Israel:Beisetzung wird zur Demonstration

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Die israelische Grenzpolizei erschießt einen Palästinenser, der an Autismus litt. Demonstranten vergleichen seinen Tod mit dem George Floyds in den USA.

Von Alexandra Föderl-Schmid, Tel Aviv

Vor dem Damaskustor, durch das man Eingang in die Altstadt von Jerusalem findet, war am Montag auch tagsüber die israelische Polizei verstärkt präsent. An zwei Abenden davor hatten sich in Jerusalem und an verschiedenen Standorten in Tel Aviv Hunderte Menschen eingefunden, um wegen der Tötung eines Palästinensers durch einen israelischen Polizisten zu protestieren. Es waren die besonderen Umstände und die Parallelen zu den Ereignissen in den USA, welche die Menschen auf die Straße trieben. Denn der Palästinenser Iyad Halak, den am Samstag israelische Polizisten erschossen haben, war nicht nur unbewaffnet, sondern auch Autist. Der 32-Jährige war, wie jeden Morgen in den vergangenen sechs Jahren, unterwegs zu einer Einrichtung für Menschen mit speziellen Bedürfnissen in der Nähe des Löwentors in der Jerusalemer Altstadt.

Zwei Einsatzkräfte der Grenzpolizei waren zur Einschätzung gekommen, der Palästinenser sei bewaffnet. Rufe, er solle stehen bleiben, hat er nicht verstehen können, erklärte später seine Familie. Nach Darstellung seines Vater habe er nur sein Mobiltelefon in der Hand gehalten. Das Handy habe er erst vor kurzem bekommen. Sein Sohn habe nicht selbst Anrufe tätigen, sondern nur entgegen nehmen können. Denn bei ihm war eine schwere Form des Autismus diagnostiziert worden.

Der Palästinenser lief vor der Polizei davon und versteckte sich in einem Müllraum. Eine Frau, die ihn begleitet hatte, sagte in einem Interview mit einem israelischen TV-Sender, sie habe den Sicherheitskräften zugerufen, dass der Mann behindert sei. Die Polizisten eröffneten dennoch das Feuer. Der Palästinenser wurde, nur wenige Schritte von der Einrichtung entfernt, von zwei Kugeln tödlich getroffen.

Sie fordern: "Gerechtigkeit für Iyad, Gerechtigkeit für George"

Die Demonstranten zogen eine Parallele zwischen dem Tod des Palästinensers und des Afoamerikaners George Floyd in Minneapolis. "Gerechtigkeit für Iyad, Gerechtigkeit für George", stand auf Transparenten und "Iyads Leben zählt". Der Polizist, der geschossen hatte, wurde unter Hausarrest gestellt. Gegen ihn und einen weiteren Beamten wurde eine Untersuchung eingeleitet. Politiker in Israel verurteilten die Tat: Der Vorfall tue ihm "sehr leid", sagte Verteidigungsminister Benny Gantz. Oppositionsführer Jair Lapid, der selbst eine autistische Tochter hat, nannte den Vorfall "herzzerreißend" und fügte hinzu: "Das ist nicht unser Weg."

Auf Wunsch der Familie wurde eine Obduktion vorgenommen. "Die Ergebnisse bestätigen den Verdacht, dass die Polizisten ein Verbrechen begangen haben. Wir erwarten, dass die Verantwortlichen die Untersuchung fortführen und die Polizisten vor Gericht gestellt werden", sagte der Anwalt der Familie, Jad Qadmani. Der Vater des getöteten Palästinensers wurde nach der Autopsie am Sonntag auf eine Polizeistation bestellt. Es wurde eine Vereinbarung über die Route des Begräbniszuges getroffen. Die israelischen Behörden hoben die wegen des Coronavirus vorgeschriebene Begrenzung der Teilnehmerzahl bei der Beerdigungen auf. Damit sollten Ausschreitungen verhindert werden.

Hunderte Palästinenser begleiteten Halak am späten Sonntagabend auf seinem letzten Weg. Der mit einer palästinensischen Flagge bedeckte Leichnam wurde in einem offenen grünen Sarg durch die Straßen von Ostjerusalem getragen. Dabei wurden Rufe nach Rache und nationalistische Slogans laut. Am Freitag war bereits ein Palästinenser im Westjordanland getötet worden, der versucht haben soll, mit seinem Auto in eine Gruppe israelischer Soldaten zu fahren. Laut palästinensischen Angaben sollen seit Jahresbeginn 21 Palästinenser erschossen worden sein.

© SZ vom 02.06.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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