Süddeutsche Zeitung

Israel:Hilfe, die niemand will

Mit Geldern der deutschen Entwicklungszusammenarbeit soll im Westjordanland das Müllproblem gelöst werden. Das Projekt eint Juden und Palästinenser - im Widerstand.

Von Peter Münch, Ramun

Schwarze Schwaden steigen auf, ein beißender Geruch liegt in der Luft. Wer durchs palästinensische Westjordanland fährt, sieht überall brennende Müllcontainer und schwelende Abfallhaufen. Am Straßenrand liegen aufgeplatzte Müllsäcke, deren Inhalt der Wind verteilt, und auf den steinigen Feldern scheinen vor allem Plastikflaschen und Blechdosen zu wachsen. "Wir haben ein großes Problem mit dem Abfall", sagt Husain Abuoun, "alles wird ohne Rücksicht auf die Umwelt einfach verbrannt oder auf wilden Kippen abgelagert." Abuoun ist der Mann, der das Müllproblem der Palästinenser lösen soll - mit deutscher Hilfe.

In der Wüste sollen die Abfälle von 320000 Menschen gesammelt werden

Als Direktor eines eigens dafür gegründeten Abfallverbands ist er zuständig für den Bau einer neuen Mülldeponie, die 17 Kilometer von Ramallah entfernt nahe der Ortschaft Ramun entstehen soll. Hier in die judäische Wüste sollen die Abfälle von 320 000 Menschen aus Ramallah und Umgebung gebracht werden. 350 Tonnen fallen täglich an, 20 Jahre lang soll die Deponie in Betrieb sein. Wenn sie denn überhaupt in Betrieb geht. Aus dem Etat der Entwicklungshilfe hat die deutsche Bundesregierung die Finanzierung der Deponie zugesagt. 14 Millionen Euro liegen dafür bei der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) bereit. Doch nach langen Jahren der Vorbereitung kommt das Projekt nicht vom Fleck. Der Widerstand wächst auf allen Seiten, und die Deutschen müssen erleben, wie man im Nahen Osten zwischen alle Fronten geraten kann, wenn man eigentlich nur dringend nötige Hilfe leisten will. Der Tag des Schocks kam in diesem Sommer. Abuoun hat die Fotos davon, was an jenem 9. August passierte, auf seinem Computer gespeichert: Lastwagen mit eingeschlagenen Scheiben sind da zu sehen, Bilder von aufgebrachten Menschen. Er war mit seinen Leuten nach Ramun gekommen, um erste Probebohrungen durchzuführen auf dem künftigen Deponiegelände. Doch bevor sie anfangen konnten, erschienen schon die Demonstranten. "Erst waren nur die Leute aus Ramun da", sagt Abuoun, "später kamen noch die Siedler aus Rimonim dazu." Die Stimmung war aggressiv, am Ende mussten die angerückten palästinensischen Polizisten sogar in die Luft feuern, damit Abuoun und sein Trupp unversehrt und unverrichteter Dinge den Rückzug antreten konnten.

Eine seltsame Allianz hat sich da formiert aus Palästinensern und jüdischen Siedlern, die Front machen gegen das deutsche Projekt. Um Licht in dieses Dickicht rund um die Deponieplanung zu bringen, muss man zunächst einiges über die komplizierte Realität in den von Israel besetzten Palästinensergebieten wissen: Das Westjordanland ist unterteilt in sogenannte A-, B- und C-Gebiete. In den A-Arealen, die vor allem die großen Städte wie Ramallah umfassen, hat die Palästinensische Autonomiebehörde das Sagen. Im B-Gebiet gibt es geteilte Zuständigkeiten zwischen Israelis und Palästinensern. Die C-Gebiete unterstehen zivil und militärisch allein der israelischen Kontrolle. Sie machen 60 Prozent der Fläche des Westjordanlands aus, hier liegen die jüdischen Siedlungen - und auch das geplante Deponiegelände nahe Ramun befindet sich im C-Gebiet. Dies hat zur Folge, dass die israelische Zivilverwaltung im Westjordanland die Genehmigung erteilen muss für die Deponie, die die Deutschen für die Palästinenser bauen wollen.

Oft sind solche Verfahren ein zäher Prozess, ein Machtspiel der Besatzer, und auch in diesem Fall zog es sich über Jahre hin. "Von Anfang an haben die Israelis Druck ausgeübt, damit die Deutschen auch die Siedlungen in das Projekt einbeziehen", berichtet Abuoun. Dies aber ist, bei aller Freundschaft zu Israel, unmöglich für die Bundesregierung. Schließlich gelten die Siedlungen auch in Berlin als völkerrechtswidrig. Es würde also den eigenen Standpunkt pervertieren, wenn die Siedler in den Genuss der für Palästinenser gedachten Entwicklungshilfe kämen.

Nach zähem Ringen hat es am Ende dann doch die israelische Genehmigung gegeben. Mit den palästinensischen Behörden wurde daraufhin das Deponie-Projekt vertraglich fest vereinbart. Doch dann trat Mosche Eyal auf den Plan, zusammen mit dem Anwalt Tomer Israel. Die beiden kämpfen gegen das Ramun-Projekt im Namen der israelischen Organisation "Green Now", die sich ihrer Webseite zufolge dem Umweltschutz in "Judäa und Samaria" verpflichtet fühlt. Dies sind die biblischen Namen, die in Siedlerkreisen für das Westjordanland benutzt werden. "Wir kümmern uns um die Gebiete, weil sonst keiner da ist", sagt Eyal. "Umwelt kennt keine Grenzen." Den Deutschen wirft Eyal eine "Politisierung" des Deponie-Projekts vor. "Warum sonst werden die Juden anders behandelt als die Araber", sagt er. "Das ist doch eine furchtbare Ideologie und es klingt nicht gut, wenn es aus Deutschland kommt." Auch er plädiert mit diesem Verweis auf die Historie dafür, die Deponie in Ramun für die Siedler zu öffnen.

Offizieller Angriffspunkt für Green Now gegen das Projekt ist jedoch die Umweltgefährdung, vor allem eine mögliche Grundwasserverschmutzung. Deutsche Einwände, dass die Deponie inklusive der Abdichtungen nach dem neuesten Stand der Technik errichtet werde, lassen Mosche Eyal und der Anwalt Tomer Israel nicht gelten. Sie wettern gegen eine vermeintlich unzeitgemäße Anlage, vergleichen die Müllkippe "mit einer Straße, die nur für Kutschen tauglich ist" - und bieten den Deutschen Hilfe an. Wenn erst einmal die Unterscheidung zwischen dem Palästinenser-Müll und dem Siedler-Müll gefallen sei, so argumentiert Eyal, sei auch der Weg frei für "moderne Systeme" der Abfallbeseitigung. "Wir Juden wissen, wie man das macht", erklärt er, "die Araber sind da hundert Jahre zurück."

Beim Obersten Gericht in Israel hat Green Now eine Klage eingereicht, um den Deponiebau in Ramun zu verhindern. Unterstützung erhofft sich Green Now außerdem von der Regierung in Jerusalem, die seit der vergangenen Wahl kräftig nach rechts gerückt ist. Als Umweltminister amtiert nun der Likud-Politiker Zeev Elkin, der selber in einer Siedlung lebt. "Er ist ein guter Minister", sagt Anwalt Israel, "und er hat gesagt, dass eine Deponie in Ramun nur die letzte Option sein soll."

Wenn es weder mit den Richtern noch mit der Regierung klappt, dann gibt es überdies ja auch noch einen weiteren Verbündeten im Kampf gegen die deutsche Deponie: die Palästinenser aus Ramun. "Natürlich sitzen wir zusammen und sprechen uns ab", sagt Tomer Israel. Denn auch die Dorfbewohner haben sich an das Oberste Gericht gewandt, sie klagen gegen drohende Enteignungen. 75 Prozent des geplanten Deponie-Geländes sind in Privatbesitz, und kaum einer will verkaufen. "Wir haben unsere Wurzeln hier und unsere Geschichte", sagt Rabah Odeh, Sprecher der Grundbesitzer von Ramun. "Wir brauchen kein Geld, wir brauchen nur unser Land." Die Anführer des palästinensischen Widerstands gegen die Deponie sitzen in einem zugigen Gemeindesaal im Untergeschoss der mächtigen Moschee des 3000 Einwohner zählenden Ortes. Odeh raucht Kette, der Vize-Bürgermeister Saher Hashem schweigt eisern, und der Anwalt Tomer Cohen hält ausführliche Plädoyers. Den israelisch klingenden Namen verdankt er seiner Herkunft aus der kleinen Religionsgruppe der Samaritaner. Er ist auch der Verbindungsmann zu Green Now.

Im zuständigen Ministerium wächst die Ratlosigkeit. Zwei Millionen Euro sind investiert

Die Anwohner von Ramun, das wird schnell klar, fühlen sich erdrückt vom Müll aus der großen Stadt, der bei ihnen abgelagert werden soll. "Wir sind nicht gegen eine Deponie", sagt Odeh. "Wir sind nur gegen diesen Platz, denn das wird unser Dorf zerstören." Den Deutschen empfiehlt er, einen anderen Ort zu suchen - ansonsten drohe großer Ärger: "Wir werden unser Land mit unseren Körpern verteidigen."

So dröhnt aus den Palästinensergebieten das Pathos, aus Israel droht Widerstand - und im zuständigen Berliner Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung wächst die Ratlosigkeit. Rund zwei Millionen Euro sind schon in das Projekt investiert worden, das direkt vor Ort keiner haben will. "Die Deponie würde die zunehmend kritische Lage der Abfallentsorgung Palästinas verbessern und damit Gesundheitsrisiken für die Bevölkerung reduzieren", erklärt ein Ministeriumssprecher - und betont, "die Bundesregierung erwartet die Einhaltung der von israelischer und palästinensischer Seite gemachten Zusagen." Man gehe "von einem baldigen Start des Projekts aus".

Das jedoch ist kaum zu erwarten. In seinem Jerusalemer Büro zeigt Tomer Israel, der Anwalt von Green Now, ein frisch eingetroffenes Schreiben vom Obersten Gericht. Im Mai 2017 sei eine Anhörung zum Fall Ramun angesetzt, erklärt er. "Bis dahin darf dort gar nichts passieren", sagt er, "das ist schon mal ein Erfolg."

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.3268923
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 28.11.2016
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.