Süddeutsche Zeitung

Israel:Die blau-weiße Stunde

Neue Zeiten in Israel: Benny Gantz soll nach Benjamnin Netanjahus Scheitern eine Regierung bilden. Ob er es schafft, ist fraglich.

Von Alexandra Föderl-Schmid, Tel Aviv

Nun ist der Herausforderer am Zug: Nach dem Scheitern von Benjamin Netanjahu soll Benny Gantz die Regierung bilden. Zum ersten Mal seit mehr als elf Jahren würde damit jemand anderes als Benjamin Netanjahu den Auftrag erhalten, eine Regierung für Israel zu formieren. Der Spitzenkandidat des in der politischen Mitte angesiedelten blau-weißen Bündnisses gab am Dienstag die Richtung für die Verhandlungen vor: "Wenn jeder weiß, dass er ein bisschen etwas aufgeben muss, dann wird es für jeden mehr Raum geben."

Gantz sagte aber nicht, von welchen Bedingungen er abrücken will. Weder sein Mitte-links-Lager noch Netanjahus rechter Block hat nach der Parlamentswahl am 17. September eine Mehrheit. Eine Koalition aus Blau-Weiß und Netanjahus rechtsnationalem Likud käme zusammen auf 65 Mandate und damit auf mehr als die erforderlichen 61 der 120 Sitze in der Knesset. Gantz könnte auch eine Minderheitsregierung mit der Arbeitspartei und der linken Meretz bilden. Sogar wenn sich noch Avigdor Liebermans nationalistische Partei Unser Haus Israel anschließen würde, wäre dieses Kabinett jedoch auf die Tolerierung durch die arabischen Parteien angewiesen - eine Konstellation, die der ehemalige Generalstabschef ausgeschlossen hat.

Mehrmals hat Gantz außerdem erklärt, er wolle nicht mit jemandem in einer Regierung sitzen, der von einer Anklage betroffen sei. In den nächsten Wochen will Generalstaatsanwalt Avichai Mandelblit entscheiden, ob es gegen Netanjahu zu Anklagen wegen Korruption kommt. In einer Anhörung Anfang Oktober hatten Netanjahus Anwälte noch einmal versucht, die Vorwürfe zu entkräften. Dem Vernehmen nach hofft Netanjahu, dass die Anklage wegen Bestechlichkeit fallen gelassen wird und ihm nur die aus seiner Sicht geringeren Vorwürfe von Untreue und Betrug zur Last gelegt werden. Als Ministerpräsident müsste er erst im Falle einer Verurteilung zurücktreten, als Minister hingegen müsste er bereits bei einer Anklageerhebung seinen Posten aufgeben.

Sollte Netanjahu angeklagt werden, dürfte es Rücktrittsaufforderungen aus seiner Partei geben. Im Likud wächst bereits der Unmut: An einem Treffen vor eineinhalb Wochen, bei dem das Zentralkomitee des Likud seine Unterstützung für Netanjahu als Regierungschef kundtun sollte, nahm nur ein Bruchteil der Mitglieder teil. Der ehemalige Bildungs- und Innenminister Gideon Saar, ein Likud-Politiker, erklärte bereits öffentlich, er stünde für die Nachfolge bereit. Generalstaatsanwalt Mandelblit könnte also die Regierungsbildung entscheidend beeinflussen, wenn er rasch seine endgültige Entscheidung über die Anklageerhebungen bekannt gibt.

Kommt keine Regierung zustande, müssten die Israelis bis 10. März erneut wählen

28 Tage - bis spätestens 21. November - hat Gantz für Verhandlungen Zeit, sobald er von Präsident Reuven Rivlin das Mandat erhalten hat. Scheitert der 60-Jährige mit der Regierungsbildung, kann in den folgenden 21 Tagen eine Mehrheit von Knesset-Abgeordneten dem Präsidenten einen Kandidaten für das Amt des Ministerpräsidenten vorschlagen: Das könnten erneut Netanjahu oder Gantz sein. Diese Frist für das Vorschlagsrecht der Abgeordneten läuft spätestens am 12. Dezember ab. Bis Mitte Dezember will auch der Generalstaatsanwalt seine Entscheidung über die Anklagen gegen Netanjahu bekannt geben.

Einigt sich die Mehrheit der Abgeordneten auf keinen Kandidaten, müssten spätestens am 10. März Parlamentswahlen stattfinden - das wären die dritten binnen eines Jahres. Bis zum Antritt der neuen Regierung könnte Netanjahu weiterregieren. Die Parlamentswahl im September hatte Blau-Weiß mit einem Sitz Vorsprung vor Netanjahus Likud gewonnen. Präsident Rivlin hat jedoch Netanjahu zuerst den Regierungsbildungsauftrag erteilt, weil dieser mehr Empfehlungen von Abgeordneten hatte.

Netanjahu hat am Montagabend - und damit zwei Tage vor Ablauf der Frist - das Mandat zurückgegeben. Er hatte zur Bedingung gemacht, dass Blau-Weiß der bisherigen Rechtskoalition beitreten solle. Sie besteht aus dem Likud, den zwei ultraorthodoxen Parteien Schas und Vereinigtes Tora-Judentum sowie der Partei Neue Rechte. Netanjahu wollte so mithilfe eines Rotationsmodells im ersten Teil der Legislaturperiode Ministerpräsident bleiben.

Am Dienstag erhielt sein Rivale Benny Gantz von einem von Netanjahus bisherigen Koalitionspartnern Signale der Gesprächsbereitschaft: Ajelet Schaked, Spitzenkandidatin des Bündnisses Neue Rechte, das den Siedlern nahesteht, schrieb auf dem Kurznachrichtendienst Twitter, wenn ihre Partei zu Verhandlungen eingeladen werde, würde sie kommen. Schaked fügte jedoch hinzu, dass es besser wäre, Gespräche mit dem rechten Block zu führen. Gleichzeitig warnte Ajelet Schaked: "Eine weitere Wahl ist unnötig und schädlich."

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SZ vom 23.10.2019
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