Süddeutsche Zeitung

Katstrophenhilfe unter Nachbarn:Israels Desaster-Diplomatie

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Die Regierung in Jerusalem hat dem schwierigen Partner Türkei nach dem Erdbeben schnelle Hilfe geschickt. Sogar dem Feindesland Syrien bot Premier Netanjahu Unterstützung an.

Von Peter Münch, Tel Aviv

Das Epizentrum lag nicht weit entfernt. Auch in Israel war das Erdbeben zu spüren, das in der Türkei und in Syrien Tausende Tote gefordert hat. Gaziantep ist von Tel Aviv aus nur rund 600 Kilometer entfernt, bis ins syrische Aleppo sind es 500 Kilometer. Die direkte Nachbarschaft also ist von einer Katastrophe betroffen. Und was tut man unter Nachbarn? Man bietet Unterstützung an, auch wenn die Beziehungen schwierig sind - und vielleicht auch gerade deshalb.

Desaster-Diplomatie wird jenes Konzept genannt, das nun auch bei der Hilfe für die Erdbebenregionen mitschwingt. Es geht darum, ein positives Zeichen zu setzen, das sich jenseits der akuten Katastrophenhilfe später auch für eine Verbesserung oder Festigung der Beziehungen nutzen lassen könnte. In der Türkei, mit der Israel seit vielen Jahren eine diplomatische On-Off-Beziehung pflegt, ist die Hilfe aus dem jüdischen Staat dankend angenommen worden und bereits eingetroffen. "Operation Olivenzweig" wird dieser Einsatz von Israels Armee genannt. Auch dem Feindesland Syrien wurde Hilfe angeboten, allerdings ohne positive Reaktion.

Die ersten israelischen Helfer trafen schon Dienstagmorgen ein

Israels Hilfe in der Türkei führt zu außergewöhnlichen Begegnungen. Zum Beispiel auf dem Flughafen von Adana, wo die israelische Maschine mit Helfern und humanitären Gütern just neben einem ähnlich beladenen Flugzeug aus dem Land des Erzfeinds Iran zum Stehen kam. Eine Spezialeinheit der israelischen Armee zur Bergung Verschütteter mit 150 Leuten war bereits am Dienstagmorgen im Katastrophengebiet eingetroffen. Am Mittwoch folgte ein 230 Mann und Frau starker Trupp, der ein Feldhospital für die Verletzten aufbauen soll.

Besonders ist diese Hilfe deshalb, weil der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdoğan noch vor gar nicht langer Zeit keine Gelegenheit ausgelassen hatte, Israel wegen seiner Besatzungspolitik anzuprangern und sich in der muslimischen Welt als Pate der Palästinenser zu profilieren. Erst jüngst hatten sich die Beziehungen überraschend erwärmt: Israels Präsident Isaac Herzog war im März 2022 Erdogans Gast in Ankara, auch Botschafter wurden wieder ausgetauscht.

Darauf lässt sich nun aufbauen. Gleich nach den ersten Meldungen von der Erdbebenkatastrophe hatte Herzog mit Erdogan telefoniert und ihm versichert, dass Israel für jede erdenkliche Hilfe bereitstehe. "Unsere Herzen sind in diesem Moment bei den trauernden Familien und dem türkischen Volk", erklärte er. Im Gegenzug dankte Erdogan Israel öffentlich für die Unterstützung. Direkten Kontakt nahmen auch die Außen- und Verteidigungsminister beider Länder auf.

In Syrien wurde Israels Hilfsangebot schroff abgelehnt

Mit Syrien dagegen gestaltet sich die Sache deutlich schwieriger. Israels Premierminister Benjamin Netanjahu hatte sogleich auch dem kriegsgeplagten Nachbarn im Nordosten Hilfe in Aussicht gestellt. Man habe dazu eine entsprechende "Anfrage" aus Syrien erhalten, erklärte er. Wer genau diese Anfrage gestellt hatte - Hilfsorganisationen, syrische Oppositionelle oder das Regime des Diktators Baschar al-Assad - wurde nicht mitgeteilt. Aus Syrien kam dann sehr schnell ein harsches Dementi, vermittelt über die dem Regime nahestehende Zeitung Al-Watan. Dort sprach eine anonyme Quelle von einer PR-Kampagne des israelischen Premiers. "Wie könnte Syrien jene um Hilfe bitten, die seit vielen Jahrzehnten Syrer töten", hieß es.

In der Türkei aber sind die israelischen Helfer gleich ans Werk gegangen. Berichten zufolge haben sie bereits eine 23-jährige Frau und einen Jungen lebend aus den Trümmern bergen können. Zugleich wird jedoch berichtet, das Israels Helfer auch dort mit wenig Sympathie in der Bevölkerung rechnen müssen. Ein Sprecherin der Armee bestätigte der Süddeutschen Zeitung auf Anfrage, dass die Helfer deshalb von eigenen Wachleuten geschützt werden. So solle sichergestellt werden, dass die Katastrophenhilfe nicht durch Sabotageakte verhindert wird.

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