Süddeutsche Zeitung

Israel:Alles für die Macht

Durch eine politische und religiöse Radikalisierung der Gesellschaft hat Premier Netanjahu die Wahl überstanden. Den Preis dafür zahlt das ganze Land.

Von Stefan Kornelius

Benjamin Netanjahu hat eine Niederlage in seinem siebten Premiers-Wahlkampf abgewendet, indem er Israels Wähler ins Extreme trieb. Schrill, bösartig, brutal - dies war eine der hässlichsten Kampagnen, die das Land je erlebt hat. Netanjahu mag nun in Windeseile an einer Koalition bauen und Splittergruppen im rechten und religiösen Milieu um sich scharen. Ob er damit wieder Premier werden und vor allem über lange Zeit bleiben kann, ist jedoch nicht abgemacht.

Gut möglich nämlich, dass sich dieser Mann mit der Radikalisierung jenen Spielraum verbaut hat, den die Politik in Israel mit ihren wahnwitzigen Koalitionen und ihrer Nachbarschaftspolitik braucht. Netanjahu mag ein gewiefter Taktiker sein, aber seinem Land hat er immer weniger zu bieten.

Israel ist in den vergangenen Jahren innen- wie außenpolitisch unberechenbar geworden. Der neue politische Extremismus geht einher mit religiöser Radikalität. Alles dient einem Ziel: dem Machterhalt des Premiers. Dass ein politischer Novize wie Benny Gantz aus dem Stand mit Netanjahu gleichziehen konnte, zeugt vom Unbehagen vieler Israelis mit der Spaltungspolitik ihrer Führung. Wenn dies vor allem auch ein Votum über die Person des Premiers war, dann hat Netanjahu zumindest nicht gewonnen.

Nationalismus, Populismus und das böse Spiel mit der Identität sind keine israelischen Erfindungen. Sie funktionieren dort aber besonders gut. Israels Politik fügt sich ein in einen globalen Trend, der Mehrheiten verspricht und starke Bundesgenossen verschafft. Putin, Trump, Bolsonaro, Orbán - eine erstaunliche Männerriege ist das, die sich nicht zuletzt bei Benjamin Netanjahu trifft.

Der Premier benutzt die symbolische Kraft Israels zwischen Kulturen und Religionen zu seinem Vorteil. Damit lädt er die Emotionen auf. Er ist ein Revisionist, der allein an Israels Stärke und Abgrenzung glaubt. Die arabischen Staatsbürger, die Palästinenser, ignorierte er im Wahlkampf. Er polarisiert und verlangt nach bedingungsloser Gefolgschaft. Das kommt auch im Ausland gut an - bei Evangelikalen, Radikalchristen, Nationalisten, Muslim-Feinden und allen, die es gerne ein bisschen simpler haben.

Wieder einmal hat hier Donald Trump die Maßstäbe gesetzt. Die Botschaftsverlegung nach Jerusalem und die Anerkennung des 1967 eroberten Golans als israelisches Staatsgebiet haben mit der Überzeugung aus dem Friedensprozess von Oslo nichts mehr zu tun. Oslo bedeutete, dass der Status in der Region nur per Verhandlung und nicht einseitig geändert werden darf. Netanjahu aber führte Trumps Linie weiter, als er die Annexion der Siedlungsgebiete im Westjordanland ankündigte. Seiner Kampagne hat er damit den letzten, entscheidenden Impuls verpasst.

Ob er dieses Versprechen einlösen kann, ist mehr als fraglich. Einige radikale Parteien werden ihn an seinen Worten messen und die Unterstützung einer Regierung an die Annexionsidee koppeln. Dafür wird Netanjahu einen Preis verlangen. Will er etwa die Zustimmung zu einem Immunitätsgesetz, das ihn vor weiterer Strafverfolgung wegen Korruption schützt? Der israelischen Politik sind solche Deals nicht fremd.

Spielraum für radikale Schritte hat Netanjahu indes nicht. Eine Status-quo-Verschiebung im Westjordanland hätte unübersehbare Konsequenzen in der eigenen Nachbarschaft, aber auch weltweit. Momentan wohlgesinnte arabische Staaten werden eine Annexion nicht hinnehmen. Auch die EU-Staaten, Deutschland inklusive, werden sehr schnell ihre Israel-Politik überprüfen und Netanjahu vor einem eklatanten Bruch des Völkerrechts warnen müssen.

Manipuliert Netanjahu das Korruptionsverfahren, riskiert er den Bruch der israelischen Gesellschaft. Schon jetzt überschreitet er mit seinen Tiraden gegen die Justiz die Grenzen der Rechtsstaatlichkeit. Auch wenn sich der Premier mit einem Ring aus radikalen Kräften umgibt, so hat sich doch Israels Demokratie noch immer als widerstandsfähig gegen Missbrauch erwiesen.

Diese Wahl mag Netanjahu um den Preis eines gespaltenen Landes überstanden haben. Er hat überlebt, weil er neue Feindbilder aufgebaut, Tabus gebrochen und Israel immer stärkere autokratische Züge verpasst hat. Jetzt aber werden das Korruptionsverfahren und die Mühen der Koalitionsbildung für Nüchternheit sorgen. Die Schlüsselfrage bleibt: Wird Netanjahu Regeln beugen und das demokratische System deformieren, um sich an der Macht zu halten?

Netanjahu vergleicht sich gerne mit den Großen Israels. Die Amtszeit von Staatsgründer David Ben-Gurion könnte er bald überholt haben. Aber Netanjahu ist kein Ben-Gurion, auch wenn er Israels Schicksal wie alle seine bedeutenden Vorgänger auf das Thema Land und Sicherheit reduziert. Diesem Premier indes fehlt die Integrität und eine Vision, die das blanke Bedürfnis nach Stärke übersteigt.

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SZ vom 11.04.2019
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