Naher Osten:Erleichterung und Entsetzen

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Or Levy nach seiner Freilassung aus der Geiselhaft mit seiner Familie im Sheba Medical Center. (Foto: IMAGO/ISRAEL GPO/IMAGO/UPI Photo)

In Israel mischt sich die Freude über die Freilassung dreier weiterer Geiseln der terroristischen Hamas mit dem Schock über den schlechten Zustand der drei Männer. Sie mussten offenbar über längere Zeit hungern.

Nach der Freilassung weiterer Geiseln aus der Hand der palästinensischen Terrorgruppe Hamas im Gazastreifen hat sich das israelische Militär am Sonntag der Hamas zufolge aus dem sogenannten Netzarim-Korridor zurückgezogen. Dieser strategisch wichtige Abschnitt teilt den Gazastreifen in einen Nord- und einen Südteil. Der Abzug, der zu den Vereinbarungen des Waffenstillstands gehört, ermöglicht es, dass mehr Flüchtlinge als bisher aus dem Süden in ihre weitgehend zerstörten Wohnorte im Norden zurückkehren.

Über den Zustand der drei Geiseln, die Samstag nach rund 16 Monaten aus der Gefangenschaft der Hamas freigelassen wurden, herrschte in Israel Entsetzen. Der 56 Jahre alte Ohad Ben Ami, der 34-jährige Or Levy, und der 52-jährige Eli Sharabi wirkten blass, schwach und stark abgemagert. Israels Außenminister Gideon Saar schilderte seinen Eindruck auf X so: „Die israelischen Geiseln sehen aus wie Holocaust-Überlebende.“ Die Männer hätten offensichtlich Hunger gelitten. Premier Benjamin Netanjahu drohte mit Konsequenzen, ohne dies zu erläutern.

Selbst das Rote Kreuz übt Kritik. Das passiert selten

Empörung löste zudem aus, wie die Hamas die Freilassung der drei Männer öffentlich als Demonstration ihrer Macht inszeniert hatte:  Vermummte, bewaffnete Männer führten sie im Gazastreifen auf eine Art Bühne. Israelischen Medien zufolge mussten sie sich vor Hunderten Schaulustigen für die „Fürsorge“ während ihrer Geiselhaft bedanken. Vermummte reckten neben ihnen die Fäuste in Siegergesten in die Luft. Israels Staatspräsident Izchak Herzog sprach von einem „zynischen und grausamen Spektakel“.

Auch das Rote Kreuz, dem die Männer übergeben wurden, kritisierte die Umstände der Freilassung. „Wir fordern alle Parteien, einschließlich der Vermittler, nachdrücklich auf, dafür zu sorgen, dass künftige Freilassungen menschenwürdig und privat erfolgen“, teilte das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) mit. Es versteht sich als strikt neutrale Organisation und kommentiert Vorgänge nur sehr selten.

Die Freigelassenen haben inzwischen ihre Angehörigen wiedergesehen. Eli Sharabi allerdings wusste bis zu seiner Freilassung nicht, dass seine Frau und die beiden gemeinsamen Töchter im Alter von 13 und 16 Jahren von Terroristen während des Hamas-Massakers am 7. Oktober 2023 ermordet worden waren, berichtete der israelische Sender Channel 12. Or Levy wird angesichts seines schlechten Zustandes seinen dreijährigen Sohn offenbar erst später treffen; auch seine Frau war vor 16 Monaten von Hamas-Terroristen getötet worden, denen insgesamt 1200 Menschen zum Opfer fielen.

In Katar stehen Gespräche über eine Fortsetzung der Waffenruhe an

Israel entließ im Austausch für die freigelassenen Hamas-Geiseln vereinbarungsgemäß 183 palästinensische Häftlinge aus Gefängnissen. Ein Bus mit Insassen aus dem israelischen Gefängnis Ofer im Westjordanland sei in Ramallah von einer jubelnden Menge begrüßt worden, meldete die Times of Israel. Eine weitere Gruppe habe ein Gefängnis in der Negev-Wüste verlassen und sei auf dem Weg in den Gazastreifen. Es seien Palästinenser, die im Zuge des Gaza-Kriegs festgenommen worden waren, sowie 20 Menschen, die schon zuvor zu langer Haft verurteilt worden waren.

Unterdessen kam in Katar eine israelische Delegation zu Gesprächen über eine Fortsetzung der Waffenruhe zwischen Israel und der Hamas an. Premier Netanjahu habe die Unterhändler angewiesen, vorerst nur über „technische Einzelheiten“ zu verhandeln, berichteten israelische Medien unter Berufung auf hohe Regierungsbeamte. Die indirekten Gespräche in Doha, bei denen Katar, Ägypten und die USA vermitteln, sollen sich um die zweite Phase der Waffenruhe drehen, die Ende des Monats beginnen müsste.

Ägypten teilte am Sonntag mit, es habe die arabischen Staaten wegen der „ernsten“ Entwicklungen für die Palästinenser zu einem Krisengipfel am 27. Februar eingeladen. Anlass sind Erklärungen von US-Präsident Donald Trump, die USA würden den Gazastreifen von Israel übernehmen und dort nach Umsiedlung der palästinensischen Bevölkerung in andere Länder eine „Riviera des Nahen Ostens“ schaffen.

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