Israel:Angst vor der Isolierung

Jüdische Siedlung "Ariel" im Westjordanland

Eine jüdische Siedlung im Westjordanland.

(Foto: AFP)

Viele Israelis befürchten weltweite Ausgrenzung, sollten die Friedensgespräche mit den Palästinensern scheitern. Dazu zählt auch der Boykott israelischer Waren. Premier Netanjahu sieht darin schlicht den alten Antisemitismus im neuen Gewand.

Von Peter Münch, Tel Aviv

Ein Gespenst geht um in Israel - es ist das Gespenst des Boykotts. Weltweit gewinnt eine Bewegung an Kraft, die den jüdischen Staat wegen der Besetzung und Besiedelung der Palästinensergebiete mit einem umfassenden Bannstrahl treffen will.

Konkrete Folgen sind längst zu spüren - für Israels Wirtschaft ebenso wie im wissenschaftlich-akademischen Bereich und im Kulturleben. Weit bedrohlicher noch als die derzeitigen Auswirkungen jedoch ist die Aussicht, dass die Boykottbewegung bei einem Scheitern der Friedensgespräche wie eine mächtige Welle über Israel hereinbrechen könnte. Seitdem sogar der amerikanische Außenminister John Kerry vor dieser Gefahr gewarnt hat, herrscht in Jerusalem Boykottalarm.

Neu ist die Gefahr nicht, doch lange Zeit wurde sie offenbar unterschätzt. Schon 2005 war von palästinensischen Gruppierungen die sogenannte BDS-Bewegung ins Leben gerufen worden, die "Boykott, Desinvestition und Sanktionen" gegen Israel fordert. Propagiert wird eine gewaltlose Art des Widerstandes, der sich grob an Mahatma Gandhi und seiner Spinnrad-Ideologie orientiert. Als Blaupause dient das alte Südafrika, wo die Apartheid mit einem internationalen Boykott bekämpft wurde. Neben propalästinensischen Unterstützergruppen rund um den Globus sammelt sich auch die palästinensische Autonomiebehörde zunehmend hinter dieser Graswurzelbewegung.

Problematischer Aufruf

Israels Premierminister Benjamin Netanjahu sieht in der BDS-Bewegung schlicht den alten Antisemitismus im neuen Gewand. Die Ziele sind jedoch selbst bei jenen nicht unumstritten, die ein härteres Vorgehen gegen die israelische Siedlungspolitik befürworten. Postuliert werden nicht nur ein Ende der Besatzung und gleiche Rechte für die in Israel lebende arabische Minderheit, sondern auch das Rückkehrrecht für alle palästinensischen Flüchtlinge. Im jahrzehntelangen Verhandlungsstreit um einen Frieden ist diese Frage zumindest aus israelischer Sicht zur Chiffre dafür geworden, dass die Palästinenser das Existenzrecht Israels infrage stellen. Bei einer Rückkehr von Millionen Flüchtlingen inklusive ihrer Nachfahren wäre Israel kein jüdischer Staat mehr.

Problematisch wirkt zudem ein Boykottaufruf gegen Israel als Ganzes und nicht nur gegen die illegal im Westjordanland errichteten Siedlungen mit ihren Industrieanlagen und landwirtschaftlichen Flächen. Vor allem aus deutscher Sicht ruft das die Erinnerung wach an die Nazi-Parole "Kauft nicht bei Juden", auch wenn die BDS-Bewegung betont, dass sie keinesfalls antisemitisch ist und obendrein auf die Unterstützung linker Juden in Israel selbst und in der Diaspora verweisen kann.

Zielgerichteter erscheint in jedem Fall ein Boykott allein der Siedlungen. Als ungelöster Widerspruch bleibt jedoch auch dabei das Schicksal von bis zu 30 000 Palästinensern, die mangels anderer Verdienstmöglichkeiten in den Siedlungen arbeiten und damit samt ihren Familien von einem Boykott ebenfalls betroffen wären.

Spürbar ist auch ein auf die Siedlungen ausgerichteter Boykott für die israelische Wirtschaft insgesamt. Dies zeigt das Beispiel des niederländischen Pensionsfonds PGGM, der zu Jahresbeginn seinen Anteil an fünf großen israelischen Banken verkaufte, weil die Geldhäuser auch Geschäfte im besetzten Westjordanland tätigen. Zudem hat der holländische Wasserversorger Vitens die Zusammenarbeit mit den israelischen Mekorot-Wasserwerken beendet, weil die auch Siedler versorgen.

Aufregung um ethisches Investment der Deutschen Bank

Norwegens Regierung hat einer israelischen Investmentgesellschaft den Zugang zu einem staatlichen Pensionsfonds verwehrt. Aufregung löst diese Woche die Deutsche Bank mit einem Angebot für ein ethisch einwandfreies Investment aus, weil dabei die größte israelische Bank Hapoalim auf den Index gesetzt wurde. Zwar verweist die Deutsche Bank auf Anfrage darauf, dass die Indizierung von außerhalb, nämlich von einem dänischen Forschungsinstitut, vorgenommen wurde. Außerdem würden jenseits dieses Angebots weiterhin mit der Hapoalim-Bank Geschäfte gemacht. Doch das schützt nicht vor Angriffen von Regierungspolitikern, die daraus einen neuen deutschen Boykott gegen Juden fabrizieren.

Doch nicht nur in der Regierung ist die Aufregung groß, geklagt wird bis hinunter zu den Siedlern im Jordantal, die wegen der Boykottdebatten auf Exporteinbußen von mehr als 20 Millionen Euro im vorigen Jahr verweisen. In mehreren westlichen Ländern, darunter auch in Deutschland, verzichten große Supermarktketten bereits darauf, Waren aus den besetzten Gebieten zu verkaufen. Innerhalb der EU wird darüber diskutiert, die Siedlergüter zu kennzeichnen.

Selbst in den USA wird das Klima rauer

Zu spüren bekommen den Druck auch Israels Wissenschaftler. Die EU hat in einer Leitlinie vom vorigen Sommer klargestellt, dass kein Forschungsgeld mehr in Institutionen jenseits der israelischen Grenzen von vor 1967 fließen dürfen. Jedes Kooperationsabkommen muss seit Jahresbeginn eine sogenannte Territorialklausel enthalten. Selbst in den USA wird das Klima rauer. Die American Studies Association beschloss im Dezember einen akademischen Boykott Israels. Aufsehen erregte der britische Physiker Stephen Hawking, der im vorigen Sommer die Teilnahme an einer Konferenz in Israel kurzfristig absagte. Er verwies dabei auf palästinensische Kollegen, deren Boykottargumente ihn überzeugt hätten.

Der Kampf tobt auf allen Ebenen, und besonders heftig in der Kultur. Jedes Mal, wenn eine bekannte Pop-Größe einen Auftritt in Israel ankündigt, bricht im Internet ein Shitstorm los. An vorderster Front kämpft dabei der Pink-Floyd-Mitbegründer Roger Waters. Musiker wie Carlos Santana oder Elvis Costello haben bereits geplante Auftritte in Israel abgesagt. Jüngstes Ziel der BDS-Kampagnen war die Schauspielerin Scarlett Johansson. Als sie sich für Werbezwecke von der Firma Soda-Stream anheuern ließ, die unter anderem in einem Industriepark nahe der Siedlungsstadt Maale Adumim produziert, kostete sie dies nach heftiger öffentlicher Aufwallung ihren Status als Botschafterin der Hilfsorganisation Oxfam.

Die anschwellende Boykottbedrohung ist zu einem Streitthema innerhalb der israelischen Regierung geworden. Friedensfreunde wie Justizministerin Tzipi Livni und Finanzminister Yair Lapid warnen ebenso wie US-Außenminister Kerry eindringlich davor, welch negative Folgen bei einem Scheitern der Verhandlungen mit den Palästinensern auf Israel zukommen könnten. Lapid orakelte, dass jeder Israeli das in seinem Geldbeutel spüren werde. Die wirtschaftlichen Schäden lägen in Milliardenhöhe, 10 000 Israelis würden sofort arbeitslos. Wegen der wachsenden Kritik in Europa sieht er sogar Gefahr für den Fortbestand des Assoziierungsabkommens mit der EU, die mit einem Handelsvolumen von 35 Milliarden Dollar Israels größer Handelspartner ist.

Die rechten Kräfte in Israel versuchen, sich gegen die Boykottbedrohung zu stemmen. Ein Gesetz, das Aufrufe zum Boykott unter Strafe stellen soll, wurde nach heftigen Protesten israelischer Menschenrechtsgruppen im Dezember 2012 vom Obersten Gericht auf Eis gelegt, derzeit laufen die Anhörungen. Premierminister Benjamin Netanjahu versammelte jüngst eine Ministerrunde, die Gegenmaßnahmen sondierte. Eine 20 Millionen Euro teure Imagekampagne wird erwogen, mit den westlichen Partnern soll auf Diplomatenebene gesprochen werden, um der BDS-Bewegung den Wind aus den Segeln zu nehmen.

Die Falken im Kabinett dagegen wollen sich von Boykottdrohungen nicht beeindrucken lassen. Wirtschaftsminister Naftali Bennett von der Siedlerpartei Jüdisches Heim argumentiert, dass jegliche Sanktion immer noch besser sei als die Gründung eines Palästinenserstaats. Denn dann, so argumentiert er, drohten Angriffe auf Israel - und das würde der Wirtschaft mehr schaden als jeder Boykott.

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