In aufgewühlten Zeiten hat Israels Premierminister Benjamin Netanjahu nun einen doppelten Grund zur Zufriedenheit gefunden. Im Innern hat er sich mit dem Rauswurf seines Verteidigungsministers Joav Gallant eines lästigen Kritikers entledigt. Im Äußeren feierte er die Wiederwahl seines Seelenverwandten Donald Trump zum US-Präsidenten als „das größte Comeback der Geschichte“. Bahn frei dürfte nun sein Motto lauten – und das weckt bei seinen Kritikern die schlimmsten Befürchtungen.
Von Trump wird sich Netanjahu weit weniger störende Einflussnahme auf Israels Kriegskurs erhoffen als vom bisherigen Amtsinhaber Joe Biden. Und Bidens bester Freund in Israels Regierung, nämlich Gallant, wird beim baldigen Neuanfang nun auch nicht mehr stören. Die Entlassung des weithin populären Verteidigungsministers begründete der Premier mit einem „zerrütteten Vertrauensverhältnis“. Mehr noch: Er unterstellte Gallant eine indirekte Unterstützung der Feinde Israels. Die hätten die Uneinigkeit in der Regierung „genossen und eine Menge Nutzen daraus gezogen“, erklärte er.
Vollzogen hat Netanjahu den Rauswurf gezielt im Windschatten der US-Wahl. Die Welt einschließlich des israelischen Universums war anderweitig abgelenkt. Dies allerdings nimmt dem Vorfall nichts an Dramatik: In Umkehr zu Netanjahus Logik könnten es Israels Feinde genießen, dass der für die Kriegsführung verantwortliche Minister nun zu einem Zeitpunkt geschasst wird, an dem Zigtausende Soldaten im Gazastreifen sowie in Libanon kämpfen und über dem Land die Drohung weiterer iranischer Angriffe hängt.
Den von Netanjahu propagierten „totalen Sieg“ nannte er „Unsinn“
All das kann als Beleg dafür dienen, dass Netanjahus Schritt vor allem einem persönlichen Motiv folgte: der Sicherung des eigenen Machterhalts durch Entlassung eines Störenfrieds. Als Gallant wenige Stunden nach seiner Demission sichtlich aufgewühlt eine Erklärung abgab, warnte er vor einer „moralischen Finsternis“ in Israel und versprach, dass die Sicherheit des Staates Israel seine „Lebensaufgabe“ bleiben werde.
Der 65-jährige General hat fast sein gesamtes Berufsleben bei der Armee verbracht. Für die anschließende Politikkarriere schloss er sich Netanjahus Likud an, wo er in der Ende 2022 gebildeten rechten Regierung als logische Wahl für den Verteidigungsposten galt. Doch schon beim Kampf um die sogenannte Justizreform tat sich ein Graben auf. Gallant warnte vor den Folgen einer Spaltung Israels – und war dafür von Netanjahu im Frühjahr 2023 schon einmal entlassen worden. Hunderttausende Israelis strömten daraufhin auf die Straßen. Diese „Gallant-Nacht“ taugte zur Mythenbildung, denn am Ende musste Netanjahu den Rauswurf zurücknehmen.
Spätestens seitdem ist Gallant der Stachel im Fleisch der Koalition aus Rechten, Rechtsextremen und Religiösen gewesen. Den von Netanjahu im Krieg propagierten „totalen Sieg“ bezeichnete er freimütig als „Unsinn“. In der Geisel-Frage zog er sich den Ärger des Regierungschefs zu, indem er energisch auf Kompromisse mit der Hamas drang, um die Entführten aus Gaza heimzuholen. Als aktueller Auslöser für den Rauswurf kam nun noch hinzu, dass Gallant Netanjahus Bündnis mit den beiden ultraorthodoxen Parteien bedrohte. Denn bis zuletzt weigerte er sich, einen Kuhhandel für die weitere Befreiung der frommen Männer vom Militärdienst zu unterstützen.
Ersetzt wird Gallant durch den bisherigen Außenminister Israel Katz. Auf dessen bisherigem Posten darf sich Gideon Saar einrichten, den Netanjahu erst vor wenigen Wochen aus der Opposition ins Regierungslager gelockt hatte. Von Katz zumindest ist wenig Widerspruch zu erwarten. Seit einem Vierteljahrhundert schon hält er sich geschmeidig in der Politik und damit meist eng an Netanjahus Seite. Mit zahlreichen Ministerposten von Transport bis Finanzen wurde das belohnt. Als Militärexperte jedoch ist er bislang nicht aufgefallen.
Die Opposition in Israel reagiert aufs Höchste alarmiert auf den fliegenden Wechsel. Oppositionsführer Jair Lapid nennt Gallants Entlassung mitten im Krieg einen „Akt des Wahnsinns“. Benny Gantz, der sich im Juni zermürbt aus dem von Netanjahu geführten Kriegskabinett zurückgezogen hatte, spricht von einem „Skandal“, bei dem politische Interessen „auf Kosten der staatlichen Sicherheit“ verfolgt würden. Der frühere Premier Naftali Bennett sieht eine „kranke und verrückte Führung“ am Werk. Spontan waren in der Nacht zum Mittwoch bereits Tausende in Tel Aviv, Jerusalem und andernorts zum Protest ausgezogen. Für eine Neuauflage der legendären Gallant-Nacht scheint allerdings nach mehr als einem Jahr des Kriegs die Kraft zu fehlen.
Befürchtet wird zudem, dass Gallants Rauswurf nur der Anfang sein könnte. Israels Medien zitieren Quellen „nahe an Netanjahu“, die auch Armeechef Herzi Halevi und Ronen Bar, den Chef des Inlandsgeheimdienstes Schin Bet, auf der Abschussliste sehen. Mindestens. Netanjahu selbst hat das sofort dementiert. Aber womöglich will er nur, dass sich die Wogen erst einmal glätten. Danach kann er immer noch weitersehen – und auf Trump vertrauen.