Nahost-Konflikt:Die geschwächte Hisbollah zeigt sich kompromissbereit

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Beirut am vergangenen Sonntag: Zwei Frauen suchen Schutz, nachdem ein Gebäude in der Nähe beschossen wurde. (Foto: Adnan Abidi/REUTERS)

Die Chancen auf einen Waffenstillstand zwischen Israel und der Terrorgrupppe in Libanon wachsen. Doch aus Sicht von Premier Netanjahu spricht einiges dafür, eine Einigung hinauszuzögern.

Von Peter Münch, Tel Aviv

Noch sieht es nicht nach Frieden aus, im Gegenteil: In Beirut schlagen israelische Raketen ein, in Südlibanon rücken israelische Bodentruppen weiter vor, und in Israel selbst künden die Sirenen von libanesischem Beschuss bis hin nach Tel Aviv. Der Krieg wird noch mit aller Kraft geführt – doch zugleich verdichten sich die Hinweise, dass Israel und die libanesische Hisbollah auf einen Waffenstillstand zusteuern. Zumindest eine der beiden israelischen Fronten könnte damit beruhigt werden. Doch für die andere Front im Süden, für den Krieg um Gaza, würde ein Ende der Kämpfe im Norden wohl nichts Gutes bedeuten.

Seit dem 7. Oktober 2023 besteht – zumindest aus Sicht von Israels Feinden – eine direkte Verbindung zwischen den beiden Fronten. Einen Tag nach dem Terrorüberfall der Hamas begann die Hisbollah aus „Solidarität“ mit den Palästinensern mit ihrem Raketenfeuer auf Israel. Rund 60 000 Israelis aus dem Grenzgebiet mussten deshalb in Sicherheit gebracht werden und warten bis heute auf ihre Rückkehr. Nun scheint die Zeit dafür näherzurücken.

Die Hoffnungen auf einen Waffenstillstand bekamen am Dienstag neue Nahrung durch die Ankunft des amerikanischen Sondergesandten Amos Hochstein in Beirut. Er traf dort mit dem Parlamentspräsidenten Nabih Berri zusammen, der als Verbündeter der Hisbollah gilt. Ein Berater Berris hatte zuvor der Nachrichtenagentur Reuters gesteckt, dass die libanesische Regierung sowie die Hisbollah einem US-Vorschlag für eine Feuerpause „mit einigen Anmerkungen“ zugestimmt hätten. Hochstein erklärte, es gebe jetzt „eine wirkliche Gelegenheit, diesen Konflikt zu einem Ende zu bringen“.

Grundlage ist eine UN-Resolution, die schon 2006 verabschiedet wurde

Berichten zufolge setzt der US-Entwurf zunächst auf eine 60-tägige Waffenruhe. Im Zentrum einer längerfristigen Lösung steht die schon 2006 nach dem vorigen Libanon-Krieg verabschiedete UN-Resolution 1701, die aus israelischer Sicht zu einer Vereinbarung „1701 Plus“ umgestaltet werden soll. Gemäß der alten Vorgabe soll sich die Hisbollah auf eine 30 Kilometer von der Grenze entfernte Linie hinter dem Litani-Fluss zurückziehen. Dabei will Israel sich aber künftig das Recht vorbehalten, bei Verstößen sofort militärisch einzugreifen.

Israel ist derzeit in einer guten Verhandlungsposition, die Hisbollah dagegen ist durch den Kriegsverlauf arg in der Defensive. Ein Großteil der alten Führungsriege um Hassan Nasrallah wurde in den vergangenen Wochen bei gezielten Angriffen getötet. Bei der seit Anfang Oktober laufenden Bodenoffensive haben die israelischen Truppen den Armeeberichten zufolge die ersten fünf Kilometer jenseits der Grenze unter Kontrolle gebracht und rücken nun in einer zweiten Phase weiter vor. Israelischen Angaben zufolge wurden zudem bereits 80 Prozent des Waffenarsenals der Hisbollah zerstört.

Überprüfen lässt sich das nicht, aber die Lage des engsten Verbündeten löst offenkundig auch in Teheran große Sorgen aus. Dort will man vermeiden, dass die libanesische Speerspitze im Kampf gegen Israel in diesem Konflikt komplett zerrieben wird. Auch aus Iran kommen deshalb Signale in Richtung eines baldigen Waffenstillstands.

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Der Blick geht in Richtung USA

Israel allerdings könnte aus zwei Gründen versucht sein, eine Lösung noch für eine Weile hinauszuzögern. Zum einen könnten so dem längst geschwächten Feind noch weitere Schläge zugefügt werden. Zum anderen geht der Blick in Richtung USA: Käme ein Waffenstillstand jetzt zustande, würde sich noch die alte Regierung von Präsident Joe Biden mit dem Erfolg brüsten. Zu einem späteren Zeitpunkt, der näher am Washingtoner Machtwechsel am 20. Januar liegt, ließe sich ein Friedensschluss mit der Hisbollah dagegen von Israels Regierung als Morgengabe an den neuen Präsidenten Donald Trump inszenieren.

Grundsätzlich aber bringt ein Ende des Kriegs im Norden auch für Israels Premierminister Benjamin Netanjahu nur Vorteile: Er kann sein Versprechen einlösen, die 60 000 Vertriebenen wieder heimzuführen. Er kann die Armee entlasten, die derzeit unter hohem Einsatz von Reservisten an zwei Fronten kämpfen muss. Und er muss bei einem Libanon-Abkommen keinen Ärger innerhalb der eigenen Koalition fürchten – ganz im Gegensatz zum Krieg um Gaza.

Dort erscheint ein baldiges Ende der blutigen Kämpfe allein deshalb illusorisch, weil jedes dazu geschlossene Abkommen zu einem Bruch der Regierung führen könnte. Die rechtsextremen Kräfte in der Koalition lehnen jeden Kompromiss mit der Hamas zu einem Waffenstillstand und zur Freilassung der israelischen Geiseln kategorisch ab. Netanjahu führt diesen Krieg deshalb auch zum Zwecke des eigenen Machterhalts, und er führt ihn ohne Ausstiegsszenario. Als Ziel proklamiert er den „totalen Sieg“. Das ist so dehnbar, dass ein Krieg ohne Ende droht – und ein Waffenstillstand im Norden mit der Hisbollah würde dafür langfristig die militärischen Kräfte sichern.

Seit Anfang Oktober wird im Norden Gazas wieder heftig gekämpft

Beim Blick auf das Kriegsgeschehen in Gaza erhärtet sich zunehmend der Verdacht, dass Israel zumindest im nördlichen Teil des palästinensischen Küstenstreifens eine längere, wenn nicht dauerhafte Besatzung vorbereitet. Seit Anfang Oktober wird dort wieder heftig gekämpft. Die Bevölkerung wurde aufgerufen, sich in Richtung Süden in Sicherheit zu bringen. Hilfslieferungen wurden dabei so massiv eingeschränkt, dass die UN und Hilfsorganisationen vor einer Hungersnot und apokalyptischen Zuständen warnen.

Vor allem aber deuten massive Baumaßnahmen darauf hin, dass sich die Armee auf eine lange Präsenz dort vorbereitet. Einem detaillierten Bericht der Zeitung Haaretz zufolge werden nicht nur systematisch palästinensische Wohngebiete zerstört. Errichtet wird auch militärische Infrastruktur von Straßen über Wasserleitungen bis hin zu Mobilfunkmasten. Bejubelt wird das von radikalen israelischen Siedlern, die längst schon eine Rückkehr nach Gaza propagieren.

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