Gaza-Krieg:Rote Linien im Sand

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Der schmale Grenzstreifen zwischen Ägypten und Gaza könnte zu einem diplomatischen Problem zwischen Kairo und Israel werden. (Foto: Ramez Habboub/dpa)

Die Regierung in Kairo warnt Israel seit Monaten vor einer Besetzung des Grenzstreifens zwischen Gaza und Ägypten - doch Premier Netanjahu ignoriert die Signale. Steht nun der Friedensvertrag der beiden Länder auf dem Spiel?

Von Bernd Dörries, Kairo

Jede Seite hat ihren eigenen Namen dafür, und ihre eigene Geschichte, warum dieser Streifen Land so wichtig wurde, wie er ist. Für die Israelis ist der 14 Kilometer lange und 100 Meter breite Streifen zwischen Gaza und Ägypten eine Frage der nationalen Sicherheit: Philadelphi-Korridor haben sie ihn genannt, nach einem Codeword der israelischen Armee. Auf der ägyptischen Seite heißt er "Saladin-Achse", nach dem ersten Sultan von Ägypten, der einst Jerusalem eroberte und die Kreuzritter vertrieb.

Unterschiedliche Namen, verschiedene Geschichten und eine gegensätzliche Symbolik. Dennoch soll der Philadelphi-Korridor dabei helfen, den Frieden zu wahren, und bisher tat er es auch: 1979 schlossen Ägypten und Israel überraschend Frieden, Kairo bekam die Sinai-Halbinsel und den Suezkanal zurück, im Gegenzug erkannte es als erstes arabische Land Israel an - das weiter den Gazastreifen kontrollierte. Der Korridor sollte verhindern, dass Waffen aus Ägypten zu den Palästinensern geschmuggelt werden. Mit dem Rückzug der Israelis aus Gaza 2005 übernahm die Palästinensische Autonomiebehörde die eine Hälfte des Korridors, Ägypten blieb auf der anderen.

Jetzt stehen israelische Panzer in dem Landstreifen

Kairo machte nach dem Terror der Hamas und dem israelischen Gegenangriff schnell deutlich, dass die von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu geplante Besetzung des Philadelphi-Korridors eine "rote Linie" sei, die man nicht akzeptieren werde. Anonyme Quellen aus Kairo berichteten sogar, dass Präsident Abdel Fattah al-Sisi sogar den Friedensvertrag kündigen könnte, sollten israelische Soldaten in der Saladin-Achse auftauchen.

Seit einigen Tagen nun sind sie genau dort, haben Panzer stationiert und die palästinensische Seite des Grenzüberganges Rafah besetzt. Israel will so angeblichen Waffenschmuggel aus Ägypten unterbinden. Es kommt an dieser Stelle keine Hilfe mehr nach Gaza hinein, und keine Verletzten kommen mehr hinaus, um, wie in den vergangenen Monaten, von dort in Krankenhäuser gebracht zu werden.

Wie reagiert Ägypten auf die Überschreitung der roten Linie, die das Land selbst zog? Gefährdet die israelische Invasion den Friedensvertrag? Nach Angaben der Nachrichtenagentur AP hat Ägypten bei den USA und europäischen Ländern Protest eingelegt, was aber europäische Diplomaten bisher nicht bestätigen konnten. Einerseits lobte Außenminister Samih Schukri den Friedensvertrag am Sonntag. Er stelle einen "Grundpfeiler des Friedens in der Region dar, der für Frieden und Stabilität sorgt". Andererseits kündigte Ägypten fast gleichzeitig an, sich der Klage Südafrikas vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag anzuschließen, wo das Land vom Kap Israel einen Völkermord in Gaza vorwirft. Man habe die Entscheidung angesichts der zunehmenden Schwere und des Ausmaßes der israelischen Angriffe gegen die palästinensische Zivilbevölkerung getroffen, teilte die Regierung mit.

Viele Ägypter fragen sich, warum ihr Land die Regeln einhält, Israel aber nicht

Kairo versucht, den Friedensvertrag von 1979 nicht grundsätzlich infrage zu stellen, der vom damaligen Präsidenten Anwar al-Sadat auch aus ökonomischem Kalkül geschlossen wurde und Ägypten seitdem mehr als 50 Milliarden Dollar US-Hilfe eingebracht hat. Zudem hegt Präsident Abdel Fattah al-Sisi nur geringe Sympathien für die Hamas, die letztlich der militärische Arm der Muslimbrüder ist, die Sisi in Ägypten 2013 von der Macht putschte und zu Tausenden ins Gefängnis steckte. Gleichzeitig weiß der Präsident aber, dass der Friedensvertrag damals wie heute in der Bevölkerung mit Skepsis gesehen wird, auch, weil er keinen Staat für die Palästinenser zur Bedingung machte.

Der israelische Gegenschlag nach dem Terror der Hamas führt in Ägypten nun zu neuen Spannungen und auch zu Terror: Im Oktober wurden zwei israelische Touristen in Alexandria erschossen, vor einer knappen Woche ein jüdischer Geschäftsmann. Zum letzten Attentat bekannte sich eine Gruppe namens "Avantgarde der Befreiung - die Märtyrer von Mohammed Salah", in Anlehnung an einen ägyptischen Soldaten, der 2023 drei israelische Soldaten erschossen haben soll.

Großen Rückhalt haben solche Gruppen nicht, aber viele Ägypter fragen sich, warum die Regierung in Kairo sich an so viele Abkommen und Regelungen mit Israel halte, wenn dies umgekehrt nicht geschieht. Ägypten beschwerte sich zwar schon lange darüber, dass Israel nur wenig Hilfe nach Gaza lasse, unterwarf sich aber den Bedingungen Israels, das jeden Container kontrollieren wollte, was zu großen Verzögerungen und kilometerlangen Staus führte. Durch Israels Einsatz im Philadelphi-Korridor ist der Grenzübergang Rafah nun seit einer Woche geschlossen, es kommt keine Hilfe mehr nach Gaza. In ägyptischen Medien wurden deshalb sogar Forderungen laut, die Regierung solle einen neuen Grenzübergang bauen. Was zu neuen Konflikten mit Israel führen würde.

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