Süddeutsche Zeitung

Nahostkonflikt:Operation Misstrauen

Israels Armee muss sich des Vorwurfs erwehren, internationale Journalisten gezielt manipuliert zu haben, indem sie den Einsatz von Bodentruppen verkündete. Im Raum steht die Frage: Hat Israel Medien weltweit für Kriegsziele eingespannt?

Von Peter Münch, Tel Aviv

Dass im Krieg die Wahrheit zu den ersten Opfern zählt, mag eine abgedroschene Floskel sein. Bewiesen aber wird sie immer wieder aufs Neue. Informationen werden von den Konfliktparteien zurückgehalten. Was herausgelassen wird, ist von Interessen geleitet. Damit müssen Berichterstatter umgehen können. Doch dass die Medien gezielt manipuliert und damit eingespannt werden für die Ziele der Kriegsführung, das ist eine andere Dimension - und genau diesem Vorwurf muss sich nun die israelische Armee stellen.

Der Vorgang beginnt in der Nacht zum Freitag exakt um 0.17 Uhr: "Luft- und Bodentruppen der israelischen Verteidigungskräfte greifen im Gazastreifen an", lautet die Nachricht, die von der Pressestelle der israelischen Armee auf Englisch in die Whatsapp-Gruppe für internationale Medien geschickt wird. "Bodentruppen" ist ein Signalwort in diesem Konflikt, denn ihr Einsatz steht für eine enorme Eskalation. Korrespondenten, die daraufhin persönlich bei der Armee nachfragten, bekamen explizit die Bestätigung eines solchen Einsatzes.

Die Armee spricht von einem "Kommunikationsfehler"

Die Folge: Eilmeldungen gingen rund um die Welt - und es ist damit zu rechnen, dass die auch bei der Hamas in Gaza sofort registriert wurden. Folgern lässt sich daraus, dass die Kommandeure und ihre Kämpfer ein Fluchtinstinkt ergriffen haben könnte, dass sie abtauchten in das weit verzweigte Tunnelsystem, das sie unter dem Gazastreifen angelegt haben.

Genau dieses Tunnelsystem wurde dann wenig später zum Ziel der bislang heftigsten israelischen Angriffe in diesem Krieg. 500 Tonnen Munition wurden verschossen, die israelische Armee rechnet mit "potenziell Hunderten" toten Hamas-Kämpfern. 160 Flugzeuge waren im Einsatz, dazu Artillerie - aber keine Bodentruppen.

Der Armee-Sprecher erklärte das am nächsten Morgen mit einem "Kommunikationsfehler", wie er "im Nebel des Krieges" vorkommen könne. Das kann man glauben, muss man aber nicht, zumal offenbar israelischen Journalisten durchgehend bestätigt wurde, es seien keine Bodentruppen im Gazastreifen. In einem Brief an die Vereinigung der Auslandspresse (FPA) versprach der für die Medienarbeit zuständige Brigadegenaral Hidai Zilberman nun eine "umfassende Untersuchung". Den Vorwurf der gezielten Manipulation wies er zurück.

US-Präsident Joe Biden schaltet sich ein

Erledigt ist das Thema damit nicht, der Vorfall schürt einiges an Misstrauen - und überdies hat die israelische Luftwaffe am Samstag dann zu einem direkten Schlag ausgeholt gegen die Medien. In Gaza-Stadt wurde nach einer Vorwarnung zur Evakuierung ein Hochhaus in Schutt und Asche gebombt, in dem die Büros der US-Nachrichtenagentur AP und Al Jazeera untergebracht waren. Die Armee erklärte ihre Zielauswahl damit, dass in diesem Gebäude auch der Hamas-Geheimdienst einen Stützpunkt gehabt habe.

Die FPA hat scharf protestiert, Al Jazeera spricht von einem "barbarischen Akt", AP zeigt sich "schockiert" und erklärt, die Welt werde nun weniger darüber erfahren, was in Gaza passiert. Am Ende schaltete sich sogar US-Präsident Joe Biden ein. In einem Telefongespräch ermahnte er Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu dazu, die "Sicherheit von Journalisten zu gewährleisten".

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