Coronavirus:Israelische Behörde warnt: Zweite Welle beginnt

Coronavirus - Israel

Ramla, Israel: Ein Mitarbeiter eines Krankenhauses macht in Schutzkleidung einen Abstrich für einen Corona-Test. Die Zahl der Neuinfektionen im Land ist stark gestiegen.

(Foto: dpa)

Mitte Mai wurden 16 Neuinfizierte am Tag gezählt, nun sind es 300. Regierungschef Netanjahu hatte dazu aufgerufen, "einen draufzumachen", will jetzt aber offenbar wieder den Geheimdienst einschalten.

Alexandra Föderl-Schmid, Tel Aviv

In den vergangenen Tagen sind Wissenschaftler in Israel davor zurückgeschreckt, von einer zweiten Welle der Ausbreitung des Corona-Virus zu sprechen. Am Samstag hat nun als erste Behörde das "Nationale Zentrum für Information und Wissen im Kampf gegen das Coronavirus" offiziell davor gewarnt, dass Israel am Beginn einer zweiten Welle stehe. Wenn nicht "in den nächsten Tagen" Maßnahmen ergriffen würden, werde es Tausende Neuinfektionen pro Tag geben und die Sterberate werde um einige hundert Menschen steigen.

In seinem Bericht listet das Zentrum auf, dass im Vergleich zu den Monaten März und April mehr Jüngere erkranken. Der Anteil der über 65-Jährigen ist von 13 auf 8,7 Prozent gesunken. Positiv sei, dass das Gesundheitssystem nun besser gerüstet sei.

Die Behörde reagiert damit auf den starken Anstieg an Neuinfektionen in den vergangenen drei Wochen. Bis Mitte Mai galten in Israel sehr strenge Ausgangsbeschränkungen, ab dann wurde mit Lockerungen und der Öffnung der Schulen begonnen - alle dürfen gleichzeitig in die Klasse, wenn auch mit Maske. In einem Jerusalemer Gymnasium wurden Dutzende Neuinfektionen registriert, in einer Schule in Jaffa am Wochenende 43. Mitte Mai wurden in Israel nur noch 16 Neuinfizierte pro Tag gezählt, inzwischen sind es etwa 300. Mit 305 Toten und 20 633 Infizierten hat Israel bisher vergleichsweise geringe Zahlen.

Die Regierung hat im Mai, anders als viele Länder in Europa, nicht schrittweise die Maßnahmen gelockert, sondern abrupt. Ministerpräsident Benjamin Netanjahu forderte seine Landsleute sogar auf, "einen draufzumachen". Die Pflicht zum Tragen von Masken gilt zwar in der Öffentlichkeit, aber daran halten sich viele nicht - trotz drohender Strafen. In Tel Aviv sind Strände und Lokale wieder voll.

Am Sonntag hat Netanjahu nun zum Auftakt der Regierungssitzung von einem "erneuten Ausbruch des Virus" gesprochen. Die Israelis müssten ihr Verhalten ändern. "Alle Vorhersagen über die Verbreitung sind düster." Für Montag berief er eine Kabinettssitzung ein, um Maßnahmen zur Bekämpfung des Coronavirus zu beraten. Das Gesundheitsministerium rief die Krankenhäuser auf, wieder spezielle Abteilungen für Covid-19-Patienten einzurichten.

Inzwischen wurden 177 Schulen wieder geschlossen

Auf die jüngste Entwicklung hat die Regierung widersprüchlich reagiert: Trotz des Anstiegs der Zahl der Corona-Infektionen durften an diesem Wochenende Theater, Kinos und Konzertsäle wieder öffnen - für maximal 250 Personen. Von Montag an soll auch der Zugverkehr im Land nach drei Monaten Stillstand wieder aufgenommen werden.

Gleichzeitig wurden am Wochenende einzelne Viertel im Tel Aviver Stadtteil Jaffa und zwei Beduinen-Kommunen im Süden des Landes abgeriegelt. Für Schulen wurde vorgegeben, dass sie den Unterricht einstellen müssen, sobald auch nur ein Corona-Fall aufgetreten ist. Inzwischen wurden 177 Schulen im ganzen Land wieder geschlossen. Manche sind seit Ende Mai zu - also seit zwei Wochen nach der Öffnung.

Zu diesem Zeitpunkt waren etwa die Hälfte der Neuinfektionen auf das Umfeld von Schulen zurückzuführen. Inzwischen hat sich das Virus in weiteren Kreisen der Bevölkerung verteilt und ist auch nicht mehr auf lokale Hotspots begrenzt, warnt die Behörde.

Vor einem erneuten Lockdown schreckt die Regierung angesichts der schwierigen Wirtschaftslage mit einer Arbeitslosenrate von rund 20 Prozent zurück. Laut israelischen Medienberichten prüft Netanjahu, wieder den Inlandsgeheimdienst Schin Bet mit der Überwachung zu beauftragen, um Infektionsketten unterbinden zu können. Der Geheimdienst hatte auf eigenen Wunsch diese Aufgabe Anfang Juni abgegeben.

In dem im März eingerichteten nationalen Zentrum zur Corona-Bekämpfung arbeiten vor allem Geheimdienstexperten der Armee. Ein führender Epidemiologe des Landes bezeichnete den Bericht als "unseriös", weil an der Erstellung keine Gesundheitsexperten beteiligt waren. Andere Wissenschaftler bestätigten die Kernaussagen und Warnungen des Berichts.

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