Israels Premierminister Naftali Bennett ist allein zu Haus. Keiner da, dem er abends von den Mühen des Regierens erzählen kann. Niemand, der einfach mal zuhört, wenn er über die Gefahren durch die neue Omikron-Variante sprechen will. Die Familie ist für die Chanukka-Ferien ins Ausland geflogen - und zur häuslichen Einsamkeit kommt nun für den Regierungschef hinzu, dass dieser Urlaubstripp zur ersten größeren politischen Aufwallung seit seinem Amtsantritt vor sechs Monaten geführt hat.
Denn diese Erholungsreise seiner Frau Gilat und der vier Kinder will so gar nicht passen zur Politik des Premiers, der beim Auftauchen der neuen Coronavirus-Variante sofort auf Alarm und Abschottung umgeschaltet hat. Bevor die Mutante überhaupt einen Namen hatte, beschwor er vorige Woche auf einer eilig einberufenen Pressekonferenz kurz vor Sabbat-Beginn schon einen nationalen Notstand herauf. Rund 50 afrikanische Staaten wurden sofort auf eine rote Verbotsliste gesetzt und Israels gerade erst wieder geöffnete Grenzen für die Einreise von Ausländern dicht gemacht.
Den Landsleuten rief Bennett zu: "Ich empfehle, im Moment nicht ins Ausland zu fliegen. Die Regierung und die Bürger müssen nun Verantwortung zeigen und vorsichtig sein."
Nicht wenige Israelis haben danach ihre Reisepläne geändert. Doch dass ausgerechnet die eigene Familie sich nicht an die Empfehlung gehalten hat, beschert dem Regierungschef nun mindestens ein Glaubwürdigkeitsproblem, zumal er in seinen Oppositionszeiten immer gern darauf verwiesen hatte, dass Politiker mit gutem Beispiel vorangehen müssten.
Unter Bennetts Führung überstand Israel die vierte Welle ohne Lockdown
Geschichten aus der Rubrik "Wasser predigen und Wein trinken" kannte man schließlich zu Genüge von der alten Führung unter Benjamin Netanjahu. Bennett und seine Koalition aus acht sehr unterschiedlichen Parteien dagegen waren mit dem Versprechen angetreten, mehr Vernunft, Sachlichkeit und Transparenz ins Regierungshandeln zu bringen.
Bennett selbst muss sich das Vertrauen der Bürger besonders hart erarbeiten, denn seine Jamina-Partei verfügt nur über sieben der insgesamt 61 Parlamentssitze des Regierungslagers. Auftrieb hatten ihm die Erfolge der ersten Monate verschafft - die Verabschiedung eines Staatshaushalts, mehr noch der Umgang mit der vierten Corona-Welle. Unter Bennetts Führung wurde sie in Israel ohne Lockdown überstanden, dank einer vorausschauend früh eingeleiteten Booster-Impfkampagne.
Ähnlich entschlossen wollte Bennett nun auch der Omikron-Gefahr begegnen. Mit Genugtuung wurde verbreitet, dass Israel wieder allen anderen als Vorbild dient. Aus Wien zum Beispiel rief der da noch amtierende Kanzler Alexander Schallenberg an, um sich beim Kollegen in Jerusalem Rat zu holen in Zeiten der Gefahr. Das Motto: Israel warnt, die Welt hört zu.
In Bennetts familiärem Kosmos hat das mit dem Zuhören nicht funktioniert. Einwenden ließe sich, dass die Angehörigen des Premiers kein Amt bekleiden und ein Recht auf Privatheit haben, zumal die Auslandsreise nicht illegal, sondern höchstens instinktlos ist. Doch Bennett selbst hat das Private immer wieder politisch werden lassen - als er seine Mutter kameragerecht zur Booster-Impfung für Senioren begleitete oder den neunjährigen Sohn beim Start der Kinder-Impfungen vorzeigte.
Politisch hat Omikron den Premier hart erwischt
Unglücklich klingen nun seine Rechtfertigungsversuche. Man habe inzwischen "mehr über die Variante gelernt und in welchen Staaten sie sich verbreitet hat", erklärte er am Donnerstag. Zudem habe seine Familie das Reiseziel geändert. Ursprünglich war Mauritius geplant, doch das steht auf der roten Liste. Die neue Destination wurde nicht verraten. Versichert wurde nur, dass "alle Vorschriften und Regeln eingehalten" würden, einschließlich der neuen, dreitägigen Quarantänepflicht für Reiserückkehrer.
Dem Vorwurf der Doppelmoral entgeht Bennett so nicht. Aus der Opposition heraus lästert der frühere Likud-Minister Israel Katz über "politische Lügen, die zur Norm werden". Und selbst im eigenen Kabinett kritisiert der für Kommunikation zuständige Minister Joaz Hendel, Bennett gebe "ein schlechtes Beispiel" ab.
Politisch also hat die Omikron-Variante den Premier hart erwischt. Und die Regierung beginnt, die rigiden Anfangsmaßnahmen aufzuweichen. So wurde die in der ersten Aufregung angeordnete Handyüberwachung von potenziellen Virusträgern durch den Inlandsgeheimdienst nach wenigen Tagen wieder eingestellt. Auch beim Thema Reisen scheint Bennett sensibilisiert zu sein. Der TV-Sender Channel 12 meldet, dass der Regierungschef erwägt, eine für diesen Monat geplante Dienstreise in die Vereinigten Arabischen Emirate wegen der Omikron-Unsicherheiten zu verschieben.