Israel:Jeder gegen jeden

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Netanjahu erscheint plötzlich als "Taube" inmitten von "Falken", weil er sich gegen einen Krieg in Gaza entschieden hat. Und weil das zersplitterte rechte Lager immer weiter nach rechts rutscht.

Von Alexandra Föderl-Schmid

Oft heißt es im Nahen Osten: Erwarte immer das Unerwartbare! Das gilt auch für die israelische Politik. Nach dem Rückzug von Verteidigungsminister Avigdor Lieberman und seiner Partei "Unser Haus Israel" steckt die Regierung in der Krise. Da die Koalitionspartner mit Ausnahme der Ultraorthodoxen Neuwahlen forderten, erschien es irrational, dass Premierminister Benjamin Netanjahu stur an diesem Fünf-Parteien-Bündnis festhielt.

Er übernahm das Verteidigungsministerium und demonstrierte damit Stärke. Netanjahu hatte sich von seinem Bildungsminister Naftali Bennett nicht erpressen lassen und ihm dieses Ressort nicht überantwortet. Obwohl Bennett gedroht hatte zurückzutreten, wenn seine Forderung nicht erfüllt wird, blieben er und seine Fraktion in der Koalition.

Und siehe da: Das Unerwartbare ist eingetreten.

Dem Chef der den Siedlern nahestehenden Partei "Jüdisches Heim" fehlte offenbar der Mut. Am Montag kündigten Bennett und Justizministerin Ajelet Schaked den Rückzug vom Rücktritt an. Die Chancen, dass die Koalitionsmehrheit auch bei einem Auflösungsantrag in der Knesset am Mittwoch hält, sind hoch.

Die erste Runde in diesem Politpoker ist damit klar an den Haudegen Netanjahu gegangen. Bennett steht als Feigling und Großmaul da. Netanjahu, der von Liebermans Rücktritt überrascht wurde, hat das Heft des Handelns wieder an sich gerissen - allerdings nur vorerst. Krieg und Frieden im ganzen Nahen Osten hängen davon ab, wer sich am Ende durchsetzt. Ironie der Geschichte: Netanjahu, der bislang als Scharfmacher galt, erscheint plötzlich als mäßigende Kraft in einem Land, in dem sogar die Opposition einen neuen Gaza-Krieg fordert. Die israelische Koalition ist fragil, jeder der Partner kann jederzeit aussteigen. Damit bleibt Erpressungspotenzial. Netanjahu hat jedoch Zeit gewonnen. Das Land ist und bleibt im Wahlkampf. Es wird eine lange, zähe und schmutzige Auseinandersetzung werden: jeder gegen jeden im zersplitterten rechten Lager. Die kleineren Parteien wollen von der augenblicklichen Schwäche Netanjahus und seines Likud profitieren, um ihren Stimmenanteil und damit ihr Gewicht in einer künftigen Regierung zu erhöhen.

Spätestens im November 2019 müssen ohnehin Wahlen stattfinden, aber für Netanjahu ist ein späterer Termin aus eigennützigen Motiven von Vorteil. Im ersten Quartal soll entschieden werden, ob Netanjahu wegen Korruption angeklagt wird. Seine Frau Sara steht derzeit wegen Essensbestellungen auf Staatskosten in Höhe von rund 100 000 Euro vor Gericht. Je weiter die Gerichtsentscheidungen entfernt sind, so Netanjahus Kalkül, desto mehr geraten sie in Vergessenheit.

Netanjahu hofft auch, dass ihm seine Gaza-Politik hilft. Er setzte eigenmächtig einen Waffenstillstand mit der Hamas durch, nachdem ihm vier Minister - darunter Lieberman und Bennett - die Gefolgschaft verweigert hatten. Netanjahu hat richtig gehandelt, auch im Einklang mit der Militärführung. Da in den vergangenen Wochen erhebliche Fortschritte für ein Abkommen mit der Hamas unter Vermittlung Ägyptens und der Uno erzielt wurden, wäre es töricht gewesen, jetzt einen Krieg auszurufen - zumal die jüngste Eskalation durch eine missglückte Militäroperation der Israelis im Gazastreifen ausgelöst worden war.

Auch die Hamas ist an einer Verbesserung der Situation im Gazastreifen interessiert. Nach elf Jahren ihrer Herrschaft leidet die Bevölkerung mehr denn je und macht die Regierenden dafür verantwortlich. Außerdem gibt es mit dem Islamischen Dschihad und anderen militanten Gruppierungen noch weitaus radikalere Islamisten im Gazastreifen, mit denen Verhandlungen nicht einfacher werden würden. Und militärisch, so ist die israelische Armeeführung überzeugt, lässt sich dieser Konflikt nicht gewinnen, jedenfalls nicht mit Luftschlägen. Israel müsste mit Bodentruppen im Gazastreifen einmarschieren, wovor sowohl die Streitkräfte als auch Netanjahu zurückschrecken.

Netanjahu wird von Lieberman, Bennett und Teilen der Bevölkerung als Schwächling angesehen, weil er sich diesmal nicht für Krieg entschieden hat. Der Premierminister erscheint im israelischen Kontext derzeit als "Taube" inmitten von "Falken". Aber auch er wird sich im Wahlkampf stärker rechts positionieren, so wie er es in der Vergangenheit vor Urnengängen getan hat. Damit ist eine noch größere Polarisierung in Israel zu erwarten. Die Gesellschaft ist ohnehin schon gespalten, "Linke" und "Medien" werden offen als Feindbilder genannt.

Es ist auch nicht auszuschließen, dass es doch noch zu einem Militäreinsatz im Gazastreifen kommt, sollten die Verhandlungen scheitern. Dann könnte sich Netanjahu erst recht als starker Mann profilieren, er ist jetzt oberster Chef der Armee. Aber auch eine Aktion in Syrien, in Libanon und vor allem gegen Iran ist möglich. Im Nahen Osten muss man mit allem rechnen - erst recht in Wahlkampfzeiten.

© SZ vom 20.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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