Israel:Die Kluft zwischen Premier und Armee

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Brände im Norden Israels nach einem Raketenangriff der islamistischen Miliz Hisbollah. (Foto: Ayal Margolin/Reuters)

„Wer glaubt, wir könnten die Hamas ausschalten, irrt sich“, sagt Militärsprecher Hagari. Benjamin Netanjahu reagiert trotzig. Die fehlende politische Strategie stellt die Armee vor Probleme.

Von Matthias Kolb

Es war eine sehr klare Aussage, die Militärsprecher Daniel Hagari am Mittwoch machte. „Die Hamas ist eine Idee, sie ist eine Partei. Sie ist in den Herzen der Menschen verwurzelt. Wer glaubt, wir könnten die Hamas ausschalten, irrt sich“, sagte er dem TV-Sender Channel 13. Er widersprach damit Ministerpräsident Benjamin Netanjahu, wonach nur „ein Schritt“ fehle für den „totalen Sieg“. Damit meint der Premier das Ende der Herrschaft der islamistischen Terrororganisation Hamas im Gazastreifen.

Wer solche Aussagen mache, so Hagari, streue der israelischen Öffentlichkeit „Sand in die Augen“. Nötig sei eine Vision für die Zukunft des Gazastreifens, in dem Israels Armee seit acht Monaten Krieg gegen die Terrororganisation führt – als Reaktion auf den Überfall vom 7. Oktober mit mehr als 1200 getöteten Israelis. Es brauche eine Alternative für die Hamas auf politischer Ebene, um sie in Gaza zu ersetzen, forderte Hagari.

Israels oberster Soldat beklagt „Sisyphusarbeit“

Netanjahus Büro ließ sofort trotzig mitteilen: Die Armee wisse, dass das Sicherheitskabinett die „Zerstörung der militärischen und Regierungsfähigkeiten der Hamas“ als Kriegsziel definiert habe, und sei „dem natürlich verpflichtet“. Hagari betonte daraufhin, nur über „die Zerstörung der Hamas als Ideologie und Idee“ gesprochen zu haben. Seine Worte seien „aus dem Kontext“ gerissen worden.

Dass Hagaris Aussagen in Israel und von Zeitungen wie der New York Times als Beleg für die „tiefe Kluft“ zwischen Israels politischer und militärischer Führung angesehen werden, liegt auf der Hand. Seit Langem wird in Sicherheitskreisen beklagt, dass sich Netanjahu weigere, über eine Nachkriegsordnung nachzudenken. Der Vorwurf: Seine rechtsextremen Koalitionspartner sind gegen einen nötigen Deal mit der Hamas, und Netanjahu stellt die eigene Macht über das Wohl des Landes. Die fehlende Strategie behindert aber die Streitkräfte. Laut CNN sagte Generalstabschef Herzi Halevi schon im Mai, seine Soldaten müssten im Gazastreifen immer wieder an Orten kämpfen, die man eigentlich zuvor eingenommen hatte. Dies käme einer „Sisyphusarbeit“ gleich.

Soeben konnten israelische Medien auf Einladung der Armee Reporter nach Rafah schicken, wo laut Netanjahu die letzten Kampfverbände der Hamas zerstört werden sollen. Die liberale Zeitung Haaretz zitiert den Kommandeur einer dort aktiven Brigade mit den Worten, dass viele Hamas-Kämpfer in Richtung Chan Yunis geflohen seien – und die Terrororganisation sich auf Guerillataktiken verlagere. Nach den etwa 120 Geiseln, die sich weiter in den Händen der Hamas befinden, suche die Armee in Rafah nicht. Laut Wall Street Journal gehen US-Geheimdienste davon aus, dass nur noch 50 der verschleppten Israelis am Leben sein.

In den israelischen Streitkräften gibt es Sympathie für den von US-Präsident Joe Biden präsentierten Deal mit der Hamas, der neben einer mehrwöchigen Waffenruhe auch die Freilassung der Geiseln beinhalten würde. Dies liegt nicht nur daran, dass nicht alle von ihnen durch Spezialkräfte befreit werden können, wie Hagari oft betont.

Israels Armee warnt Hisbollah-Miliz vor Eskalation

In Sicherheitskreisen erwartet man, dass bald noch mehr Soldaten im Westjordanland nötig sind. Zudem will sich die Armee stärker auf die Hisbollah-Miliz konzentrieren, die seit Monaten Raketen und Drohnen aus Libanon abfeuert. 60 000 Israelis wurden daher in Sicherheit gebracht, und nicht nur Verteidigungsminister Joav Gallant fordert, „die Situation im Norden“ zu verändern, damit die Menschen sicher nach Hause kehren können.

Israels Armee hat bereits „operative Pläne für eine Offensive in Libanon“ genehmigt. Diese Bekanntmachung scheint wie die jüngsten Luftangriffe und die Tötung eines Hisbollah-Kommandeurs 15 Kilometer hinter der Grenzlinie als Botschaft an die Miliz gedacht, nicht weiter zu eskalieren. Allerdings hat die schiitische Hisbollah ihre Angriffe mit einem Waffenstillstand in Gaza verknüpft.

Am Mittwochabend versicherte Israels Generalstabschef Halevi erneut: „Wir haben natürlich unendlich viel größere Fähigkeiten, von denen der Feind meiner Meinung nach nur wenige kennt.“ Zuvor hatte Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah bei der Trauerfeier für den getöteten Hisbollah-Kommandeur erklärt, man sei bereit, ohne Einschränkungen und Regeln zu kämpfen, und Israel müsse „an Land, im Wasser und in der Luft mit uns rechnen“. Er betonte aber, keinen groß angelegten Krieg mit Israel anzustreben.

Nasrallah behauptete zudem, seine von Iran hochgerüstete Organisation verfüge über Stunden an Videoaufnahmen über israelische Stützpunkte und militärisch wichtige Ziele. Am Dienstag hatte die Hisbollah Luftaufnahmen veröffentlicht, auf denen etwa der Hafen von Haifa zu sehen ist, und behauptet, das Material stamme von eigenen Aufklärungsdrohnen. Wenn dies stimmt, konnten die Drohnen unbemerkt etwa 25 Kilometer weit auf israelisches Gebiet eindringen. Die alternative Erklärung, wonach die Hisbollah das Material über Spione in Israel erlangt hat, ist in der innenpolitisch aufgeladenen Stimmung kaum weniger beunruhigend.

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