Israel:Erneut Zehntausende Israelis gegen "Justizreform" auf der Straße

Israel: Demonstranten in Tel Aviv vergleichen Bibi Netanjahu mit dem kolumbianischen Drogenhändler Pablo Escobar

Demonstranten in Tel Aviv vergleichen Bibi Netanjahu mit dem kolumbianischen Drogenhändler Pablo Escobar

(Foto: AMIR COHEN/REUTERS)

"Versuch, Israel in eine Diktatur zu verwandeln": Der Protest richtet sich gegen die Pläne von Netanjahus ultrarechter Regierung.

Zehntausende Israelis haben den sechsten Samstagabend in Folge in Tel Aviv und anderen Städten gegen den Kurs der rechts-religiösen Regierung protestiert. In der Küstenstadt Tel Aviv marschierten Demonstranten mit israelischen Flaggen durch die Straßen. In einer Schweigeminute gedachten sie der Opfer eines palästinensischen Anschlags am Freitag in Ost-Jerusalem. An einer Bushaltestelle ist ein Palästinenser in die Wartenden gefahren. Ein 20-Jähriger und ein sechsjähriges Kind wurden getötet.

Seit Wochen finden in Israel Demonstrationen gegen die Regierung von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu statt. Der Protest richtet sich vor allem gegen das Vorhaben der Regierung, das Justizsystem im Land gezielt zu schwächen. Weitere Proteste und zum Teil auch Streiks sind für Montag angekündigt, wenn die erste Lesung des Vorhabens im Parlament angesetzt ist.

Der israelische Sender N12 veröffentlichte am Samstag eine Umfrage, wonach 62 Prozent der Israelis die Reform entweder aussetzen oder ganz stoppen wollen. Netanjahus konservative Partei Likud wirft dem Obersten Gerichtshof seit langem vor, von linksgerichteten Richtern dominiert zu werden, die sich aus politischen Gründen in Bereiche einmischen, die nicht in ihre Zuständigkeit fallen. Gegen Netanjahu selbst läuft derzeit ein Prozess wegen Korruptionsvorwürfen.

Der 85-jährige Holocaust-Überlebende Avram Hershko, der 2004 mit dem Chemie-Nobelpreis ausgezeichnet worden war, warnte bei einer Demonstration in Haifa vor einem "Versuch, Israel von einer Demokratie in eine Diktatur zu verwandeln". Der 1937 in Ungarn geborene Biochemiker forderte bei einer Ansprache vor anderen Demonstranten: "Wir müssen diesen Wahnsinn stoppen."

Palästinenser von Siedlern getötet

Bei einer Konfrontation mit israelischen Siedlern im besetzten Westjordanland ist am Samstag ein 27-jähriger Palästinenser getötet worden. Der Mann habe eine tödliche Schussverletzung am Kopf erlitten, teilte das palästinensische Gesundheitsministerium mit. Den Angaben zufolge hatten Siedler bei dem Vorfall nahe der Kleinstadt Salfit das Feuer eröffnet.

Die israelische Armee teilte mit, man habe einen Bericht über gewaltsame Konfrontationen zwischen Dutzenden Palästinensern und israelischen Zivilisten erhalten. "Wir kennen Berichte über einen Palästinenser, der vor der Ankunft israelischer Soldaten in ein Krankenhaus gebracht wurde und der durch eine Schussverletzung getötet wurde", hieß es in der Mitteilung. Soldaten hätten nach ihrer Ankunft vor Ort in die Luft geschossen und die Konfrontationen beendet.

Die Sicherheitslage in Israel und den Palästinensergebieten ist seit Wochen extrem angespannt. Neun Israelis und eine Ukrainerin sind seit Jahresbeginn bei palästinensischen Anschlägen getötet worden. Seit Beginn einer Terrorwelle vor fast einem Jahr unternimmt die israelische Armee fast täglich Razzien im Westjordanland. Dabei kommt es immer wieder zu Konfrontationen. Allein in diesem Jahr wurden 45 Palästinenser bei Zusammenstößen oder ihren eigenen Anschlägen getötet. Es gibt zudem immer wieder Berichte über Gewalt israelischer Siedler gegen Palästinenser, israelische Aktivisten oder Soldaten.

Militante Palästinenser im Gazastreifen haben am Samstagabend eine Rakete auf das israelische Grenzgebiet abgefeuert. Im Kibbutz Nachal Oz habe es Raketenalarm gegeben, teilte die israelische Armee mit. Das Geschoss sei von der Raketenabwehr abgefangen worden.

Israel hatte 1967 das Westjordanland und Ost-Jerusalem erobert. Dort leben heute mehr als 600 000 israelische Siedler. Die Palästinenser beanspruchen die Gebiete für einen unabhängigen Staat Palästina mit dem arabisch geprägten Ostteil Jerusalems als Hauptstadt.

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