Israel:Für Bibi oder gegen Bibi

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Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu (2.v.r) spricht mit einem Mädchen im Rollstuhl während seines Besuchs in einer Corona-Impfstelle. (Foto: Marc Israel Sellem/dpa)

Bei der vierten Wahl innerhalb von zwei Jahren fehlt es Langzeit-Regierungschef Benjamin Netanjahu nicht an Gegnern. Als gefährlichste Herausforderer gelten zwei frühere Gefolgsleute.

Von Peter Münch, Tel Aviv

Israels Premierminister Benjamin Netanjahu macht rastlos Wahlkampf mit dem Vakzin. Jeden Tag taucht er in einem anderen Impfzentrum auf, jedes Mal verbreitet er die gleiche frohe Botschaft: Israel werde unter seiner segensreichen Führung "als erstes Land der Welt" die Pandemie hinter sich lassen. Schon im März sollen alle gewillten Bürger immunisiert sein.

Der Zeitplan ist ambitioniert, aber kein Zufall. Am 23. März wird gewählt in Israel, und der Sieg über das feindliche Virus soll Netanjahu das Amt sichern, das er unter seinem Ehrentitel "König Bibi" ununterbrochen seit 2009 ausübt. Doch diese vierte Parlamentswahl in nicht einmal zwei Jahren stellt ihn dann doch noch vor eine neue Herausforderung.

Denn anders als bei allen vorherigen Wahlen muss sich Netanjahu mit seiner rechten Likud-Partei nicht gegen einen Kontrahenten aus dem Mitte-links-Lager behaupten. Diesmal droht dem Regierungschef Gefahr von rechts. Und statt des althergebrachten Rechts-links-Schemas geht es bei dieser Wahl allein um eine Frage: für Bibi oder gegen Bibi.

An Gegnern fehlt es Israels am längsten dienenden Premierminister wahrlich nicht. Sein Führungsstil unter dem machiavellistischen Motto "Teile und herrsche" hat auch viele frühere Gefolgsleute gegen ihn aufgebracht. Zwei davon gelten nun als die gefährlichsten Herausforderer.

Zum einen ist das Naftali Bennett von der siedlernahen Yamina-Partei, der sich in der Corona-Krise mit scharfer und zugleich konstruktiver Kritik profiliert hat. Zum anders ist das Gideon Saar, der Netanjahus Likud im Dezember mit großem Knall verlassen und eine eigene Partei namens Neue Hoffnung gegründet hat. Dem Premier warf Saar im Rausgehen vor, im Likud einen "Personenkult" etabliert und die Partei zu einem Werkzeug seiner persönlichen Interessen "einschließlich seines Prozesses" gemacht zu haben. Damit spielte er auf Netanjahus schwache Flanke an: Er steht wegen Korruption vor Gericht, und pünktlich zur heißen Phase des Wahlkampfs im Februar sollen die Zeugenbefragungen beginnen.

Zwar ragt Netanjahus Likud in allen Umfragen mit 28 bis 30 der insgesamt 120 zu vergebenden Parlamentssitze immer noch wie Goliath aus einem Heer von Zwergen heraus. Doch nach dem jetzigen Stand der Umfragen erreicht diese Zwergenschar zusammengefasst als Anti-Bibi-Block die zur Regierungsbildung nötige Mehrheit.

Neue Parteien sprießen wie Pilze aus dem Boden

Seit der vorigen Wahl ist vieles in Bewegung geraten, und neue Parteien sprießen wie Pilze aus dem Boden. Neben Saars Neuer Hoffnung hat auch der Tel Aviver Bürgermeister Ron Huldai den Sprung auf die nationale Bühne gewagt, mit einer Mitte-links-Partei namens Die Israelis. Zudem hat sich aus der seit Monaten ausdauernd gegen Netanjahu demonstrierenden Protestbewegung eine Partei gebildet: die Demokraten. Nicht zuletzt tritt eine Gruppierung namens Veteranen-Partei an, die sich unter Führung des früheren Mossad-Chefs Dani Jatom darum kümmern will, dass die Rente sicher ist. 2006 hatte eine ähnliche Gruppierung aus dem Stand schon einmal sieben Sitze gewonnen.

Sie alle setzen darauf, dass Israels Wähler tief enttäuscht sind vom politischen Establishment. Nur 47 Prozent haben angegeben, dass sie bei dieser Wahl wieder für die gleiche Partei stimmen wollen wie im März 2020. Der Rest also ist politisch heimatlos.

Zum Teil liegt das am Niedergang des von Verteidigungsminister Benny Gantz geführten Bündnisses Blau-Weiß, das seine Glaubwürdigkeit mit dem Eintritt in eine Koalition mit Netanjahu verspielt hat. Bei der vorigen Wahl gewann Gantz noch 33 Sitze. Nun muss er darum bangen, die zum Einzug ins Parlament nötige 3,25-Prozent-Hürde zu überspringen. Dabei hat das Blau-Weiß-Bündnis gegenüber all den Neugründungen den Vorteil, reichlich Geld für den Wahlkampf in der Kasse zu haben. Der staatliche Zuschuss bemisst sich nach dem Ergebnis der vorherigen Wahl.

Bündnisse gegen Netanjahu drohen wegen Ego-Fragen zu scheitern

Trotzdem zerfällt die Partei in rasantem Tempo. Ein beträchtlicher Teil der bisherigen Abgeordneten und Minister hat sich fluchtartig von Gantz abgewandt. Der populäre Justizminister Avi Nissenkorn dockte bei den Israelis von Ron Huldai an. Andere sind zu Jair Lapid und seiner Partei Jesch Atid (Es gibt eine Hoffnung) übergelaufen. Ein Zusammenschluss dieser beiden Parteien könnte dem Mitte-links-Lager neue Schlagkraft verleihen. Das Problem: Es kann nur einer führen - und an solchen Ego-Fragen drohen links wie rechts alle Bündnisse gegen Netanjahu zu scheitern.

Dennoch wird es zusehends einsam um den Regierungschef. Erste Risse sind sogar auf jenen Pfeilern zu erspähen, die stets Netanjahus Macht abgesichert haben: Die beiden ultraorthodoxen Parteien Schas und Vereinigtes Torah-Judentum (VTJ) könnten in Versuchung geraten, sich für die rechten Konkurrenten Saar und Bennett zu öffnen.

Für die Religiösen ist stets entscheidend, wer ihrer Klientel die größten Vorteile versprechen kann. Sollte sich abzeichnen, dass Netanjahu keine Mehrheit mehr bilden kann, dürfte die langjährige Verbundenheit keine Rolle mehr spielen. "Wir sind immer unabhängig von allen anderen gewesen", erklärte der VJT-Abgeordnete Mosche Gafni jüngst in einem Interview mit einer religiösen Zeitung. "So können wir selbst entschieden, was für uns richtig ist."

Bei dieser Ausgangslage ist ein spannender Wahlkampf zu erwarten in Israel. Doch noch spannender dürfte es nach Auszählung der Stimmen werden - wenn Präsident Reuven Rivlin einem der Kandidaten den Auftrag zur Regierungsbildung geben muss. Rivlins siebenjährige Amtszeit endet im Sommer. Er zählt zu den vielen alten Likudniks, die ihre Partei unter Netanjahu kaum noch wiedererkennen.

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