Jerusalem:Israels Regierung verschiebt umstrittene Justizreform

Jerusalem: Benjamin Netanjahu, Premierminister von Israel.

Benjamin Netanjahu, Premierminister von Israel.

(Foto: Ohad Zwigenberg/dpa)

Nach wochenlangen Protesten bestätigt Premier Netanjahu, das Projekt vorerst nicht umzusetzen. Er sagt, er wolle den Dialog mit der Opposition suchen. Doch die will sichergehen, dass nicht getrickst wird.

Nach massiven Protesten hat der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu einen vorübergehenden Stopp der umstrittenen Justizreform angekündigt. "Ich habe entschieden, die zweite und dritte Lesung in dieser Sitzungsperiode auszusetzen", sagte Netanjahu in Jerusalem. Das Gesetzesvorhaben wird damit frühestens Ende April im Parlament zur Abstimmung vorgelegt.

"Wir befinden uns mitten in einer Krise, die unsere essenzielle Einheit gefährdet", sagte Netanjahu. Er warnte vor einem Bürgerkrieg, zu dem es nicht kommen dürfe. "Alle müssten verantwortlich handeln", sagte er. Deshalb strecke er seine Hand zum Dialog aus. Er machte zugleich deutlich, dass er die Reform immer noch für richtig halte. Es sei eine Minderheit, die bereit sei, das Land zu entzweien. Das werde er nicht zulassen. Er ging dabei auch darauf ein, dass Bürger aus Protest den Dienst in der Armee verweigern.

Israels Polizeiminister Itamar Ben-Gvir hatte zuvor mitgeteilt, er habe sich auf eine Verschiebung mit Netanjahu verständigt. Im Gegenzug soll eine "Nationalgarde" unter der Führung des rechtsextremen Politikers eingerichtet werden. Was dies konkret bedeutet, war zunächst nicht klar. Medienberichten zufolge waren Ben-Gvir und Netanjahu zuvor zu einer Krisensitzung zusammengekommen, in der Ben-Gvir mit seinem Rücktritt gedroht haben soll, sollte Netanjahu nicht an den Reformplänen festhalten.

Zuvor waren landesweit erneut Massenproteste gegen den von der rechts-religiösen Regierung geplanten Umbau der Justiz sowie die Entlassung von Verteidigungsminister Joav Gallant ausgebrochen. Tausende Menschen versammelten sich mit israelischen Flaggen und Schildern vor dem Parlament in Jerusalem.

Israels Präsident Izchak Herzog begrüßte das vorübergehende Aussetzen der Reform. "Es ist richtig, die Gesetzgebung zu stoppen. Jetzt ist es an der Zeit, einen aufrichtigen, ernsthaften und verantwortungsvollen Dialog zu beginnen, der die Wogen dringend glätten und die Temperatur senken wird", teilte Herzog mit. Er rief alle Seiten zu einem "verantwortungsvollem Handeln" auf. "Wenn eine Seite gewinnt, wird der Staat verlieren. Wir müssen ein Volk und ein Staat bleiben - jüdisch und demokratisch."

"Wenn die Gesetzgebung wirklich und vollständig gestoppt wird, sind wir bereit, einen echten Dialog in der Residenz des Präsidenten zu beginnen", teilte Oppositionsführer Jair Lapid am Abend mit. Gleichwohl ließ er aber auch Zweifel an der Ernsthaftigkeit von Netanjahu durchblicken. "Wir haben in der Vergangenheit schlechte Erfahrungen gemacht, und deshalb werden wir zunächst sicherstellen, dass hier nicht getrickst oder geblufft wird."

Die Organisatoren der seit Wochen anhaltenden Demonstrationen kündigten an, die Proteste trotz der Verschiebung der Reform fortzusetzen. "Die Regierung hat Israel der Zerstörung nahe gebracht und sie droht immer noch, die Demokratie zu demontieren. Ein vorübergehendes Einfrieren reicht nicht aus und die nationalen Proteste werden sich weiter verschärfen, bis das Gesetz in der Knesset abgelehnt wird", hieß es in einer Mitteilung.

Die Gewerkschaft Histadrut sagte einen für Dienstag geplanten landesweiten Streik ab, der Medienberichten zufolge Institutionen von Häfen über Krankenhäuser bis zur Börse in Tel Aviv hätte umfassen sollen. Auch die USA und Großbritannien begrüßten in ersten Reaktionen die Verschiebung der Reform.

Nach der Ankündigung Netanjahus setzte sich der Protest landesweit fort. Am Montagabend gingen auch Unterstützer der Regierung und der Reform zu Hunderten auf die Straße. Medienberichten zufolge waren unter den Demonstranten auch mehrere Vertreter rechtsextremer Gruppierungen. Die Polizei wappnete sich für mögliche Zusammenstöße und Gewaltausbrüche zwischen den beiden Lagern.

Netanjahus Koalition will mit der Justizreform den Einfluss des Höchsten Gerichts beschneiden und die Machtposition der Regierung ausbauen. Die rechts-religiöse Koalition wirft dem Höchsten Gericht übermäßige Einmischung in politische Entscheidungen vor. Dem Parlament soll es den Plänen nach künftig etwa möglich sein, mit einfacher Mehrheit Entscheidungen des Gerichts aufzuheben. Zudem soll die Zusammensetzung des Gremiums zur Ernennung von Richtern geändert werden. Kritiker sehen die Gewaltenteilung in Gefahr.

Formell bereits beschlossen ist die "Lex Netanjahu", welche die Absetzung des Ministerpräsidenten erschwert. Dank dieses Gesetzes müsste Netanjahu nun selbst im Falle einer Verurteilung nicht als Regierungschef zurücktreten. Die Änderung gilt als persönlich auf Netanjahu zugeschnitten, der aktuell wegen Betrugs, Untreue und Bestechlichkeit angeklagt ist. Er hat die Vorwürfe stets zurückgewiesen und betont, die Pläne der Regierung hätten nichts mit seinem Prozess zu tun.

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