Nahost:Die Angst vor einem Flächenbrand wächst

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Angehörige der Opfer des Raketenangriffs der Hisbollah an einem Sarg der zwölf Opfer während der Trauerfeier in der drusischen Stadt Madschdal Schams. (Foto: Jalaa Marey/AFP)

Israel macht die Terrormiliz Hisbollah für einen tödlichen Raketenangriff auf einen Sportplatz auf den Golanhöhen verantwortlich. In Libanon kommt es bereits zu Vergeltungsschlägen. UN und EU warnen, eine Eskalation könnte die Region in eine Katastrophe stürzen.

Von Markus C. Schulte von Drach

Nach dem tödlichen Raketenangriff auf einen Sportplatz auf den von Israel annektierten Golanhöhen hat die israelische Luftwaffe mehrere Ziele in Libanon angegriffen. Israel macht die schiitische Terrormiliz Hisbollah in Libanon für die Attacke in der überwiegend von Drusen bewohnten Kleinstadt Madschdal Schams verantwortlich, bei der am Samstagabend zwölf Kinder und Jugendliche ums Leben kamen. Damit wächst die Angst, dass sich die Gefechte in der Region zu einem Flächenbrand ausweiten könnten. Vertreter der Vereinten Nationen und der Europäischen Union riefen sowohl Israel als auch die Hisbollah deshalb zur „größtmöglichen Zurückhaltung“ auf.

Bereits am Sonntag fand unter großer Anteilnahme der Bevölkerung die Beerdigung statt. Es war die tödlichste Attacke auf ein Gebiet, das unter israelischer Kontrolle steht, seit dem 7. Oktober. Ein Sprecher des israelischen Außenministeriums bezeichnete den Vorfall vom Samstag als „Massaker“.

Diese Aufnahme entstand nach dem Raketeneinschlag auf dem Sportplatz in Madschdal Schams. (Foto: Hassan Shams/dpa)

„Wer eine solche Rakete auf ein Wohngebiet schießt, will Zivilisten töten, will Kinder töten.“

Israels Generalstabschef Herzi Halevi zufolge wurde die verwendete Waffe als Falak 1 identifiziert, „eine iranische Rakete, und die Hisbollah ist die einzige Terrororganisation, die diese in ihrem Arsenal hat“. Das würde den Angaben der Hisbollah widersprechen, die die Verantwortung für den Angriff weit von sich gewiesen hat. „Wer eine solche Rakete auf ein Wohngebiet schießt, will Zivilisten töten, will Kinder töten“, sagte Halevi. Armeesprecher Daniel Hagari erklärte: „Die Hisbollah steckt hinter dieser Katastrophe und muss die Konsequenzen tragen.“ Auch die US-Regierung macht die Hisbollah verantwortlich. „Dieser Angriff wurde von der libanesischen Hisbollah verübt. Es war eine Rakete der Hisbollah, die aus einem von ihr kontrollierten Gebiet abgefeuert wurde“, teilte die Sprecherin des Nationalen Sicherheitsrats der USA, Adrienne Watson, mit.

Plattform X

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Israels Präsident Isaak Herzog schrieb auf der Plattform X: „Die Terroristen der Hisbollah haben heute Kinder brutal angegriffen und ermordet, deren einziges Verbrechen darin bestand, Fußball zu spielen.“ Die Rakete könnte allerdings auch auf ein militärisches Ziel abgefeuert worden sein und dieses verfehlt haben, berichtet die Nachrichtenagentur dpa unter Berufung auf Experten.

Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hatte der Hisbollah nach dem Angriff auf den Golanhöhen umgehend mit Vergeltung gedroht. Wie israelische Medien berichten, kündigte er an, die Miliz würde einen hohen Preis bezahlen, wie sie ihn bislang noch nicht bezahlt habe.

Diese Vergeltung hat bereits in der Nacht auf Sonntag begonnen mit Angriffen israelischer Kampfflugzeuge und Drohnen auf Waffenlager und andere von der Hisbollah genutzte Infrastruktur in Libanon. Dabei wurden mehrere Menschen verletzt; nahe der Stadt Tyros an der Küste im Süden des Landes sowie bei Baalbek und in Taraja seien Gebäude beschädigt worden, meldete die staatliche Nachrichtenagentur NNA. Angaben über Tote gab es zunächst nicht. Die Ziele liegen weit jenseits der Grenze zu Israel. Libanesischen Medien zufolge hat die Hisbollah in Erwartung israelischer Angriffe im Süden der Hauptstadt Beirut etwa hundert Posten geräumt.

Ein israelischer Hubschrauber über Madschdal Schams in den israelisch besetzten Golanhöhen. (Foto: Ayal Margolin/DPA)

Netanjahu kehrt vorzeitig aus den USA zurück

Das weitere Vorgehen Israels ist noch unklar. Regierungschef Netanjahu hat seine Abreise aus den USA, wo er US-Präsident Joe Biden, Vizepräsidentin Kamala Harris und den Präsidentschaftskandidaten der Republikaner Donald Trump getroffen hat, vorgezogen und berief in Israel das Sicherheitskabinett ein, berichtet die Times of Israel. Verteidigungsminister Joav Gallant zufolge liegen bereits „mehrere Optionen für Operationen gegen die Hisbollah“ vor.

Der Sprecher des israelischen Außenministeriums, Oren Marmorstein, sagte der dpa zufolge, es gebe nur eine Möglichkeit, einen umfassenden Krieg zu verhindern, „der auch für Libanon verheerend wäre“: Die Hisbollah müsse gezwungen werden, sich hinter den Litani zurückzuziehen, wie es eine UN-Resolution vorsieht. Der Fluss liegt im Süden und Südosten Libanons, etwa 30 Kilometer hinter der Grenze zu Israel. Es sei die „allerletzte Minute“, dies noch diplomatisch zu tun, sagte Marmorstein.

Der Chef der UN-Friedenstruppe in Libanon (Unifil), Generalmajor Aroldo Lázaro, sowie die Sonderkoordinatorin für das Land, Jeanine Hennis-Plasschaert, warnten, die Kämpfe könnten die gesamte Region in eine „unvorstellbare Katastrophe stürzen“. Josep Borrell, Außenbeauftragter der Europäischen Union, forderte auf X alle Seiten auf, jegliche Eskalation zu vermeiden. US-Außenminister Antony Blinken versicherte Israel, das Land habe jedes Recht, seine Bürger vor Terrorangriffen zu schützen. Deutschlands Außenministerin Annalena Baerbock erklärte, es gelte jetzt, „mit kühlem Verstand zu agieren“.

Seit dem Beginn des Gaza-Krieges nach dem Massaker der palästinensischen Terrororganisation Hamas am 7. Oktober 2023 kommt es zwischen der israelischen Armee und der Hisbollah in Libanon immer wieder zu Gefechten. Die Terrororganisation in Libanon demonstriert mit den Angriffen ihre Solidarität mit der Hamas in Gaza. Bislang hatten beide Seiten jedoch versucht, den Konflikt nicht zu einem Krieg eskalieren zu lassen. Angesichts der zunehmenden Zahl ziviler Opfer ist fraglich, ob dies weiterhin gelingen wird.

Zuletzt war es zwischen Israel und Hisbollah 2006 zum offenen Krieg gekommen, bei dem fast 120 israelische Soldaten und mehr als 40 Zivilisten getötet wurden. Auf libanesischer Seite lag die Zahl der Opfer bei etwa 1200.

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