, die von den Kritikern als Anschlag auf die israelische Demokratie gesehen wird, wird nun auch die Armee in den Strudel der internen Konflikte gezogen.

Begonnen hatte es vorige Woche mit der Drohung von 150 Cyberexperten, sie würden ihren Reservedienst nicht mehr ableisten, wenn der Staatsumbau nicht gestoppt werde. Inzwischen haben sich unter vielen anderen rund 200 Ärzte aus der militärischen Reserve angeschlossen. Schlagzeilen produzierte die konzertierte Weigerung von drei Dutzend Piloten einer Eliteeinheit, an einer Reserveübung teilzunehmen.

Es folgte ein offener Brief, in dem alle zehn noch lebenden ehemaligen Luftwaffenchefs vor den Folgen der Regierungspläne für die Sicherheit des Staates warnen.

Obendrein gab es noch einen persönlichen Hieb für den Premier durch ein Schreiben jener Soldaten aus der Eliteeinheit Sajeret Matkal, die 1976 bei der Geiselbefreiung von Entebbe zu Helden geworden waren. Auch Netanjahu hatte einst in dieser Einheit gedient, die Entebbe-Operation war von seinem Bruder Yoni geleitet worden, der dabei zu Tode kam. Er habe sich dort "bewusst und mit offenen Augen" für Israel geopfert, schreiben die alten Kameraden. "Es ist traurig, aber Du, Bibi, opferst bewusst und mit offenen Augen den Staat Israel für deine eigenen Interessen."

Das trifft ins Mark, und deutlicher lässt sich auch die Taktik von Netanjahu kaum konterkarieren, der die Demonstranten gern als "Anarchisten" schmäht und die Führer der Protestbewegung gerade erst wieder als "extremistische und gefährliche Gruppe" bezeichnet hat. In seiner Reaktion blieb dem Premier nichts anderes übrig, als die angedrohte Verweigerung von Reservediensten als "unakzeptabel" zu verdammen und vor einer "existenziellen Bedrohung" für Israel zu warnen.

Staatspräsident Herzog will einen Kompromiss vorschlagen

Doch es ist kaum zu erwarten, dass er damit die Welle stoppt. Für diesen Donnerstag hat die Protestbewegung wieder zu einem "Tag der Störung" aufgerufen, mit Demonstrationen und Aktionen des zivilen Ungehorsams. Straßenblockaden im ganzen Land sind zu erwarten - und besonders rund um den Flughafen Tel Aviv, von dem Netanjahu samt Gattin Sara an diesem Tag zu einem etwas eskapistisch anmutenden Besuch in Rom aufbrechen will.

Erklärtes Ziel der Protestierer ist es, diese Reisepläne zu torpedieren. Dabei war es schon schwer genug gewesen, überhaupt eine Crew zu finden, die den Premier samt seiner Delegation fliegen wollte. Freiwillig hatte sich dazu bei El Al zunächst niemand gemeldet.

Immer deutlicher wird, dass sich Netanjahu bei der sogenannten Justizreform in eine heikle Lage manövriert hat. Einen Ausweg könnte ihm womöglich Staatspräsident Isaac Herzog bieten, der für die kommenden Tage die Vorlage eines detaillierten Kompromissvorschlags angekündigt hat. Zum Dialog ist die Opposition jedoch nur unter der Bedingung bereit, dass der gesamte Gesetzgebungsprozess in dieser Frage gestoppt wird.

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Der Spielraum des Premiers wird jedoch eng begrenzt durchs eigene Lager. Justizminister Yariv Levin hat Berichten zufolge bereits mit Rücktritt gedroht, sollten seine Vorlagen verwässert werden. Auch bei den ultraorthodoxen und ultrarechten Partnern steht Netanjahu im Wort. Zudem hat er beim Umbau der Justiz ja auch noch eigene Interessen mit Blick auf den gegen ihn laufenden Korruptionsprozess.

Verfahren wirkt die Lage auch an anderen Fronten. Jenseits des brodelnden Protests im Inneren droht im palästinensischen Westjordanland eine Eskalation der Gewalt. Für Israels rechts-religiöse Koalition, die erst seit gut zwei Monaten regiert, ist das eine düstere Zwischenbilanz.

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