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Israel, Ägypten und der Westen:Appell aus Tel Aviv: Unterstützt Mubarak!

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Den Israelis gilt Mubarak als Garant für Stabilität: In einer Mitteilung sollen sie den Westen aufgefordert haben, von öffentlicher Kritik abzusehen. Israels Präsident Peres warnt vor einer Machtübernahme religiöser Fanatiker.

Israel hat die USA und mehrere europäische Länder einem Bericht zufolge in einer geheimen Mitteilung zur Unterstützung der ägyptischen Regierung von Präsident Hosni Mubarak aufgefordert. Es sei "im Interesse des Westens" und des "gesamten Nahen Ostens, die Stabilität des ägyptischen Regimes aufrechtzuerhalten", zitierte die israelische Tageszeitung Haaretz aus der Mitteilung. Die Zeitung berief sich dabei auf israelische Regierungsvertreter.

"Folglich muss jegliche öffentliche Kritik an Präsident Hosni Mubarak gebremst werden", hieß es demnach in dem Schreiben, über das auch der israelische Militärrundfunk berichtete. Die Mitteilung wurde demnach Ende vergangener Woche übermittelt.

Haaretz zufolge schickte das israelische Außenministerium auch entsprechende Anweisungen an mehrere seiner Botschaften in den USA, Kanada, China und in europäischen Ländern. Die dortigen Diplomaten sollen demnach gegenüber ihren Gesprächspartnern stets auf die "Relevanz der Stabilität Ägyptens" hinweisen.

Ein Sprecher des israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu wollte die Informationen auf Anfrage weder bestätigen noch dementieren. Allerdings warnte der israelische Staatspräsident Schimon Peres an diesem Montag vor der möglichen Machtübernahme eines radikalen Islamistenregimes in Ägypten.

Peres sagte nach Angaben des israelischen Armeesenders, die Herrschaft religiöser Fanatiker wäre nicht besser als ein Mangel an Demokratie unter dem ägyptischen Präsidenten Mubarak. "Wir hatten und haben immer noch großen Respekt für Präsident Mubarak", sagte Peres in seiner ersten öffentlichen Stellungnahme zu den Unruhen in Ägypten. "Wir sagen nicht, dass alles, was er getan hat, richtig ist, aber er hat eine Sache getan, für die wir ihm dankbar sind: Er hat den Frieden im Nahen Osten bewahrt", sagte der Präsident bei einem Empfang für neue Botschafter in seiner Residenz in Jerusalem.

Für Israels Regierung ist die Situation besonders brisant. Bis heute ist Ägypten neben Jordanien das einzige arabische Land, mit dem Israel einen Friedensvertrag geschlossen hat. Ein demokratischer Umsturz in Kairo würde die ägyptisch-israelischen Beziehungen nicht automatisch stabilisieren oder gar verbessern.

Israelische Kommentatoren hatten die Reaktion der USA auf die Demonstrationen in Ägypten denn auch stark kritisiert: In Israel entstand der Eindruck, dass US-Präsident Barack Obama und US-Außenministerin Hilary Clinton Mubarak "wie eine heiße Kartoffel fallengelassen" hätten. Obama hatte für "einen geordneten Übergang zu einer Regierung" ausgesprochen, "die auf die Bestrebungen des ägyptischen Volkes eingeht".

Ein Kommentator der Zeitung Maariv titelte: "Eine Kugel in den Rücken, von Onkel Sam." Ein israelischer Regierungsvertreter sagte, "die Amerikaner und die Europäer lassen sich von der öffentlichen Meinung mitreißen und haben nicht ihre echten Interessen vor Augen". Und weiter: "Selbst wenn sie Mubarak kritisch sehen, müssen sie ihren Freunden das Gefühl geben, dass sie nicht allein sind. Jordanien und Saudi-Arabien sehen die Reaktionen im Westen, wie alle Mubarak fallenlassen, und dies wird sehr ernsthafte Auswirkungen haben."

"Glaubwürdigkeitsproblem des Westen"

Massive Kritik am Vorgehen der internationalen Gemeinschaft kam derweil aus Deutschland vom SPD-Außenexperten Niels Annen: "Das Glaubwürdigkeitsproblem des Westens besteht nicht darin, mit Mubarak zusammengearbeitet zu haben, sondern in der Tatsache, dass die USA und die EU es zugelassen haben, dass Mubarak alle politischen Alternativen zu seiner Herrschaft brutal unterdrückt hat", sagte das SPD-Bundesvorstandsmitglied der Online-Ausgabe des Handelsblatts. Er forderte, dass sich Deutschland "eindeutig" für die Demokratie am Nil einsetzen solle.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), der französische Staatspräsident Nicolas Sarkozy und der britische Premier David Cameron hatten am Samstagabend in einer gemeinsamen Erklärung die langjährige ausgleichende Rolle Mubaraks im Nahen Osten gewürdigt. Zudem wurde Mubarak aufgefordert, selbst einen Transformationsprozess zu beginnen.

Die EU selbst hält sich in der Debatte um Präsident Mubarak weitgehend zurück. Oberstes Ziel sei, freie Wahlen zu gewährleisten, hieß es am Rande eines Treffens in Brüssel. "Wir sollten einen normalen demokratischen Weg unterstützen, ohne die Auswahl zu treffen, wer besser ist und wer nicht", betonte Italiens Außenminister Franco Frattini. "Es liegt nicht bei uns, es liegt bei den Ägyptern."

Aktiv eingreifen, da waren sich die Minister zum Auftakt einig, sollte die EU trotz allem nicht. "Die Europäische Union - sowohl in Tunesien wie in Ägypten - kann ja keine Revolutionen exportieren. Wir können nur Werte anbieten", betonte Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn, der sich aber auch selbstkritisch gab: Er räumte ein, dass die EU sich zu lange auf ihre Außen- und Sicherheitspolitik konzentriert habe. "Wir haben ein wenig vergessen, dass Menschen da leben, die auch Demokratie wollen, die Mitbestimmung wollen - politische, wirtschaftliche, kulturelle, soziale", sagte er.

Österreich warnte vor einer Rückendeckung aus der EU für Mubarak: "Es wäre nicht der richtige Augenblick, sich voll auf eine Seite zu stellen", sagte der Wiener Außenminister Michael Spindelegger bei dem Treffen in Brüssel.

Bundesaußenminister Guido Westerwelle wies den Vorwurf der Doppelmoral zurück. Zwar sei ein Teil dieser Kritik am Westen grundsätzlich berechtigt, sagte Westerwelle dem Deutschlandfunk. "Ich kann aber für die Bundesregierung sagen, dass wir bei dem Thema Menschenrechte, Bürgerrechte nicht weggesehen haben." Trotz aller Partnerschaft und auch der konstruktiven Rolle Ägyptens im Nahost-Friedensprozess habe die Bundesregierung bei der Regierung in Kairo stets die Einhaltung grundlegender Menschenrechte wie Demonstrations- und Pressefreiheit angemahnt.

Eine Kürzung der deutschen Entwicklungshilfe an Ägypten schloss der Außenminister aus, weil ein solcher Schritt vor allem die ärmere Bevölkerung treffen würde. Deutschland strebe weiterhin eine enge wirtschaftliche Partnerschaft mit Ägypten an. Die EU-Außenminister wollten bei ihrem Treffen in Brüssel am Montag auch über die Lage in Ägypten beraten. Mit Blick auf den Ruf nach freien Wahlen in Ägypten äußerte sich Westerwelle besorgt, dass islamistische Kräfte an Einfluss gewinnen könnten. Der Minister warnte vor fundamentalistischen Trittbrettfahrern. "Das ist etwas, was wir mit Sorge beobachten müssen", erklärte er.

Deutsch-israelische Gespräche in Jerusalem

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und mehrere Mitglieder ihres Kabinetts treffen an diesem Montag zu deutsch-israelischen Regierungskonsultationen in Jerusalem ein. Dabei wird es um eine engere Vernetzung zwischen beiden Staaten gehen. Angesichts der Demonstrationen in Ägypten und anderen Ländern werden aber auch die Veränderungen in dieser Region thematisiert, kündigte Netanjahu an: "Wir sehen Deutschland - eines der wichtigsten Länder der Welt und eines der wichtigsten für Israel - als einen Hauptanker unserer Beziehungen mit Europa", sagte er in der wöchentlichen Kabinettssitzung in Jerusalem.

Darüber hinaus erhofft sich Berlin von den Gesprächen Fortschritte im Verhältnis zwischen Israelis und Palästinensern. Wie es in Berlin hieß, will Kanzlerin Merkel Israel vor allem davon überzeugen, dass das eigene Ziel eines demokratischen und zugleich jüdischen Staates Israel auf Dauer nur mit einem Friedensschluss auf Grundlage einer Zwei-Staaten-Lösung erreicht werden könne. Angesichts ihres hohen Ansehens in Israel habe die Kanzlerin durchaus die "Legitimation", ihre Überzeugung klar zum Ausdruck zu bringen, hieß es.

Merkel muss sich auch auf israelische Kritik an verzögerten Rentenzahlungen an Holocaust-Überlebende einstellen. Israels Regierungschef Netanjahu fordert einem Bericht des Spiegel zufolge von Deutschland eine zügige Entschädigung Zehntausender ehemaliger jüdischer Ghetto-Arbeiter und hat das Thema auf die Tagesordnung der Konsultationen gesetzt. Israel kritisiere, dass mehr als 50.000 Anträge von Überlebenden der von den Nationalsozialisten eingerichteten Ghettos noch immer nicht entschieden seien, obwohl der Bundestag bereits 2002 ein "Gesetz zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto" verabschiedet hatte. Israel mache für die Verzögerungen vor allem die Bürokratie der Deutschen Rentenversicherung verantwortlich.

Beide Kabinette treffen sich zum dritten Mal. Erste Konsultationen gab es 2008. Sie sollen noch am Montagabend mit einem Abendessen in Jerusalem abgeschlossen werden.

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