Süddeutsche Zeitung

Israel:Zu kriminell fürs Kabinett

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Der vorbestrafte Schas-Parteichef Deri darf nicht Minister sein, urteilt das höchste Gericht. Beschleunigt Netanjahus Regierung nun ihr Projekt, die Justiz zu schwächen?

Von Peter Münch, Tel Aviv

Knapp drei Wochen nach der Machtübernahme wird Israels neue rechts-religiöse Regierung bereits einer schweren Krise ausgesetzt. Auslöser ist das Urteil des Höchsten Gerichts in Jerusalem, das den Innen- und Gesundheitsminister Arye Deri für amtsuntauglich erklärt hat. Der schillernde Chef der ultraorthodoxen Schas-Partei gilt als ein enger Vertrauter von Premierminister Benjamin Netanjahu. Der von den Richtern nun ausgesprochene Bann dürfte der Regierung weitere Motivation und Munition für ihre Pläne liefern, die Justiz zu entmachten. Das Land steht damit vor einer Zerreißprobe und einer möglichen Verfassungskrise.

Das Urteil gegen Deri fiel mit zehn zu eins Stimmen und wird mit dessen krimineller Vergangenheit begründet, die seine Ernennung zum Minister "unangemessen" erscheinen lässt. Wegen Betrugs und Bestechlichkeit war Deri als damaliger Innenminister schon im Jahr 2000 zu einer dreijährigen Haftstrafe verurteilt worden. Nach einer erzwungenen längeren Politikpause kehrte er ins Kabinett zurück und geriet schnell wieder mit dem Gesetz in Konflikt.

Die Richter beugen sich Druck und Drohungen der Politik nicht

Anfang 2022 einigte er sich auf einen Handel mit der Justiz wegen Steuerhinterziehung: Statt erneut ins Gefängnis zu gehen, bekam er nur eine Bewährungsstrafe. Im Gegenzug versprach er, sich aus der Politik zurückzuziehen. Die jetzige Disqualifizierung begründeten die Richter auch damit, dass er gegen diese Zusage schon wenige Monate danach verstoßen hatte. Um ihn in ein Ministeramt zu hieven, hatte die neue Koalition im Eiltempo ein passendes Gesetz durchs Parlament gebracht.

Die Richter demonstrieren mit ihrem Urteilsspruch auch, dass sie sich keinem Druck aus der Politik beugen wollen. Nur einen Tag vor der Anhörung zum Deri-Fall hatte Justizminister Jariv Levin weitreichende Pläne für eine Justizreform vorgestellt, mit der die Macht des Obersten Gerichts deutlich beschnitten werden soll. Noch einen Tag vor dem Urteil hatte ein Schas-Abgeordneter gewarnt, das Gericht würde sich mit einem Spruch gegen Deri "selbst in den Kopf schießen".

Nun gehen die Wogen erwartungsgemäß weiter hoch: Aus der Koalition heraus werden die Richter als "Diktatoren" vom Schlage Putins geschmäht. Die Schas-Partei wirft dem Gericht vor, "die Stimmen von 400 000 Wählern in den Müll" zu werfen, die im November für Deri gestimmt hatten. Justizminister Levin kündigte an, "alles Notwendige zu tun, um das blanke Unrecht gegen Rabbi Arye Deri, gegen die Schas-Partei und gegen Israels Demokratie wiedergutzumachen".

Deri selbst hielt derweil Hof an seinem Jerusalemer Wohnort, wo Hunderte Anhänger Solidarität demonstrierten und Koalitionskollegen in schneller Folge vorbeischauten. Als Erster eilte Netanjahu herbei, der sich hinterher mit dem biblischen Anklang zitieren ließ: "Wenn mein Bruder in Bedrängnis ist, dann komme ich zu ihm."

In den nun auf Hochtouren laufenden Beratungen wird es darum gehen, ob und wie Deri trotz des Urteils in der Politik gehalten werden kann. Er selbst zeigte sich kämpferisch. "Wenn sie uns die Tür verschließen, dann kommen wir durchs Fenster", erklärte er, "und wenn sie das Fenster schließen, dann brechen wir durch die Decke." In jedem Fall werde am Ende dieses Urteil "etwas Gutes" bewirken.

Wird ein Weg gesucht, um Deri im Zentrum der Macht zu halten?

Es wird nicht erwartet, dass Netanjahu sich über den Richterspruch hinwegsetzt, auch wenn es in seiner Koalition Forderungen gibt, das Urteil schlicht zu ignorieren. Nach einem Rücktritt oder einer Entlassung Deris könnte die Regierung jedoch versuchen, die Justizreform noch zu beschleunigen und so zu verschärfen, dass Deri die Rückkehr in ein Ministeramt geebnet wird. Alternativ dazu könnten andere Konstruktionen ersonnen werden, die Deri im Mittelpunkt der Macht halten.

Der Streit um die Justizreform wird sich damit weiter aufheizen. Bereits am vergangenen Samstag waren in Tel Aviv mehr als 80 000 Menschen auf die Straße gegangen, um gegen die Pläne der Regierung zu demonstrieren, die von Kritikern als Anschlag auf die Gewaltenteilung und als Demontage der Demokratie gesehen werden. Für kommenden Samstag ist bereits eine neue Großdemonstration angekündigt worden, zu der nun auch Oppositionsführer Jair Lapid kommen will.

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