Israel:Gabriel kehrt nach Yad Vashem zurück

Außenminister Gabriel in Israel

Sigmar Gabriel (rechts) war schon oft in Yad Vashem. Am Montag besucht er den Gedenkort zum ersten Mal als Bundesaußenminister. Zusammen mit dem deutschen Botschafter in Israel, Clemens von Goetze (links), legt er einen Kranz nieder.

(Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa)

Der Außenminister besucht in Jerusalem die Holocaust-Gedenkstätte. Er tut das nicht zum ersten Mal, aber an diesem Ort kann auch für ihn keine Routine aufkommen.

Von Stefan Braun, Jerusalem

Und jetzt auch noch das Gästebuch. Ein übliches Ritual, und doch nirgends so wenig alltäglich wie hier. In Yad Vashem, der Gedenkstätte, die das Grauen beherbergt. Die Geschichte der Schoah, der Ermordung von sechs Millionen Juden durch die Nationalsozialisten - hier ist sie dokumentiert, ausgestellt, zusammengetragen worden. Hoch über Jerusalem ist dies ein Ort, der jeden aufwühlt und niemanden kalt lässt.

Sigmar Gabriel hat sich schon oft auf diesen Ort eingelassen. Gut zehn Mal ist er bereits hier gewesen, mal als Minister, mal privat mit der eigenen Tochter. Er hat sogar schon Führungen nach Yad Vashem organisiert, als er vor gut dreißig Jahren mit den Falken der Sozialistischen Jugend Deutschlands ins Heilige Land kam.

An diesem Montag ist es dennoch eine Premiere für ihn: Es ist sein erster Besuch als deutscher Außenminister. Und so ausgebufft Gabriel in vielen Lebenslagen sein mag, jetzt muss er schlucken. Nach der Tour durchs Museum, nach der Kranzniederlegung in der Halle der Erinnerung, nach dem Besuch beim Mahnmal für die ermordeten Kinder wird der Minister gepackt von den Bildern, auch jenen, die ihn aus der eigenen Familie wieder einholen.

Dazu kommt das Gästebuch. Selbst hier hat Gabriel sich schon einmal eingetragen. Trotzdem ist es an diesem Tag anders. An diesem Tag repräsentiert er Deutschland noch stärker als sonst. Nach der Landung in Israel am Flughafen von Tel Aviv hat er sogleich von "einem beispiellosen Menschheitsverbrechen" gesprochen, hat sich zur historischen Verantwortung Deutschlands bekannt und die "Mahnung und Verpflichtung" betont, gegen Antisemitismus und für die Verständigung zwischen den Völkern einzutreten.

Hier nun, vor dem Gästebuch, wird er persönlich. "Nirgendwo sieht man so überdeutlich, zu wie viel Bösem Menschen fähig sind und wie unvergleichlich das Leid ist, das über andere gebracht wurde", schreibt Gabriel. Und er fährt fort: "Unsere Aufgabe ist es, nun zu zeigen, zu wie viel Gutem wir auch in der Lage sind, wenn wir uns jeden Tag daran erinnern, dass wir Menschen sind." Eigentlich sollte Gabriel das vorlesen. Nun aber will er schweigen.

Yad Vashem rührt auch an Gabriels eigene Geschichte

Gabriel ist am Yom HaShoah nach Israel gekommen, an dem Tag, an dem sich das ganze Land der Schoah erinnert. Das war nicht von Anfang an der größere Plan seines Besuches. Aber es fügt sich gut in sein Bemühen, den ersten Tag seiner Visite der Geschichte zu widmen. Zuvor ist er in Jordanien gewesen, der Flüchtlinge aus Syrien wegen, und noch mehr, weil er sich überhaupt der großen Sorgen des kleinen Königreichs annehmen möchte.

An diesem Dienstag wird er versuchen, mit der israelischen wie der palästinensischen Führung darüber zu sprechen, wie beide vielleicht doch irgendwie, irgendwann zu so etwas wie einem Friedensprozess zurückkehren könnten. Einem Prozess, der in Wahrheit schon seit vielen Monaten praktisch tot ist. An diesem Montag aber soll die Erinnerung im Zentrum stehen.

Dabei geht es natürlich um Israel und das jüdische Volk. Das ist selbstverständlich, zumal für einen deutschen Außenminister. Aber Yad Vashem, ausgerechnet Yad Vashem rührt auch an Sigmar Gabriels eigene Geschichte, die seines Vaters und die seiner ältesten Tochter. "Mein Vater war ein Auschwitz-Leugner, und die Familie meiner Tochter war Auschwitz-Opfer gewesen", erzählt Gabriel seit einigen Jahren immer wieder. Doch was bei ihm mittlerweile beinahe flapsig daherkommt, ist in Wahrheit eine traurige Geschichte. Eine, die Gabriel so sehr geplagt hat, dass er sie Jahrzehnte lang versteckt hat. Erst 2013 öffnete er sich dem Zeit-Redakteur Bernd Ulrich und erzählte von einem Vater, der Zeit seines Lebens ein rechtsradikaler Holocaust-Leugner geblieben ist. Unbelehrbar, ewig beherrscht vom Hass, bis zum Tode nicht in der Lage, sich und die eigene Weltsicht auch nur ein einziges Mal zu hinterfragen.

Sigmar Gabriel hat das geschlaucht, geplagt, gepeinigt. Die Streitgespräche, die Wut von damals - all das reist mit, wenn Gabriel sich hierher auf den Weg macht. Zumal es dann auch noch die zweite Seite gibt, die seiner ältesten Tochter. Deren Großvater war Jude und hat seine Eltern in Auschwitz verloren. Gabriel ist dem auf die Spur gekommen, als er mit seiner heute 28-jährigen Tochter Yad Vashem besuchte. Ausgerechnet.

Und doch: Geschichte kann selbst hier manchmal eine gute sein. Wenn man sich derer erinnert, die nicht gehasst und nicht getötet, sondern Menschen gerettet haben. Und so führt Außenminister Sigmar Gabriels Nahost-Reise ihn an diesem Abend auch zum Grab von Oskar Schindler. Jenem Emaille-Fabrikanten, der in seiner Fabrik Hunderte Juden gerettet hat. Es ist fast so etwas wie ein versöhnlicher Ausklang. Auch für Gabriel.

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