Israel hat kurz vor der US-Präsidentenwahl zum Vergeltungsschlag auf Iran ausgeholt. Man nehme „als Reaktion auf die seit Monaten andauernden Angriffe des iranischen Regimes“ auf Israel präzise Angriffe auf militärische Ziele in Iran vor, teilte das Militär in der Nacht mit. Nach etwa fünf Stunden mehrerer Angriffswellen erklärte die israelische Armee den Schlag am Samstagmorgen für beendet. Die „Mission“ der Operation unter dem Namen „Tage der Umkehr“ sei erfüllt.
Am Sonntag nannte Netanjahu den Angriff „präzise und mächtig“. Er habe „alle seine Ziele erreicht“, sagte der Regierungschef bei einer Gedenkveranstaltung auf dem Herzlberg in Jerusalem für die Opfer des Hamas-Massakers am 7. Oktober 2023. Israel befinde sich in einem existenziellen Kampf gegen die „Achse des Bösen“ unter Führung Irans.
Wie wird Iran jetzt reagieren? Nach Angaben des Außenministeriums habe das Land das Recht und die Verpflichtung, sich gegen Aggressionen von Außen zu verteidigen. Der israelische Angriff sei ein Verstoß gegen das Völkerrecht. Die Nachrichtenagentur Tasnim zitierte zudem eine anonyme Quelle aus der Staatsmacht mit den Worten: „Es besteht kein Zweifel daran, dass Israel auf jede Aktion eine angemessene Antwort erhalten wird.“ Tasnim gilt als Sprachrohr der Revolutionsgarden, Irans Elitestreitmacht.
Israels Luftangriff erfolgte über eine Distanz von etwa 1500 Kilometern. Es ist der erste bekannte groß angelegte Angriff einer fremden Macht in Iran seit dem ersten Golfkrieg zwischen der Islamischen Republik und dem Irak in den 1980er-Jahren.
Laut dem israelischen Militär griffen Kampfflugzeuge Anlagen zur Herstellung von Raketen an. Auch Boden-Luft-Raketenstellungen sowie weitere iranische Luftabwehrsysteme seien attackiert worden. Hunderte Kampfflugzeuge und Flugkörper waren laut israelischen Medien beteiligt. Es seien etwa 20 Ziele in Iran bombardiert worden. Iranische Medien berichteten von Explosionen im Raum der Hauptstadt Teheran, in der 15 bis 20 Millionen Menschen leben. Am frühen Samstagmorgen waren auch Explosionen im Stadtzentrum zu hören und Feuer der Luftabwehr zu sehen.
Chronologie:Israel und Iran - Geschichte eines Konflikts
Israels Angriff auf Iran ist das jüngste Kapitel einer langen Feindschaft. Ein Überblick über entscheidende Ereignisse der vergangenen Jahrzehnte.
Laut Netanjahu habe die Luftwaffe „die Verteidigungsfähigkeit Irans schwer beschädigt, ebenso wie ihre Fähigkeit, Raketen herzustellen, die gegen uns gerichtet sind.“
Unklar war, welche Ziele genau getroffen wurden. Irans Staatsmedien spielten den Angriff zunächst herunter, israelische Kampfflugzeuge seien nicht in den eigenen Luftraum eingedrungen. Der Schaden sei minimal, hieß es. Später berichtete die staatliche Nachrichtenagentur Irna, vier iranische Soldaten seien bei den Angriffen getötet worden.
Israel macht Drohung wahr
Israels Gegenschlag erfolgte in Reaktion auf die jüngste iranische Raketenattacke. Am 1. Oktober hatten die Revolutionsgarden, Irans Elitestreitmacht, rund 200 ballistische Raketen auf Israel abgefeuert. Der Angriff erfolgte nach einer Reihe von gezielten Tötungen durch Israel, die sich gegen zentrale Akteure in Irans Netzwerk nichtstaatlicher Verbündeter wie der libanesischen Hisbollah-Miliz und der islamistischen Hamas richteten. Israel hatte daraufhin Vergeltung angekündigt.
Israels Armee teilte in der Nacht zum Samstag mit, dass Generalstabschef Herzi Halevi den Angriff von der unterirdischen Kommandozentrale der Luftwaffe aus dem Militärhauptquartier in Tel Aviv leite – zusammen mit dem Kommandeur der israelischen Luftwaffe, Tomer Bar.
Israels Kabinett hatte den Vergeltungsschlag örtlichen Medienberichten zufolge kurz vor dem Angriff autorisiert. Eine entsprechende Telefonkonferenz mit Netanjahu und Verteidigungsminister Joav Gallant habe am Freitagabend stattgefunden, berichtete die Zeitung Haaretz. Die Minister seien in den vergangenen Tagen über den Rahmen des offensichtlichen Angriffsplans informiert worden, hieß es.
Nach Beginn des Angriffs hielt Netanjahu nach Angaben seines Büros eine Lageberatung im Militärhauptquartier in Tel Aviv ab. An dem Treffen im unterirdischen Kommandozentrum der israelischen Luftwaffe seien auch Generalstabschef Halevi, Verteidigungsminister Gallant sowie die Chefs der Geheimdienste Mossad und Schin Bet beteiligt gewesen.
Ein israelischer Beamter erklärte dem US-Sender NBC News, Israel greife keine Atomanlagen oder Ölfelder in Iran an. „Wir zielen auf Dinge, die uns in der Vergangenheit bedroht haben oder in der Zukunft bedrohen könnten“, sagte er. Laut dem israelischen Militär handelt es sich um „präzise Angriffe auf militärische Ziele in Iran“.
Laut US-Medien waren die amerikanischen Streitkräfte in der Region nicht an dem Angriff beteiligt. Israel habe seinen wichtigsten Verbündeten USA jedoch vorab informiert, meldeten US-Medien. US-Präsident Joe Biden wurde von seinem Sicherheitsberater-Team über die Angriffe Israels auf Iran unterrichtet. Biden verfolge die Situation weiter, berichteten mit Biden mitreisende Journalisten. Netanjahu dankte allerdings am Sonntagmorgen den USA für „die enge Abstimmung und Unterstützung“.
Iran arbeitet an mehreren Angriffsszenarien
Irans Revolutionsgarden hatten in den vergangenen Tagen immer wieder betont, entschieden auf einen Angriff reagieren zu wollen. Die Islamische Republik Iran behalte sich das Recht auf eine angemessene Reaktion zu einem geeigneten Zeitpunkt vor, erklärte der Generalstab der Streitkräfte. In der Mitteilung betonte Irans Militär zudem die Notwendigkeit eines dauerhaften Waffenstillstands in Gaza und im Libanon, „um das Töten schutzloser und unterdrückter Menschen zu verhindern“.
Israels Armeesprecher Daniel Hagari warnte Iran nach Ende des Schlags vor weiterer Eskalation. „Sollte das Regime in Iran den Fehler begehen, eine neue Eskalationsrunde einzuleiten, sind wir verpflichtet, darauf zu reagieren“, sagte Hagari.
Iran:Die ewige Drohung
Durch die jüngsten israelischen Erfolge fühlt sich Iran bedrängt, sein Einfluss im Nahen Osten steht auf dem Spiel. Erste Abgeordnete im Teheraner Parlament fordern jetzt offen den Bau von Atomwaffen – könnte das Mullah-Regime so weit gehen?
Irans Religionsführer Ajatollah Ali Chamenei hat am Sonntagmorgen allerdings ein überlegtes Vorgehen angemahnt. „Wie die Kraft und der Wille des iranischen Volkes dem zionistischen Regime (Israel) verdeutlicht werden sollen, müssen die Verantwortlichen entscheiden“, sagte der 85-Jährige laut der Staatsagentur Irna bei einer Veranstaltung in Teheran. „Es soll das getan werden, was dem Wohl dieses Volkes und Landes entspricht“, fügte er hinzu.
Chameneis Worte nach dem israelischen Luftangriff fallen vergleichsweise moderat aus. Im Kontext des Nahost-Konflikts und nach der Tötung iranischer Generäle oder führender Verbündeter hatte das Staatsoberhaupt in den vergangenen Monaten auch Rache geschworen. Seine Äußerungen gelten als letztes Wort, an dem sich sowohl Regierung als auch Militär orientieren.
Irans Militär arbeitete laut einem Medienbericht aber bereits an mehreren Angriffsszenarien. Sollte Israel massiv angreifen und beispielsweise auch die Öl- und Nuklearanlagen des Landes ins Visier nehmen, werde die Reaktion heftig ausfallen, berichtete die The New York Times unter Berufung auf vier iranische Beamte, darunter zwei Mitglieder der Revolutionsgarden.
„Wie jedes andere souveräne Land der Welt hat der Staat Israel das Recht und die Pflicht zu reagieren“, erklärte das israelische Militär am Samstagmorgen. Israel werde es Iran nicht erlauben, „sich weiter hinter seinen Stellvertretern zu verstecken“, schrieb Israels UN-Botschafter Danny Danon auf der Plattform X. Israel habe der internationalen Gemeinschaft gegenüber immer wieder deutlich gemacht, „dass wir alle uns zur Verfügung stehenden Mittel einsetzen werden, um die Bürger Israels zu schützen“, schrieb Danon weiter.
Seit Beginn des Gaza-Kriegs vor mehr als einem Jahr kommt es immer wieder zu Angriffen der sogenannten „Widerstandsachse“ von Verbündeten Irans auf Israel. Dazu gehören neben der Hisbollah in Libanon und der Hamas im Gazastreifen auch Milizen im Irak sowie die Huthi-Rebellen in Jemen.