Süddeutsche Zeitung

Israel: Gilad Schalit:"Das wird die Hamas noch populärer machen"

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Radikale Palästinenser versprechen sich viel von der Freilassung Gilad Schalits - und wollen danach weitere israelische Soldaten entführen.

Peter Münch, Gaza

Die Rolle des Friedensbotschafters ist noch ungewohnt für diesen Mann, der sich nur mit seinem nom de guerre, dem Kampfnamen, vorstellt. Abu Khaled ist mit einem nervösen Blick nach rechts, nach links und nach oben verabredungsgemäß an einer schmuddeligen Straßenecke von Gaza-Stadt ins Auto eingestiegen, hat vom Rücksitz aus den Wagen mit Rasierwasserduft gefüllt - und nun verkündet er: "Wir werden keine Raketen mehr auf Israel schießen. Das ist unsere Botschaft an die Welt."

Abu Khaled ist ein Kommandeur der Kassam-Brigaden, des bewaffneten Arms der Hamas. Er hat gute Gründe, vorsichtig zu sein, manche seiner Kameraden wurden aus dem Nichts heraus von Geschossen getroffen. Und er weiß auch, dass sein Friedensangebot noch lange nicht bedeutet, dass auch die Israelis Ruhe geben. "Doch dann kann jeder sehen, dass nicht wir es sind, die einen Krieg anfangen", sagt er zufrieden und spielt mit dem Handy in der einen und der Gebetskette in der anderen Hand.

Am Wochenende hat die in Gaza regierende Hamas die bewaffneten Fraktionen auf diesen Waffenstillstand verpflichtet, da hatte sich der Rauch noch nicht verzogen von einem kurzen Schlagabtausch mit einer Rakete und folgenden Luftangriffen, bei dem sieben Palästinenser verletzt wurden. Nun aber soll Ruhe sein, fürs Erste.

Nur der Islamische Dschihad habe noch nicht zugestimmt, sagt Abu Khaled, "die sind nicht dafür und nicht dagegen". Rumoren komme noch von Splittergruppen, doch ein Problem sei auch das nicht. "Wenn die Regierung entscheidet, dass wir den Beschuss stoppen, dann stoppen wir. Wer noch Raketen abfeuert, der wird verhaftet."

Allerdings weiß auch er: "Absolutes gibt es nicht" - schon gar nicht im Gaza-Gewirr der bewaffneten Gruppen. Das ein oder andere Geschoss hält er also noch für verzeihlich. "In den letzten Wochen sind vielleicht zehn Raketen nach Israel geflogen", rechnet er vor, "so viele haben wir früher in einer Stunde abgefeuert."

Ein Soldat für 1000 Gefangene

Der plötzlich sanfte Ton der Hamas und ihrer Kampfbrigaden mag viele Gründe haben - die israelische Übermacht und auch die Erschöpfung der Bevölkerung durch Krieg und Blockade. Aktuell könnte es den Radikalen an der Regierung vor allem darum gehen, die von einem deutschen Vermittler vorangebrachten Verhandlungen um die Freilassung des entführten israelischen Soldaten Gilad Schalit nicht zu gefährden.

Am Montag reiste eine Hamas-Delegation zum Feinschliff nach Kairo, am Tag zuvor war Israels Präsident Schimon Peres dort. Manche erwarten schon eine Freilassung in den nächsten Tagen, doch das war in den vergangenen fast dreieinhalb Jahren dieser Geisel-Geschichte häufiger erwartet worden. Abu Khaled bestätigt aber, wie wichtig dieser Handel auch für die Hamas ist. "Für einen Soldaten bekommen wir tausend Gefangene, das ist doch unser Sieg", sagt er, "und das wird die Hamas noch populärer machen."

Aber er denkt noch weiter: Alle Gefangenen sollen befreit werden. Wenn er diese Idee jedoch in die Tat umsetzt, dann ist der Weg von der Waffenruhe zurück zum Kampf gewiss noch kürzer als andersherum. Sobald Gilad Schalit befreit ist, sollen nämlich weitere Soldaten gefangen werden. Sie hätten eine Belohnung ausgesetzt, sagt Abu Khaled: "Jeder Palästinenser, der uns einen Soldaten bringt, bekommt eine Million jordanische Dinar."

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SZ vom 24.11.2009
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