In Doha geht es nun ums Ganze – um Krieg und Frieden im Gazastreifen und weit darüber hinaus. Am Donnerstag hat in der katarischen Hauptstadt eine neue, als entscheidend titulierte Verhandlungsrunde über einen Waffenstillstand und ein Geiselabkommen zwischen Israel und der palästinensischen Hamas begonnen. Verknüpft haben die Vermittler aus den USA, Katar und Ägypten einen solchen Deal ausdrücklich noch mit der Abwendung einer regionalen Eskalation durch Iran und die libanesische Hisbollah. Klar ist, dass dies den Druck zur Einigung erhöht. Aber erhöht es auch die Erfolgsaussichten?
Treibende Kraft hinter diesen Verhandlungen sind die Amerikaner, die mit CIA-Chef William Burns in Doha vertreten sind. Präsident Joe Biden persönlich hatte vorab erklärt, dass er bei einem Erfolg damit rechne, dass Iran auf einen angedrohten Angriff auf Israel verzichtet, der seit der Tötung des Hamas-Auslandschefs Ismail Hanija in Teheran vor gut zwei Wochen als düstere Drohung über der Region hängt.
So soll jeder wissen, was auf dem Spiel steht. Doch zumindest mit Blick auf die Hamas könnte diese Strategie nach hinten losgehen. Denn nichts wünscht sich deren Anführer Jahia Sinwar seit dem Terrorüberfall auf Israel am 7. Oktober mehr als eine Ausweitung des Kriegsschauplatzes und die Verstrickung Israels in einen Mehrfrontenkampf. Ernüchtern könnte ihn höchstens die Erkenntnis, dass seine Waffenbrüder aller Rhetorik zum Trotz am Ende doch kein Interesse am ganz großen Krieg haben könnten.
Größter Unsicherheitsfaktor auf israelischer Seite ist der Premier
Fürs Erste aber dürfte die Hamas ausgesprochen defensiv in die Verhandlungen gehen. Ausdruck davon war die Erklärung, keine Delegation nach Doha zu schicken. Ein Boykott ist dies jedoch nicht. Schließlich ist die Auslandsführung der Hamas sowieso schon im katarischen Exil versammelt. Auf kurzem Weg dürften die Vermittler aus Katar und Ägypten jede Wendung der Verhandlungen absprechen können.
Als größter Unsicherheitsfaktor auf israelischer Seite gilt Premier Benjamin Netanjahu. Vor ihrem Abflug nach Doha bestellte er noch einmal die Verhandlungsführer ein. Vertreten sind nun in Katar nicht nur der Mossad-Chef David Barnea zusammen mit seinem Kollegen vom Inlandsgeheimdienst Ronen Bar. Netanjahu hat ihnen noch seinen persönlichen Berater Ophir Falk zur Seite gestellt. Seine Rolle dürfte die des Aufpassers und Bremsers sein. In den vergangenen Wochen war auch öffentlich deutlich geworden, dass der gesamte israelische Sicherheitsapparat auf ein Abkommen dringt, während der Regierungschef aus Angst vor dem Machtverlust Hürden aufgebaut hat.
Zwar hat Netanjahu immer wieder energisch bestritten, die Arbeit der Vermittler zu behindern. Die New York Times konnte jedoch nun pünktlich vor der Doha-Runde Dokumente einsehen, die das Gegenteil belegen. Netanjahu hat demnach noch eine Liste neuer Forderungen erstellt, nachdem US-Präsident Biden Ende Mai schon einen fertigen israelischen Abkommensentwurf vorgestellt hatte.
Bidens Geduld hat er damit bis aufs Äußerste strapaziert. Für die Doha-Verhandlungen dürften die Amerikaner Netanjahu deshalb deutlich gemacht haben, dass weitere Obstruktion zum offenen Bruch führen könnte – und dass Israel sich dies allein aus Sicherheitsgründen nicht leisten könne. Die Anreize für ein Abkommen sind offenkundig: Erstens könnte Netanjahu mit der Heimkehr der Geiseln einen Erfolg verbuchen. Zweitens könnte er einen Ausweg finden aus einem Krieg, in dem selbst sein Verteidigungsminister Joav Gallant das Postulat vom „totalen Sieg“ zum „Unsinn“ erklärt hat. Drittens könnte ein Krieg abgewendet werden, in dem auch Israel von Haifa bis nach Tel Aviv mit schweren Schäden rechnen muss.
Die Amerikaner verstärkten ihre Militärpräsenz
Zu Israels Schutz sind die Amerikaner demonstrativ in Vorleistung gegangen – mit einer deutlichen Verstärkung ihrer Militärpräsenz in der Region sowie mit einem neuen, 20 Milliarden Dollar schweren Waffenpaket, das in diesen Tagen in Washington genehmigt wurde. Verknüpft ist das mit der Erwartung, dass Netanjahu den aktuellen Zusatzpreis dafür erkennt und den Weg ebnet für ein Gaza-Abkommen.
Mit blitzschnellen Ergebnissen aus Doha ist nicht zu rechnen. Aber angesichts der iranischen Drohungen dürfte auch keine lange Hängepartie entstehen. In ein bis zwei Wochen, so die Erwartungen, könnte Klarheit geschaffen sein. Die Vermittler haben von Beginn an betont, dass keine Zeit mehr zu verlieren ist. Spekuliert wird, dass sie nicht mehr länger versuchen, die Kontrahenten zu Kompromissen zu bewegen, sondern sie mit einem eigenen, endgültigen Entwurf konfrontieren. Die Verantwortlichen in Israel und bei der Hamas müssen dann entscheiden, ob sie das so annehmen oder ablehnen. Ob sie Frieden wollen oder einen endlosen Krieg.