Krieg im Nahen Osten:Bibi stänkert gegen Biden

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Ein gemeinsames Feindbild für viele auf der Welt: brennende Plakate mit Porträts von Biden und Netanjahu im indischen Kalkutta. (Foto: Bikas Das/dpa)

Israels Premier wirft den USA vor, nicht genügend Waffen und Munition zu liefern. Dies ist falsch, aber Netanjahu handelt aus innenpolitischem Kalkül – und kann den Präsidenten nicht leiden.

Von Matthias Kolb

Seine Anhänger nennen Benjamin Netanjahu gern „den Zauberer“. Der Name spielt darauf an, dass es Israels Langzeit-Regierungschef immer wieder gelingt, sich an der Macht zu halten und Rivalen auszustechen. Seine Gegner, die seit Wochen zu Zehntausenden auf die Straßen gehen, werfen dem 74-Jährigen hingegen vor, die eigenen Interessen über die des Landes zu stellen. Er scheue vor unangenehmen Entscheidungen zurück, suche ständig die Konfrontation und schiebe anderen die Schuld zu.

Doch selbst für Netanjahus Standards war die jüngste Attacke auf US-Präsident Joe Biden bemerkenswert. Es sei „unvorstellbar“, dass die US-Regierung Israel „in den vergangenen Monaten Waffen und Munition vorenthalten“ habe, schimpfte Netanjahu vergangene Woche in einem 48-sekündigen Video. „Israel, der engste Verbündete Amerikas, kämpft um sein Leben, kämpft gegen Iran und unsere gemeinsamen Feinde“, sagte er und berichtete, US-Außenminister Antony Blinken habe versprochen, „die Engpässe zu beseitigen“.

In Washington nennen sie die Vorwürfe „komplett unwahr“

Dass Netanjahu seine Vorwürfe auf Englisch äußert, ist kein Zufall: Der Premierminister will größtmögliche Aufmerksamkeit. Der Clip endet mit einem abgewandelten Spruch von Netanjahus Helden Winston Churchill, der die USA 1941 um Waffen bat: „Gebt uns die Werkzeuge und wir werden den Job viel schneller erledigen.“ 

Das Video sollte zwei Botschaften aussenden. Natürlich könne Israel die Terrororganisation Hamas auch allein bezwingen, aber dass der von Netanjahu angekündigte „totale Sieg“ noch immer ausbleibt, liege an mangelnder Unterstützung. Es ist das von Netanjahus Rivalen oft unterstellte Motiv: Schuld sind immer andere.

Die Antworten aus Washington kamen sofort. John Kirby, Kommunikationschef des Nationalen Sicherheitsrats, nannte die Wortmeldung des Premiers „enttäuschend“ und so falsch, dass es schwer sei, „zu verstehen, was ihm dabei durch den Kopf ging“. Aus Wut sagten die Amerikaner ein hochrangiges bilaterales Gespräch in Washington über den Umgang mit Iran ab. Bei seinem Treffen mit Netanjahu habe Bidens Gesandter Amos Hochstein die öffentlichen Äußerungen als „unproduktiv“ und „komplett unwahr“ bezeichnet, so CNN. Der Sender erfuhr auch, dass der US-Botschafter in Israel Netanjahu detailliert darlegte, was Washington liefere.

Israels Premier überzeugte all dies nicht. Er konterte mit einer „Antwort an das Weiße Haus“ überschriebenen Mitteilung, wonach er bereit sei, „persönliche Angriffe auszuhalten, damit Israel die Waffen erhält, die es zum Überleben braucht“.

Biden und Netanjahu kennen sich seit 47 Jahren – und können sich nicht ausstehen

Der Streit zeigt, dass sich Netanjahu wie so oft sowohl an die israelische Öffentlichkeit als auch an ein amerikanisches Publikum wendet. Zu Hause will er sich als starker Regierungschef des kleinen Israel (9,5 Millionen Einwohner) präsentieren, der sich nicht den Anweisungen der Weltmacht USA (335 Millionen Einwohner) beugt. Einige israelische Analysten unterstellen Netanjahu, er wolle in den US-Präsidentschaftswahlkampf eingreifen und Donald Trump die Chance geben, den Demokraten Biden anzugreifen.

Netanjahu verfolgt die US-Innenpolitik genau und kennt viele Akteure: Joe Biden traf er das erste Mal vor 47 Jahren. Doch das Verhältnis zwischen den Duzfreunden Joe und Bibi ist seit Langem von Abneigung geprägt. Im Weißen Haus fürchtet man sich vor dem 24. Juli, wenn Netanjahu in Washington vor dem US-Kongress eine Rede hält: Er könnte sie zu weiteren Attacken nutzen. Der Israeli weiß, wie heikel die Lage für Biden ist: Während die Republikaner den Präsidenten dafür kritisieren, Israel nicht genug zu unterstützen, werfen ihm etwa linke Demokraten und Wähler unter 30 vor, zu wenig gegen das Leid der Zivilbevölkerung in Gaza zu tun.

Die USA haben Israel wiederholt öffentlich aufgefordert, in ihrem Krieg gegen die Hamas stärker auf Zivilisten zu achten. Die Lieferung von 2000-Pfund-Bomben wurde ausgesetzt, weil Washington Bedenken hat, dass sie in einem dicht besiedelten Gebieten wie Rafah eingesetzt werden könnten.

Laut Netanjahu nähert sich „die Phase schwerer Kämpfe“ in Gaza dem Ende

Andere Lieferungen von Waffen, Munition und Ersatzteilen gingen in der „normalen Geschwindigkeit“ weiter, betonen US-Vertreter etwa in der Times of Israel. Nach dem Überfall der Hamas am 7. Oktober, bei dem 1200 Israelis getötet und mehr als 240 Geiseln genommen wurden, waren die Verfahren beschleunigt worden. Zudem gaben kürzlich zwei wichtige Abgeordnete der Demokraten ihre Blockade gegen die Lieferung von 50 Kampfjets des Typs F-15 an Israel auf.

All dies hindert Israels Premier nicht, weiter seine Version zu verbreiten. Vor der Kabinettssitzung klagte er erneut über den „dramatischen Rückgang“ an Waffenlieferungen. Zu diesem Zeitpunkt war Verteidigungsminister Joav Gallant bereits auf dem Weg nach Washington, wo er unter anderem seinen Amtskollegen Lloyd Austin sowie CIA-Chef Bill Burns trifft.

Burns vermittelt für die USA mit Katar und Ägypten zwischen Israel und der Hamas. Netanjahu betonte in einem TV-Interview am Sonntagabend, es sei „die Hamas, die ein Abkommen ablehne, nicht Israel“. Er sei zu einer vorübergehenden Waffenruhe bereit, doch Israel werde „Gaza nicht verlassen, bis wir alle 120 unserer Geiseln, lebende und verstorbene, zurückgebracht haben“. Laut Netanjahu nähert sich „die Phase schwerer Kämpfe“ im Gazastreifen dem Ende. Die Armee werde einen Teil der Soldaten nach Norden verlegen. Von Libanon aus feuert die proiranische Hisbollah-Miliz Raketen ab. Für diese Konfrontation, die kurz vor der Eskalation steht, benötigt Israel ebenfalls Unterstützung: am besten aus Washington.

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