Ein halber Frieden ist gewiss besser als ein doppelter Krieg. Aber gewonnen ist damit noch nicht allzu viel, und Ruhe kehrt noch längst nicht ein. Nach dem Waffenstillstand zwischen Israel und der Hisbollah in Libanon wächst deshalb der Druck auf alle Beteiligten, nun endlich auch an der anderen Font in Gaza zügig zu einer diplomatischen Lösung zu kommen. Aus den USA mischen dabei gleich zwei Präsidenten kräftig mit: der Amtsinhaber Joe Biden und sein gewählter Nachfolger Donald Trump. Hoffnungen werden genährt von den Vermittlern aus Ägypten, Katar sowie neuerdings noch der Türkei. Sogar die Kontrahenten Israel und Hamas verbreiten verhaltenen Optimismus. Konkrete Fortschritte allerdings stehen noch aus.
Ausgelöst wird die neue Aufbruchstimmung durch gleich mehrere Signale, die vom Libanon-Abkommen Ende November gesendet wurden. Biden packte das in die prägnante Botschaft „Frieden ist möglich“ – und er versprach, sich nun mit seiner ganzen verbliebenen Kraft für einen Gaza-Deal einzusetzen, der 14 Monate nach dem Hamas-Überfall auf Israel die Waffen zum Schweigen bringen und die israelischen Geiseln heimholen soll.
Vorausgesetzt wird dabei, dass die Hamas inzwischen zu mehr Flexibilität in den Verhandlungen gezwungen sein könnte. Zum einen ist Mr. No nicht mehr im Spiel. Jahia Sinwar, den hartleibigen Anführer der Terrormiliz, hatte Israels Militär schon Mitte Oktober bei einem Angriff getötet. Zum anderen hat der Ausstieg der Hisbollah aus dem Zweifrontenkrieg gegen Israel die Palästinenser allein auf dem Schlachtfeld zurückgelassen. Ihre Einsicht in die eigene Isolation, so wird gehofft, könnte friedensfördernd sein.
Dies auszutesten, liegt derzeit vor allem in den Händen Ägyptens. Berichten zufolge soll sich in den vergangenen Tagen eine Hamas-Delegation im Hauptquartier des Geheimdienstes in Kairo zu Verhandlungen eingefunden haben. Als Ergebnis liegt laut israelischen Medien nun ein neuer Vermittlungsvorschlag vor, der im ersten Schritt – ähnlich wie in Sachen Libanon – eine 60-tägige Waffenruhe vorsieht. In dieser Zeit könnten erste israelische Geiseln gegen palästinensische Häftlinge ausgetauscht werden. Ein kompletter israelischer Rückzug und ein Kriegsende, wie es die Hamas bislang immer zur Bedingung für jeden Verhandlungsfortschritt gemacht hatte, wird in dieser „Test-Periode“ nicht mehr gefordert.
Israels Verteidigungsminister spricht von „Chance“
Eilige Meldungen, dass eine hochrangige israelische Delegation bereits diese Woche nach Kairo reisen könnte, wurden zwar umgehend dementiert. Aber frischen Optimismus verbreitet auch die Regierung in Jerusalem. Verteidigungsminister Israel Katz nannte beim Besuch eines Luftwaffenstützpunkts die Geiselbefreiung „heute das Wichtigste im Krieg“ und sprach von einer „Chance, dass wir dieses Mal wirklich einen Deal voranbringen“.
Entscheidend wird sein, ob Premierminister Benjamin Netanjahu dabei dem Druck seiner rechtsextremen Koalitionspartner standhalten oder ausweichen kann. Die drohen für den Fall eines Abkommens mit dem Auszug aus der Regierung und propagieren längst schon ganz andere Pläne für Gaza: die dauerhafte Besetzung zumindest des nördlichen Küstenstreifens und den Bau neuer Siedlungen.
Druck auf Netanjahu könnte jedoch sehr schnell auch von anderer Seite kommen: aus Washington vom designierten Präsidenten. Trump hat sich in den vergangenen Tagen mit einer klaren Ansage positioniert. Bis zum 20. Januar, dem Tag seiner Amtsübernahme, müssten alle Geiseln frei sein. Sonst, so droht er, werde „die Hölle losbrechen“ im Nahen Osten. Mitte der Woche ernannte er dann einen eigenen Sondergesandten für die Geiselfrage. Vorgestellt wurde Adam Boehler von ihm als einer, der schon „mit den härtesten Typen der Welt, darunter den Taliban“, verhandelt habe.
Keine Koordination in Washington
Koordiniert wirkt die Washingtoner Doppelzange aus alter und neuer Administration nicht. Aber den Familien der Geiseln ist jede Aktivität von außen willkommen. Sie wissen, dass die Zeit drängt. Erst am Mittwoch wurde wieder einer der Entführten von der Armee tot geborgen und nach Israel gebracht. Von den hundert nun noch in Gaza verbliebenen Geiseln sind nach Einschätzung der Sicherheitskräfte nur noch höchstens die Hälfte am Leben.
Die Angehörigen kämpfen deshalb einen zunehmend verzweifelten Kampf. Ausdruck davon ist auch ein mittels KI erstelltes Fake-Video, das Jair Netanjahu, den 33-jährigen Sohn des Premiers, in einem vermeintlichen Hamas-Tunnel zeigt. Er warnt darin vor israelischen Bombardements, die sein Leben gefährden würden. Er bettelt für seine Freilassung und wendet sich flehentlich an Vater und Mutter. Im Abspann wird der Regierungschef in die Pflicht genommen: „Wenn sein Kind entführt worden wäre, wären unsere Kinder längst schon wieder zu Hause.“