Süddeutsche Zeitung

US-Nahostplan:Empörung im Dreieck

  • Zehn Städten nördlich des Westjordanlandes, das sogenannten Triangle, gehörten seit Staatsgründung zu Israel.
  • Nun sollen laut dem US-Plan "die Grenzen Israels neu gezeichnet werden". Die Triangle-Gemeinden würde so Teil des palästinensischen Staates.
  • Im Gegenzug sollen Palästinensergebiete im Westjordanland Teil Israels werden.

Von Alexandra Föderl-Schmid, Kfar Qasem/ Umm al-Fahm

Der Muezzin ruft, und Esawi Freige bittet ins Innere seines Heims in Kfar Qasem. Dabei hätte der Wirtschaftsprüfer mit seiner donnernden Stimme auch draußen die Rufe übertönt. Denn Freige schreit fast vor Empörung, wenn er über den vor einer Woche vorgestellten US-Nahostplan spricht: "Welcher Plan? Das ist nur ein politischer Spin, ein Trick, eine Wahlkampfhilfe für Benjamin Netanjahu. Und wir, die arabische Bevölkerung, werden als Figuren in einem politischen Spiel missbraucht."

Auch Freige hat einige Tage gebraucht, ehe er auf jenen Aspekt in der auf 181 Seiten niedergeschriebenen amerikanischen "Vision zur Verbesserung des Lebens der Palästinenser und Israelis" stieß, der seine Empörung auslöst: Etwa 350 000 arabische Israelis - mehr als ein Drittel der im Land lebenden Palästinenser - sollen in den palästinensischen Staat transferiert werden. Sie leben in zehn Städten in der Nähe des nördlichen Teils des Westjordanlandes im sogenannten Triangle, dem Dreieck: Nach dem Krieg und der Staatsgründung bestanden die Israelis 1949 bei der Unterzeichnung des Waffenstillstands mit den arabischen Staaten darauf, dass diese Orte aus Sicherheitsgründen in ihr Staatsgebiet fallen. Nun sollen laut dem US-Plan "die Grenzen Israels neu gezeichnet werden, sodass die Triangle-Gemeinden Teil des palästinensischen Staates werden" könnten. Die Rechte der Bürger würden sich dann nach den Vorschriften des neuen Staates richten.

Gleichzeitig sollen die von den circa 450 000 Siedlern im Westjordanland besetzten Gebiete Teil des israelischen Staats werden. Die Annexion kann laut US-Regierung sofort nach der Wahl vorgenommen werden, ein palästinensischer Staat wird erst nach der Erfüllung einer Reihe von Bedingungen in Aussicht gestellt. "Die Siedler rein, die arabischen Israelis raus", nennt Freige diese Formel und bezeichnet die Vorgehensweise als "ethnische Säuberung".

Freige, der an der Hebrew University in Jerusalem Jura studiert hat und bis September sechs Jahre lang als einziger arabischer Abgeordneter für die linke Meretz-Partei in der Knesset saß, empört sich weiter lautstark: "Seit 56 Jahren lebe ich in diesem Staat, ich bin hier geboren. Man gibt uns nicht einmal die Wahl zu entscheiden." Erst wenn es einen souveränen palästinensischen Staat gäbe "und kein Gefängnis", so Freige, könnte man den in Israel lebenden Palästinensern die Frage stellen, wo sie leben möchten. Er sei sicher, die meisten würden sich für den palästinensischen Staat entscheiden.

Auf die Frage, welche Entscheidung er treffen würde, antwortet Freige. "Es ist nicht fair, diese Frage jetzt zu stellen. Zuerst muss die Staatsfrage entschieden werden." Er glaube ohnehin nicht mehr an eine Zweistaatenlösung, weil durch die Siedlungen dies nicht mehr möglich sei. "Es wird auf eine Einstaatenlösung hinauslaufen." Sein Großvater sei unter der türkischen Herrschaft geboren worden, sein noch lebender 80-jähriger Vater während der britischen Mandatszeit, er selbst in Israel. "Mein Sohn ist elf Jahre alt. Ich weiß nicht, in welchem Staat er einmal sein Leben beenden wird." Man könne sich das kaum vorstellen, "wenn einfach mit einem Federstrich 350 000 Menschen von ihrem Staat entfernt werden, in dem sie aufgewachsen sind."

Erstaunt habe ihn der Vorschlag nicht, denn Ex-Verteidigungsminister Avigdor Lieberman von der nationalistischen Partei Unser Haus Israel hat den Plan häufiger zur Diskussion gestellt. "Für mich war überraschend, dass Trump das übernommen hat." Er habe wohl seinen Freund Netanjahu gefragt: "Was willst du, wie kann ich dir im Wahlkampf helfen? Schreib es auf, ich übernehme es." Durch dieses Angebot solle Lieberman die Türe geöffnet werden, damit dieser wieder in die Koalition einsteige und Netanjahu nach der Parlamentswahl am 2. März erneut Ministerpräsident werden könne, meint Freige.

Das Schweigen seiner Parteigenossen bereite ihm richtig Sorgen

Er selbst wurde von der Partei, die mit der Arbeitspartei gemeinsam in einem Bündnis antritt, nur auf dem aussichtslosen elften Listenplatz gereiht. Darüber sei er enttäuscht", gibt Freige zu. Aber "richtig Sorgen" mache ihm etwas anderes: "Das Schweigen meiner jüdischen Freunde. Ich hätte erwartet, dass sie sagen, hier ist eine rote Linie überschritten worden."

David Goldman, der in Kfar Qasem und Petach Tikwa eine Marmorfabrik betreibt, findet "schlicht verrückt", dass hier der Grenzverlauf verschoben werden soll. Denn er frage sich, wie man das praktisch umsetzen wolle. Er selbst beschäftigt fast nur arabische Israelis als Arbeiter, und seine Produktionsstätte wäre dann womöglich auf palästinensischem Gebiet. "Vielleicht hat man sich zu wenig Gedanken gemacht, wie die Realität vor Ort aussieht", meint der 55-Jährige, ehe er in seinen Pick-up springt. "Über andere Teile kann man aber reden", ruft er aus dem offenen Fenster und fährt los.

Unter den circa 25 000 Bewohnern in Kfar Qasem leben nur etwa 40 Juden, die meisten von ihnen sind mit Palästinensern verheiratet. Eine ist Golda, die ihren Nachnamen nicht in der Zeitung lesen will. "Aus Angst vor Bedrohungen. Denn dieser Plan sät Zwietracht, das ist das Schlimme daran. Auch wenn er nie umgesetzt wird."

Sechzig Kilometer von Kfar Qasem entfernt befindet sich in der Stadt Umm al-Fahm, die etwa 56 000 Einwohner zählt, die einzige Galerie in den arabischen Orten im Triangle. Gründer Sayid Abu Shaqra hat sich zum Ziel gesetzt, nicht nur Kunst von Palästinensern und Israelis auszustellen, sondern auch eine Begegnungszone zu schaffen. Und so wie sich ein rotes Band des Künstlers Doron Gazit um das Haus windet, in dem sich die Galerie befindet, sieht der Palästinenser auch die Orte des Dreiecks und Israel eng verbunden. "Ich versuche seit Jahren hier eine neue Art von Dialog zustande zu bringen. Und all diese Bemühungen werden jetzt zerstört durch diese Vorschläge."

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SZ vom 08.02.2020/mxh
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