Neuer Bundesaußenminister in IsraelEine Reise, um Zeichen zu setzen

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Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu empfing Außenminister Johann Wadephul am Sonntag in seinem Amtssitz in Jerusalem.
Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu empfing Außenminister Johann Wadephul am Sonntag in seinem Amtssitz in Jerusalem. (Foto: Michael Kappeler/dpa)

Bei seinem Antrittsbesuch in Jerusalem versichert Außenminister Johann Wadephul Israel unverbrüchliche deutsche Unterstützung – er äußert aber auch behutsam Kritik an der Regierung in Jerusalem.

Von Sina-Maria Schweikle, Jerusalem

Yad Vashem, das ist der Ort, der an das Grauen des Holocausts gemahnt. Erst am Vorabend in Israel angekommen, steht der neue deutsche Außenminister Johann Wadephul nun in der Gedenkstätte, die an die sechs Millionen in Deutschland ermordeten Jüdinnen und Juden und die singulären Verbrechen des Naziregimes erinnert. Am Sonntagmorgen legte Wadephul im Beisein des israelischen Außenministers Gideon Saar einen Kranz in der Gedenkhalle von Yad Vashem nieder. „Es ist eine bleibende Verantwortung, das von Deutschland begangene unermessliche Unrecht nicht in Vergessenheit geraten zu lassen, der Opfer zu gedenken, die Überlebenden zu würdigen und aus der Schoah die richtigen Lehren für die Zukunft zu ziehen“, erklärte Wadephul im Anschluss.

Nur zwei Jahrzehnte nach dem Holocaust nahmen Israel und Deutschland am 12. Mai 1965 diplomatische Beziehungen auf. Von einem „Wunder“ sprachen viele. „Ein kostbares, niemals selbstverständliches Geschenk“, nennt es der CDU-Politiker Johann Wadephul. Die offiziellen Feierlichkeiten zum 60. Jahrestag dieser besonderen Beziehung beginnen zwar erst am Montag mit dem Doppelbesuch – erst kommt der israelische Präsident Isaac Herzog nach Deutschland, dann fährt Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier nach Israel –, doch Wadephuls Besuch am Wochenende setzt den ersten Akzent.

Eine fragile Freundschaft zwischen Täter und Opfer

Seit weniger als einer Woche ist der neue Außenminister im Amt, schon wird ihm in Israel ein diplomatischer Balanceakt abverlangt. Vielleicht kommt es ihm sogar gelegen, diese Reise so kurz nach seiner Ernennung antreten zu können. Um ein Zeichen zu setzen: Deutschland steht fest an Israels Seite.  In den knapp 24 Stunden hatte Wadephul ein volles Programm: Er traf sich mit Angehörigen der Geiseln, gedachte in Yad Vashem der Gräuel des Naziregimes und führte auch ein Gespräch mit dem israelischen Premierminister Benjamin Netanjahu, gegen den ein Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofs wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen vorliegt. Außerdem besichtigte der Minister eine aktive Arrow-3-Luftabwehrbatterie und erhielt eine Einführung in das System, das künftig auch in Deutschland zum Einsatz kommen soll. In Ramallah im Westjordanland stand ein Treffen mit dem palästinensischen Ministerpräsidenten Mohammed Mustafa auf dem Terminplan.

Natürlich ist dieser Besuch von der historischen Last der deutsch-israelischen Beziehungen geprägt – einer fragilen Freundschaft zwischen Täter und Opfer. Doch die gegenwärtige politische Lage in Israel und dessen Vorgehen in Gaza zwingt Wadephul, klare Positionen zu beziehen. Seit 19 Monaten tobt ein brutaler Krieg zwischen Israel und der Hamas in dem schmalen Küstenstreifen. Die Vorwürfe gegen die israelische Regierung, sie verstoße mit ihrer Kriegsführung gegen das Völkerrecht, werden lauter.

Die besondere Verantwortung Deutschlands gegenüber Israel steht für Wadephul außer Frage. In Israel bekräftigte er, dass die Sicherheit des Landes Teil der deutschen Staatsräson sei, wie es Altkanzlerin Angela Merkel 2008 in der israelischen Knesset formulierte. Doch nach einem Gespräch mit Außenminister Gideon Saar, den er freundschaftlich duzte, fragte Wadephul auf der anschließenden Pressekonferenz: „Was heißt das, und was heißt das nicht?“ Es bedeute, Israel in jeder Bedrohungslage beizustehen, um die Sicherheit seiner Bürger zu gewährleisten. Es bedeute jedoch nicht, „dass Kritik am Verhalten, an Äußerungen von Personen des öffentlichen Lebens, Parteien oder der Regierung verboten wären“.

Der Minister spricht sich für die Zweistaatenlösung aus

Und diese Kritik gibt es reichlich, insbesondere am israelischen Vorgehen im Gazastreifen. Erst kürzlich hat die Knesset beschlossen, Hunderttausende Menschen in den Süden des Gazastreifens zwangsumzusiedeln, angeblich zu ihrer eigenen Sicherheit. Der Plan sieht auch die vollständige Besetzung des Gazastreifens vor. Bezalel Smotrich, Israels Finanzminister und prominente Stimme der extremen Rechten, fordert offen die „vollständige Zerstörung“ Gazas. Seit dem Hamas-Angriff am 7. Oktober 2023 sind Zehntausende Palästinenserinnen und Palästinenser getötet worden, unter ihnen 18 000 Kinder. Seit Monaten dringen keine Hilfsgüter mehr in den Küstenstreifen. Eine neue Initiative soll nun dabei helfen, dringend benötigte Lebensmittel im Gazastreifen zu verteilen, unter Umgehung der Hamas. Israel hat seine Unterstützung für den Plan zugesichert.

Für Wadephul ist das offenbar Anlass genug, den Vorwurf eines völkerrechtswidrigen Handelns durch Israel als unbegründet zurückzuweisen. Dennoch wird die Freundschaft der beiden Staaten einer Belastungsprobe unterzogen wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Eine beklemmende Frage steht im Raum: Wie weit darf Israel, ein Land, das den Überlebenden der Schoah einst Schutz und Heimat bot, 60 Jahre nach seiner Gründung gehen, ohne selbst zum Täter zu werden?

Diese Frage dürfte auch Johann Wadephul umtreiben. Seit Langem spricht er sich für eine Zweistaatenlösung aus, die er zuletzt als „beste Chance für Frieden und Sicherheit“ bezeichnete. Auf seiner Reise bekräftigt er diesen Standpunkt. Die humanitäre Lage der Palästinenser im Gazastreifen sei unerträglich, betont er. Es müssten ernsthafte Verhandlungen über einen Waffenstillstand geführt werden. Sie sollten sowohl die Versorgung der Palästinenser sicherstellen, als auch die Freilassung der verbliebenen Geiseln zum Ziel haben. Deren Schicksal habe für Deutschland „oberste Priorität“, betonte Wadephul, der sich unmittelbar nach seiner Ankunft mit Angehörigen der Geiseln getroffen hatte.

Wadephul und Netanjahu nach einem Gespräch im Amtssitz des Regierungschefs.
Wadephul und Netanjahu nach einem Gespräch im Amtssitz des Regierungschefs. (Foto: Michael Kappeler/dpa)

Auf seiner Reise spart Wadephul nicht mit leisen, aber deutlichen Worten der Kritik am Vorgehen der israelischen Regierung im Gazastreifen. So kündigte er bereits im Vorfeld der Reise an, gezielt nachzufragen, was hinter der kürzlich angekündigten Änderung der militärischen Strategie stecke. Die Antwort nach dem Treffen mit dem Außenminister: „Ich bin nicht sicher, ob so alle strategischen Ziele Israels erreicht werden können und ob dies langfristig der Sicherheit Israels dient.“ Mit diesen Worten deutet er an, dass er für einen langfristigen und diplomatischen Lösungsansatz plädiert, einen Ansatz, der mehr Dialog und weniger Eskalation beinhaltet.

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SZ PlusKommentar von Kristiana Ludwig

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