Süddeutsche Zeitung

Anschlag vor Synagoge:Israel reagiert mit Härte auf Attentate

Haus des palästinensischen Attentäters versiegelt, leichterer Zugang zu Schusswaffen für Israelis, mehr Siedlungsbau: Die rechte Regierung von Benjamin Netanjahu kündigt "harte Hand" an.

Von Alexandra Föderl-Schmid

Zwei Mal binnen weniger Stunden trafen sich in der Nacht zum Sonntag Minister in Israel, um weitreichende Entscheidungen zu treffen. Sie schnürten nach dem schlimmsten Attentat seit anderthalb Jahrzehnten ein Antiterrorpaket mit Maßnahmen, die zum Teil sofort umgesetzt wurden. So wurde das Haus der Familie des Attentäters versiegelt.

Der 21-jährige Palästinenser war am Freitagabend von Polizisten noch am Tatort erschossen worden. Er hatte das Feuer auf Menschen eröffnet, die nach dem Gebet aus einer Synagoge in Ostjerusalem gekommen waren. Sieben Menschen starben. Das Haus der Familie befindet sich im Viertel A-Tur im arabisch geprägten Ostteil Jerusalems. Nach dem Anschlag hatte die Polizei bereits mehr als 40 Menschen aus dem Umfeld des Palästinensers festgenommen.

Experten bezweifeln die Wirksamkeit mancher Maßnahmen

Die neuen Antiterrormaßnahmen sehen vor, dass Wohnungen oder Häuser von Attentätern künftig sofort versiegelt und dann zerstört werden. Weil gegen den Abriss oft Einsprüche vor Gericht erhoben werden, die Verzögerungen bewirken, soll eine Versiegelung die sofortige Blockade des Zugangs sicherstellen. Politikexperte Avi Issacharoff zweifelte in einem Beitrag auf der Nachrichtenseite ynet am Sonntag an der abschreckenden Wirkung dieser Maßnahme: Wenn junge Palästinenser bereit seien, bei einem Anschlag zu sterben, "dann wird auch die Versiegelung eines Hauses oder seine Zerstörung nicht den nächsten Anschlag verhindern".

Außerdem kündigte Netanjahu an, Angehörigen von Attentätern, die Terror unterstützten, soziale Rechte abzuerkennen. Dazu gehört der Entzug israelischer Identitätskarten, des Aufenthaltsrechts und der Arbeitsgenehmigungen. Ob und wie überprüft werden soll, ob jemand Terrorunterstützer ist, blieb offen. "Unsere Antwort auf Terror sind eine harte Hand und eine starke, schnelle und gezielte Reaktion", sagte Netanjahu.

Die neue rechte Regierung, der Rechtsextreme, Siedlervertreter und Ultraorthodoxe angehören, hat die Sicherheit der Bürger Israels als zentrales Anliegen definiert. An der Regierungssitzung soll als "Beobachter" auf Einladung von Netanjahu auch Ariye Deri von der Schas-Partei teilgenommen haben, dessen Absetzung als Innenminister wegen Verurteilungen ein Gericht angeordnet hatte.

Das Sicherheitskabinett traf außerdem die Entscheidung, dass Israelis leichter Lizenzen für Schusswaffen bekommen sollen. Netanjahu sagte am Sonntag vor Beginn der Regierungssitzung, dies ermögliche eine Bewaffnung "Tausender israelischer Zivilisten, inklusive jener, die für Rettungsdienste arbeiten". Diese könne, wenn es darauf ankomme, einen Unterschied machen, denn "heroische, bewaffnete und ausgebildete Zivilisten können Leben retten". Gleich nach dem Anschlag hatte der für die Polizei zuständige rechtsextreme Minister Itamar Ben-Gvir gefordert, Bürger "besser zu bewaffnen, um solche Anschläge zu vermeiden". Er kündigte Schritte an, um eine Todesstrafe für Terroristen zu ermöglichen.

Schlimmster Anschlag seit 2008, nur einen Tag nach israelischer Razzia in Dschenin

Nach dem Attentat am Freitagabend war es am Wochenende zu weiteren Anschlägen gekommen: Ein 13-jähriger Palästinenser verletzte zwei Israelis in Ost-Jerusalem. In der Siedlung Kedumim wurde ein Palästinenser bei einer Messerattacke erschossen. Ein weiterer Mann gab laut israelischem Militär in einem Restaurant in der Nähe der Stadt Jericho einen Schuss ab und flüchtete vom Tatort.

Das Attentat vor der Synagoge war der Anschlag mit den meisten Todesopfern seit 2008. Der Angriff geschah nur einen Tag nach einer Razzia der israelischen Armee in Dschenin, bei der insgesamt zehn Palästinenser getötet wurden. Damit wurden seit Jahresbeginn 33 Palästinenser bei Konfrontationen mit der Armee oder eigenen Anschlägen getötet.

Auf den Anschlag bei der Synagoge reagierten Palästinenser im Gazastreifen und im Westjordanland mit Freudenfeiern. Ein Sprecher der im Gazastreifen herrschenden radikalislamischen Hamas bezeichnete ihn als "Vergeltung für den Überfall der israelischen Armee auf das Flüchtlingslager Dschenin". International wurde der Anschlag, der am Gedenktag für die Holocaust-Opfer verübt wurde, verurteilt - auch von arabischen Staaten.

Netanjahu kündigte als Reaktion auf den Anschlag auch an, dass die Siedlungsaktivitäten im Westjordanland ausgedehnt werden sollen. Damit wolle man "den Terroristen, die uns aus unserem Land entwurzeln wollen, klarmachen, dass wir hier bleiben".

Trotz der Angriffe protestierten am Samstagabend wieder rund 60.000 Menschen in Israel gegen die geplante Justizreform der rechten Regierung, die viele für eine Gefahr für die Demokratie halten. Zum Gedenken an die Anschlagsopfer zündeten Demonstranten in Tel Aviv Kerzen an und hielten eine Schweigeminute ab.

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