Israel:Eskalation mit Ansage

Israel: Satellitenbild von einem Brand in einem Öltank in der israelischen Stadt Ashkelon.

Satellitenbild von einem Brand in einem Öltank in der israelischen Stadt Ashkelon.

(Foto: Maxar Technologies/AP)

Die Hamas zündet weiter Raketen, Israel droht mit einer Bodenoffensive: Noch zeichnet sich im Nahen Osten keine Entspannung ab. Doch ausgerechnet die Schärfe des Konflikts gibt Anlass zur Hoffnung.

Von Peter Münch, Tel Aviv

Krieg bedeutet Leiden, Blutvergießen, Angst. Doch ausgedrückt wird ein Krieg zumeist in Zahlen: Fast 2000 Raketen haben die palästinensischen Gruppen Hamas und Islamischer Dschihad seit Beginn der militärischen Auseinandersetzung am vorigen Montag schon auf Israel abgefeuert. Mehr als 600 Ziele hat die israelische Armee im Gazastreifen bombardiert. Die Kriegsparteien nennen diese Zahlen als Erfolgsausweis. Sie sagen nichts aus über den Schrecken, der dahinter steht. Doch mit aller erforderlichen Vorsicht lassen sich aus diesen Zahlen vielleicht Schlüsse ziehen, wohin sich dieser Krieg entwickelt. Die Prognose, die zugleich Hoffnung ist: Er wird heftig geführt - und könnte deshalb schneller zu Ende sein.

So sehen es zumindest viele der kriegserprobten Militäranalysten der israelischen Medien. Demzufolge hat die Hamas ihre Kriegsziele bereits erreicht: Sie hat Israel provoziert und in Angst versetzt mit einem offenkundig weit stärkeren Raketenarsenal als in den drei Kriegen zuvor. Und vor allem hat sie enorme Unterstützung erfahren im gesamten palästinensischen Volk. Beim Gebet zum Eid al-Fitr, dem Zuckerfest am Ende des Ramadan, wurden auf dem Jerusalemer Tempelberg die grünen Fahnen der Hamas geschwenkt.

Welche Kriegsziele hat Israel?

Um aus der aktuellen Spirale der Gewalt auszusteigen, muss aber auch Israel seine Kriegsziele erreicht haben. Das Problem: Diese Ziele sind nirgends definiert. Jedoch ist kaum damit zu rechnen, dass es der Führung in Jerusalem um den Sturz der Hamas-Herrschaft in Gaza geht. Sie fürchtet das dadurch entstehende Machtvakuum, und sie will den Küstenstreifen, aus dem sich die israelische Armee und die Siedler 2005 zurückgezogen haben, gewiss nicht wieder übernehmen.

Ein Sturz der Hamas würde zudem einen massiven Truppeneinsatz am Boden erfordern - ein riskantes und sicher verlustreiches Himmelfahrtskommando in einem extrem dicht besiedelten Gebiet. Eine Meldung des Militärs zur Beteiligung von Bodentruppen an den aktuellen Kämpfen erregte deshalb in der Nacht zum Freitag Aufsehen, wurde aber am Morgen sogleich dementiert und als "interne Fehlkommunikation" bezeichnet. Es könnte jedoch auch ein Trick gewesen sein.

Das Ziel Israels in diesem Krieg dürfte dasselbe sein wie in den vorherigen Gaza-Kriegen: Zeitgewinn. Sieben Jahre relativer Ruhe seit dem letzten großen Schlagabtausch 2014 sind nach nahöstlichen Maßstäben keine schlechte Bilanz. Daher geht es nun darum, die militärischen Möglichkeiten der Hamas möglichst nachhaltig einzuschränken.

Die Wucht der Luftangriffe nimmt deshalb von Tag zu Tag zu. Ein Großteil der Raketenfabriken sei bereits zerstört, meldet die Armee. In der morgendlichen Zoom-Pressekonferenz am Freitag standen die erfolgreichen nächtlichen Schläge gegen das Tunnelsystem im Mittelpunkt, das die Hamas-Führung in Gaza als "Stadt unter der Stadt" angelegt habe, um sich dort in einer unterirdischen Kommandozentrale zu verstecken. Womöglich haben sich viele dorthin zurückgezogen, als die Falschnachricht vom Bodeneinsatz kam. Schon zuvor hatte die Armee aus der Luft gezielt hohe Kommandeure getötet.

Die lautstark verbreiteten Erfolgsmeldungen könnten es Israel erlauben, sich in absehbarer Zeit auf eine Waffenruhe einzulassen, an der im Hintergrund bereits Vermittler aus Ägypten, Katar und inzwischen auch den USA arbeiten. Doch noch aus einem anderen Grund könnte Israel bald nach einem Ausweg suchen: Es gibt Wichtigeres zu tun.

"Es gibt keine größere Bedrohung als die internen Unruhen."

Schließlich ist innerhalb Israels in vielen Städten mit gemischter jüdischer und arabischer Bevölkerung ein gewalttätiges Chaos ausgebrochen, das durch eine lange Kriegsdauer weiter angefacht werden könnte. Premierminister Benjamin Netanjahu will in den betroffenen Gebieten sogar die Armee einsetzen. "Es gibt keine größere Bedrohung als die internen Unruhen", sagt er.

Dieses Chaos hat in Israel bereits die politischen Gewichte verschoben. Die fast schon beschlossene Koalition aus rechten, linken und Zentrumsparteien mit Unterstützung arabischer Abgeordneter ist fürs Erste vom Tisch. Der rechte Politiker Naftali Bennett will angesichts der Ausschreitungen nichts mehr wissen von einer Zusammenarbeit mit arabischen Parteien und will nun wieder mit Netanjahu verhandeln.

Wie lange Israel an zwei Fronten kämpfen will, kann trotzdem niemand vorhersagen. In Kriegszeiten kann jeder kleine Anlass große Auswirkungen haben. Ein rasches Ende des Kriegs um Gaza wäre in jedem Fall eine Befreiung für die Zivilbevölkerung - vor allem für die unter Dauerbeschuss stehenden Israelis im Grenzgebiet und für die hilflos dem Bombardement ausgelieferten zwei Millionen Palästinenser im Gazastreifen. Auch für deren Bedrohung gibt es Zahlen: die der Toten und der Verletzten. Sie steigen ständig.

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