In der Nacht zum Donnerstag traf es ein Krankenhaus der Hisbollah im Zentrum von Beirut, der Knall war in der ganzen Stadt zu hören. Das Gebäude des „Islamischen Gesundheitsausschusses“ liegt nur wenige Hundert Meter vom Parlament des Landes und vom Sitz des Ministerpräsidenten entfernt. Die Angriffe haben damit das Zentrum Beiruts erreicht, die israelische Armee sprach davon, eine Kommandozentrale der Hisbollah ins Visier genommen zu haben. Die libanesischen Gesundheitsbehörden, die nicht von der Hisbollah kontrolliert werden, teilten mit, dass bei dem Angriff mindestens neun Mitarbeiter des Gesundheitszentrums ums Leben gekommen seien.
Josep Borrell, der Außenbeauftragte der Europäischen Union, sprach von einer „Verletzung des Völkerrechts“. Das Rote Kreuz meldete wenig später vier verletzte Sanitäter, die im Süden des Landes den Opfern eines israelischen Angriffes helfen wollten. Auch ein Soldat der libanesischen Armee kam ums Leben, obwohl sich die Streitkräfte gar nicht am Konflikt zwischen der Hisbollah und Israel beteiligen und sich aus weiten Teilen des Landes zurückgezogen haben.
Seit zwei Wochen geht Israel massiv gegen die Hisbollah vor, ließ Tausende Pager ihrer Mitglieder explodieren, verstärkte ihre Luftangriffe und tötete am vergangenen Freitag Hassan Nasrallah, den Führer der Terrorgruppe. Wenig später kamen die ersten israelischen Bodentruppen über die Grenze, für eine „begrenzte, lokalisierte und gezielte“ Aktion. So teilte es das israelische Militär anfangs mit. Daraus sind in wenigen Tagen nun die – sieht man von Gaza ab – intensivsten Luftangriffe aller Konflikte und Kriege der vergangenen zwanzig Jahre geworden, so hat es die britische Konfliktbeobachtungsorganisation Airwars errechnet.
Krieg in Nahost:USA stocken Militärpräsenz auf
Seit dem 7. Oktober hat die US-Regierung ohnehin schon mehr Soldaten in den Nahen Osten geschickt. Nach dem iranischen Angriff auf Israel wird nun auch in der Luft und zur See weiter aufgerüstet.
Etwa 4000 Ziele hat die israelische Luftwaffe in den vergangenen Tagen getroffen, etwa eine Million Menschen sind auf der Flucht, ein Fünftel der Bevölkerung Libanons. Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu spricht mittlerweile nicht mehr von einer begrenzten Operation im Nachbarland, von dem aus die Hisbollah seit dem 8. Oktober 2023 etwa 1700 Raketen auf Israel abgefeuert, 30 Menschen getötet und 60 000 zum Verlassen ihrer Häuser gezwungen hatte. Deren Rückkehr gab Netanjahu noch vor wenigen Tagen als Ziel aus, mittlerweile spricht er aber davon, die Hisbollah ganz „besiegen“ zu wollen. Bereits Ende vergangenen Jahres hatte er damit gedroht, „Beirut und den Süden Libanons in den Gazastreifen zu verwandeln“.
In Gaza kämpft Israel nun seit fast einem Jahr, mehr als 40 000 Menschen sind getötet worden, darunter viele Frauen und Kinder, ein Sieg gegen die Hamas ist in weiter Ferne. Die Hisbollah ist nach Ansicht vieler Experten aus militärischer Sicht ein viel stärkerer Gegner. Sie gründete sich, nachdem Israel bereits 1978 und 1982 ins Nachbarland Libanon einmarschiert war, damals, um die PLO zu vertreiben. Die nächste Invasion kam 2006 und dauerte 34 Tage. Seitdem bereiten sich beide Seiten auf den nächsten Krieg vor.
Fast ein Jahr lang beschossen sich Israel und die Hisbollah gegenseitig mit Raketen, eine Ausweitung des Konfliktes schien aber lange unwahrscheinlich angesichts des riesigen Waffenarsenals der Hisbollah: bis zu 150 000 Raketen und Projektile, die selbst Tel Aviv erreichen können. Nachdem es Israel aber gelungen war, mit den Pagern erst einen engen Kreis von Hisbollah-Mitgliedern zu verletzen und schließlich mit Drohnen- und Luftangriffen fast die gesamte militärische Führung zu töten, scheint die Hisbollah gerade viel schwächer als gedacht. US-amerikanische und israelische Geheimdienstler wollen herausgefunden haben, dass in den vergangenen Woche die Hälfte des Hisbollah-Arsenals zerstört worden sei.
Ein vollständiger Sieg über die Hisbollah, wie es Netanjahu vorschwebt, wäre für Israel aber wohl nur schwer umzusetzen. Die Hisbollah hat ihre Waffen im ganzen Land verteilt, viele Raketen sind im Norden stationiert, in der Bekaa-Ebene, die für israelische Bodentruppen nicht so einfach zu erreichen ist. In den Bergen im Süden hat sich die Hisbollah mit Tunneln in die Felsen eingegraben, die durch Luftschläge nicht so einfach zu zerstören sind. In der Luft hat Israel zwar eine totale Überlegenheit, am Boden würde Netanjahus Armee von der Hisbollah bei einem Großeinmarsch aber ein verlustreicher Guerillakrieg aufgezwungen werden. Das israelische Militär bestätigte bereits den Tod von acht Soldaten.
Die Hisbollah verfügt wahrscheinlich über 30 000 Kämpfer und 20 000 Reservisten, viele von ihnen sind anders als die Hamas kriegserfahren, haben in Syrien an der Seite von Baschar al-Assad gekämpft. Die Gruppe verfügt nach Ansicht vieler Analysten über präzisionsgelenkte Raketen, manche davon mit Sprengköpfen von 500 Kilogramm Gewicht und einer Zielgenauigkeit von zehn bis 50 Metern, die mehr als 100 Kilometer weiter fliegen könnten. Noch sind sie nicht benutzt worden, womöglich, weil die Paten der Hisbollah in Teheran noch hoffen, eine weitere Eskalation mit Israel zu vermeiden.
Zweimal schon musste Israel sich aus Libanon zurückziehen, ohne seine Ziele erreicht zu haben. Und wie auch in Gaza gibt es bisher zwar viele militärische Ziele, die durch den Krieg erreicht werden sollen – aber kein Szenario für danach.
Angesichts der schweren Kämpfe haben viele Länder begonnen, ihre Staatsangehörigen in Sicherheit zu bringen, Spanien, Griechenland, Zypern und Großbritannien bringen bereits ihre Staatsbürger mit Flugzeugen und Schiffen außer Landes. Deutschland hat Botschaftspersonal ausgeflogen und Staatsbürger, die medizinische Hilfe brauchen, aber noch keine Evakuierung begonnen. Die libanesische Regierung forderte die internationale Gemeinschaft auf, mehr Hilfe ins Land zu bringen, es fehle überall am Nötigsten. „Es ist ein Wettlauf mit der Zeit, um die Flüchtlinge unterzubringen“, sagte das Kabinettsmitglied Nasser Yassin.