Israel:Auszug aus dem Kabinettssaal

Die Arbeitspartei unter Außenminister Peres ist mit Scharons hartem Kurs nicht einverstanden.

Thorsten Schmitz

(SZ vom 05.12.2001) - Der israelische Außenminister Schimon Peres sei, so schrieb die amerikanische Zeitschrift New Yorker kürzlich in einer großen Reportage, "vermutlich der einzig verbliebene Optimist im Nahen Osten".

Wie um diesem Ruf gerecht zu werden, äußerte sich Peres am Dienstag bei einem Blitzbesuch im rumänischen Bukarest zu Intifada und israelischen Militärschlägen so: "Ich bin zuversichtlich, was die Zukunft des Nahen Ostens betrifft." Wie die aussehen soll, vermag offenbar selbst Peres nicht zu sagen. Denn die Kluft zwischen ihm, dem linken Arbeitspartei-Minister, und dem rechten Regierungschef Ariel Scharon wird von Stunde zu Stunde größer. Schon sprechen israelische Medien von einer "schweren Regierungskrise".

Kurz vor seinem Abflug nach Bukarest zu einer Konferenz der Organisation über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) ließ der Außenminister eine Erklärung veröffentlichen, laut der er nun plötzlich einen Austritt aus der Koalition erwägt.

Bislang hatte der 78 Jahre alte Friedensnobelpreisträger gegenüber parteiinternen Kritikern seinen Verbleib in der Regierung Scharon immer verteidigt. Solange er eine Chance sehe, zusammen mit den Palästinensern ein Ende der Intifada herbeizuführen, werde er mit Scharon regieren.

Als jedoch Montagnacht die Mehrheit der 28 Minister in der Sondersitzung über die Terroranschläge vom Wochenende die palästinensische Autonomiebehörde als eine den Terrorismus unterstützenden Einheit definierte und Militärschläge absegnete, verließ Peres nach einer hitzigen sechsstündigen Debatte den Raum.

Er hatte zuvor Scharon eindringlich gebeten, die Abstimmung um eine Woche zu verschieben. Als Scharon dies verweigerte, ging Peres und mit ihm sieben weitere Minister der Arbeitspartei. Wenig später ließ Peres verbreiten, die Maßnahmen der Regierung Scharon zielten darauf ab, die Autonomiebehörde zu zerstören.

Peres jedoch ist bereit - im Gegensatz zu Scharon -, Palästinenser-Präsident Jassir Arafat noch eine allerletzte Chance einzuräumen, Terroristen und ihre Sympathisanten festzunehmen und vor Gericht zu stellen.

Kurz nach den ersten israelischen Raketenangriffen auf Arafats Hubschrauberlandeplatz in Gaza am Montag erhielt Peres einen Telefonanruf des palästinensischen Sicherheitschefs Mohamed Dachlan. Der bat den Außenminister inständig, Israel möge der Autonomiebehörde eine "Gnadenfrist" von vier Tagen einräumen und es bei der symbolhaften Zerstörung von Arafats Hubschraubern belassen.

Nur dann sei die Autonomiebehörde in der Lage, palästinensische Terroristen von Hamas und Islamischem Dschihad festzunehmen.

Aufschub abgelehnt

Peres war eigenen Angaben zufolge gewillt, den Palästinensern diesen Aufschub zu gewähren, Scharon jedoch lehnte das Ansinnen ab. Scharon steht unter enormem Druck seiner rechten und ultra-rechten Koalitionspartner, die Autonomiebehörde zu bekämpfen. Sie drohen mit ihrem kollektivem Auszug aus der Koalition.

Dennoch wäre ein Rücktritt aller Arbeitspartei-Minister schädlich für Scharons internationales Ansehen. Peres genießt weltweit einen sehr guten Ruf und verfügt über hervorragende Kontakte zu allen westlichen Staatschefs. Scharon ist insofern auf Peres angewiesen, als dieser seiner rechten Regierung das Hardliner-Image nimmt.

Rein zahlenmäßig könnte Scharon hingegen einen Auszug der Arbeitspartei aus seiner großen Koalition verschmerzen: die Regierung verfügte noch immer über die absolute Mehrheit im Parlament, der Knesset.

Obwohl Peres nun mit einem Auszug droht, wird seine Arbeitspartei "Awoda" auf ihrer außerordentlichen Sitzung am heutigen Mittwoch wahrscheinlich den Verbleib in der Regierung beschließen. Denn im Gegensatz zu Peres, der seinerzeit als Premierminister zusammen mit Arafat den Friedensnobelpreis erhalten hat und stets für eine Mischung aus militärischen Schlägen und politischen Gesprächen optiert, wollen Kollegen aus der Arbeitspartei wie Verteidigungsminister Benjamin Ben-Elieser lieber im Amt bleiben.

Glänzende Umfrageergebnisse für Scharon

Auch Verkehrsminister Efraim Sneh, der in der Vorgängerregierung unter Ehud Barak als stellvertretender Verteidigungsminister amtierte und in der Nacht zum Dienstag gegen die Mehrheit im Kabinett stimmte, hält den Regierungssessel für wichtiger als die Oppositionsbank.

Ohnehin sind seit der herben Niederlage der Arbeitspartei bei den Neuwahlen zum Premierminister im Februar dieses Jahres die meisten in der Partei überzeugt, dass die "Awoda" auf Jahre hinaus ihre Chancen auf eine Mehrheit im Land verspielt hat.

Denn obwohl Scharon bislang sein Wahlversprechen von mehr Sicherheit und Schutz für alle Bürger nicht eingelöst hat, erzielt er glänzende Umfrageergebnisse: Mehr als 60 Prozent der Israelis unterstützen den Regierungschef.

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