Auf den Tag genau neun Monate nach dem terroristischen Überfall der Hamas auf Israel, bei dem 1200 Menschen ermordet und mindestens 240 in den Gazastreifen entführt wurden, haben Tausende gegen die in Teilen rechtsextreme israelische Regierung protestiert. Am sogenannten „Tag der Störung“ wurden im ganzen Land Autobahnen, Straßen und Kreuzungen gesperrt sowie der Rücktritt von Premierminister Benjamin Netanjahu gefordert.
Der Nachrichtenagentur Reuters zufolge zogen Demonstranten vor das Haus des Netanjahu-Vertrauten Ron Dermer und riefen: „Totales Versagen! Totales Versagen!“ Für den Abend war ein Marsch zu Netanjahus Privathaus geplant. Bereits am Samstag waren Zehntausende auf die Straßen gegangen, um neben Neuwahlen einen Deal mit der Hamas zu fordern, damit die verbliebenen 120 Geiseln zu ihren Familien zurückkehren können. Allerdings vermuten US-Geheimdienste, dass nur noch 50 der Verschleppten am Leben sind.
Indirekte Verhandlungen zwischen Israel und der Hamas gehen weiter
Diese Forderung unterstützten auch mehr als 150 umsatzstarke Firmen aus der IT- und Finanzbranche, die ihren Angestellten gestatteten, am Sonntag nicht zu arbeiten, sondern zu protestieren. „Das Wichtigste für den Staat Israel ist es, die Geiseln zurückzubekommen“, hieß es in einer Mitteilung, aus der der TV-Sender Channel 12 zitierte.
Während die Demonstranten an Netanjahu appellieren, endlich das Wohl des Landes über seine eigenen politischen Interessen zu stellen, gehen Beobachter von intensiven Verhandlungen in den nächsten Tagen aus. Der jüngste Vorschlag der Hamas wird weiter als gute Arbeitsgrundlage angesehen. Delegationen aus Israel und den USA werden bald in Ägypten erwartet, wie staatsnahe Medien unter Berufung auf hohe Regierungsbeamte meldeten. Ägypten vermittelt wie Katar und die USA zwischen beiden Seiten. Offenbar plant CIA-Chef William Burns ebenfalls eine Reise in die Region.
Israels Militär erklärte nach Angaben von dpa, am Samstag seien bei Nahkämpfen und Luftangriffen 30 Bewaffnete in Rafah getötet worden. Am Sonntag teilte die unter Kontrolle der Hamas stehende Gesundheitsbehörde mit, dass im Gazastreifen mindestens 15 Menschen getötet worden seien. Allein sechs Menschen seien bei einem Luftangriff auf ein Haus in Sawajda im Zentrum des Küstengebiets gestorben.
Im Zuge der israelischen Offensive seien 38 153 Palästinenser getötet und 87 828 verletzt worden, so die Gesundheitsbehörde. Diese Angaben lassen sich nicht unabhängig prüfen. Den Vereinten Nationen zufolge gelten neun von zehn Bewohnern des Gazastreifens als Vertriebene im eigenen Territorium.
Auch an Israels Nordgrenze zu Libanon gingen die Kämpfe zwischen den israelischen Streitkräften (IDF) und der schiitischen Hisbollah in hoher Intensität weiter. Die von Iran finanzierte und ausgerüstete Miliz feuerte am Sonntag mindestens 40 Raketen aus Vergeltung für die Tötung eines hochrangigen Kommandeurs ab. Die IDF hatten am Samstag bekannt gegeben, mit Meitam Mustafa Al Atar eine Schlüsselfigur für die Flugabwehr der Hisbollah getötet zu haben.
Laut Reuters wurde in 24 israelischen Ortschaften Luftalarm ausgelöst, Einwohner flüchteten in Schutzräume. Drei Menschen wurden schwer verletzt. Wegen des seit dem 7. Oktober andauernden Beschusses mit Raketen und Drohnen durch die Hisbollah mussten etwa 70 000 Israelis ihre Häuser verlassen; auch aus dem Süden Libanons sind Zehntausende Menschen fortgezogen. Seit Wochen wächst die Sorge, dass der Konflikt an Israels Nordgrenze in einen offenen Krieg übergeht und die gesamte Region destabilisiert.