Süddeutsche Zeitung

Israel:Der Neue soll's richten

Die Architekten der Nahost-Friedenspolitik hoffen nach der jüngsten US-Kehrtwende auf Benny Gantz. Sollte dieser demnächst Premierminister werden, könnte es wieder Verhandlungen mit den Palästinensern geben.

Von Alexandra Föderl-Schmid, Tel Aviv

Die beiden haben in den Neunzigerjahren das Oslo-Abkommen verhandelt, das die Lösung für den Nahostkonflikt und den Palästinensern einen eigenen Staat bringen sollte: der Israeli Jossi Beilin und der Palästinenser Saeb Erekat. Die beiden Chefunterhändler eint, dass sie sich nach der jüngsten Aussage des US-Außenministers Sorgen um den Friedensprozess machen. Mike Pompeo sagte, die Siedlungen von Israelis im besetzten Westjordanland würden per se nicht gegen internationales Recht verstoßen. Im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung kommen sie jedoch zu unterschiedlichen Schlüssen über die Auswirkungen der jüngsten US-Kehrtwende in der Nahostpolitik.

Der 71-jährige Beilin ist der Ansicht, "es wird nichts am Boden verändern". Denn es stelle sich nicht die Frage nach dem rechtlichen Status der Siedlungen, sondern: "Was ist der Grund, israelische Siedlungen in der Mitte von einem palästinensischen Staat zu haben? Die Frage ist, ob es weise ist?" Er gibt sich selbst die Antwort: "Nein, es ist dumm!" Die Siedler, die sich im Westjordanland niederließen, bräuchten keine Bestätigung: "Sie fordern schon jetzt Tag und Nacht die Annexion." Die neue US-Position mag aber als "eine Art Ermutigung für diese Forderungen" gesehen werden, räumt der frühere Außen- und Justizminister sowie Weggefährte von Ministerpräsident Jitzhak Rabin ein.

Insgesamt leben mehr als 400 000 jüdische Siedler im besetzten Westjordanland

Der 64-jährige Erekat befürchtet nun eine dramatische Verschlechterung der Position der Palästinenser im Westjordanland: "Die Siedler stehlen schon jetzt Land und Wasser von den Palästinensern. Trump will, dass Israel noch mehr von unserem Land annektiert. Was bleibt dann noch übrig für die Palästinenser?" Er fordert einen palästinensischen Staat innerhalb der Grenzen von 1967.

Israel hat das Westjordanland im Sechstagekrieg 1967 von Jordanien erobert und besetzt. Im Gegensatz zu den damals ebenfalls eroberten Golanhöhen und Ostjerusalem hat es das Westjordanland nicht annektiert. Israel begann jedoch schon bald nach der Besetzung, Siedlungen anzulegen. Den Siedlungsbau betrachtet der Großteil der internationalen Gemeinschaft als illegal, denn die Genfer Konvention verbietet es einer Besatzungsmacht, Teile seiner eigenen Zivilbevölkerung in besetztes Territorium zu überführen. Doch seit Jahren bauen die Regierungen in Israel - auch unter der Führung der Arbeitspartei - die Siedlungen immer weiter aus und schaffen damit Fakten.

Inzwischen gibt es mehr als 200 Siedlungen. Einige von ihnen haben sich zu Städten mit mehr als 30 000 Einwohnern ausgewachsen, manche sind praktisch Vororte von Jerusalem. Rings um Jerusalem, dessen Ostteil von den Palästinensern als die Hauptstadt ihres künftiges Staates beansprucht wird, stehen die größten Siedlungsblöcke: Insgesamt leben mehr als 400 000 Siedler aus Israel im besetzten Westjordanland und weitere 200 000 in Jerusalem. Siedler, die dort wohnen, können frei nach Israel einreisen. Palästinenser dagegen brauchen, wenn sie nach Israel wollen, eine Erlaubnis.

Auch die USA hatten sich 1978 in einem Rechtsgutachten darauf festgelegt, dass zivile Siedlungen in besetzten Gebieten nicht mit dem Völkerrecht vereinbar seien. Auf dieser Grundlage haben US-Regierungen die israelische Siedlungspolitik wiederholt stark kritisiert. Ex-Außenminister John Kerry hatte die Siedlungen als "illegal" bezeichnet, was sein Nachfolger Pompeo nun kritisierte. Rechtsfragen zu Siedlungen sollten israelische Gerichte klären.

Aus Sicht der Bundesregierung und der meisten andern Staaten bricht Israel das Völkerrecht

Die USA haben noch 2016 im UN-Sicherheitsrat der Resolution 2334 zugestimmt. Deren zentrale Punkte sind: "Israels Siedlungsbau in den besetzten Palästinensergebieten seit 1967, einschließlich von Ost-Jerusalem, verstößt gegen internationales Recht und gefährdet die Vision von zwei Staaten, die in Frieden und Sicherheit Seite an Seite leben." Rupert Colville, Sprecher des UN-Hochkommissariats für Menschenrechte, bekräftigte diese Haltung am Dienstag. Man werde "die langjährige Position der Vereinten Nationen vertreten, dass die israelischen Siedlungen gegen das Völkerrecht verstoßen." Auch die deutsche Bundesregierung teilt diese Ansicht in einer Stellungnahme: "Der Siedlungsbau ist aus Sicht der Bundesregierung völkerrechtswidrig, beeinträchtigt die Möglichkeit eines Friedensprozesses und erschwert eine verhandelte Zwei-Staaten-Lösung."

Auch Beilin ist der Ansicht, dass sich die beiden Seiten rasch einigen könnten: "Lösungs- und Kompromissvorschläge sind da, es ist alles vorhanden für ein Abkommen. Wir bräuchten für einen Abschluss nicht allzu viel Zeit." In Oslo und bei Folgekonferenzen waren Interimsabkommen festgelegt worden mit dem Ziel, dass die von Israel verwalteten Gebiete schrittweise an die Palästinenser übergeben werden und in ein dauerhaftes Abkommen münden - das ist nicht geschehen. "Das war ein harter Schlag", sagt Beilin. Für ihn ist der Oslo-Prozess aber noch nicht tot.

Einig sind sich Beilin und Erekat in der Einschätzung, dass unter Netanjahu keine Fortschritte im Friedensprozess zu erwarten sind: "Netanjahu setzt auf Landraub, Besatzung, Annexion und Siedlungen. Was die Israelis und Palästinenser wirklich brauchen, ist Frieden. Es gibt nur eine Formel: Gleichberechtigung", sagt Erekat. Nach Einschätzung von Beilin werde es mit den Palästinensern Verhandlungen geben, sollte Benny Gantz demnächst Premierminister werden. Die Frist des Spitzenkandidaten des blau-weißen Parteienbündnisses zur Regierungsbildung läuft an diesem Mittwoch um Mitternacht ab. "Es ist keine Frage, dass dieser Mann Frieden viel stärker befürwortet als Netanjahu. Ich bin sicher, dass er ernsthaft mit den Palästinensern verhandeln würde", sagt Beilin. Gewählt hat er ihn zwar nicht. "Aber man sollte ihm eine Chance geben."

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SZ vom 20.11.2019
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