Israel:Der Kampf um die Krümel

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Religiöse jüdische Familien entfernen vor dem Pessachfest alle Spuren von ungesäuerten Speisen, hier ultraorthodoxe Juden beim Teigkneten in einer Mazza-Bäckerei in Jerusalem. (Foto: Abir Sultan/picture alliance / dpa)

Die große "Justizreform" in Israel liegt auf Eis, ein kleines Gesetz birgt aber auch genügend Zündstoff: Was ein Sauerteig-Verbot mit den Gefahren für Israels Demokratie zu tun hat.

Von Peter Münch, Jerusalem

In Israel geht es gerade um die ganz großen Themen: um die Rettung der Demokratie, um die Verhinderung eines Bürgerkriegs - und um den Sauerteig. Mitten im Tohuwabohu um die geplante "Justizreform" fand die rechts-religiöse Regierung noch die Kraft, ein ganz besonderes Vorhaben durchs Parlament zu bringen. Mit dem "Chametz-Gesetz" werden die Krankenhäuser des Landes ermächtigt, während der anstehenden Pessach-Feiertage alle gesäuerten Speisen aus ihren Einrichtungen zu verbannen.

Was klingen mag wie eine Posse oder Petitesse, ist tatsächlich ein höchst brisantes und seit ewigen Zeiten gärendes Streitthema. Es geht dabei um Identitätsfragen des jüdischen Staats. Der Kampf um alles Gesäuerte, "Chametz" auf Hebräisch, ist zum Symbol geworden im Kulturkampf zwischen den frommen und den säkularen Israelis.

Im Mittelpunkt steht die Einhaltung der strengen Speisevorschriften zu Pessach, das in diesem Jahr am Abend des 5. April beginnt. Gedacht wird dabei des Auszugs aus Ägypten, bei dem Gottes auserwähltes Volk nach biblischer Überlieferung in solcher Eile war, dass keine Zeit mehr blieb, den Brotteig gehen zu lassen. Es konnten nur schnell noch Mehl und Wasser gemischt und gebacken werden - und in Erinnerung nehmen gläubige Juden keine gesäuerten Speisen zu sich. Nicht nur Brot zählt dazu, sondern vieles andere von den Nudeln bis zum Bier. Stattdessen kommen nach dem Rezept der Vorfahren Matzen auf den Tisch, eher fade Fladen aus Wasser und Mehl.

Einem Gesetz aus dem Jahr 1986 zufolge dürfen gesäuerte Speisen in der Pessach-Woche auch nicht öffentlich verkauft werden. Die Bäckereien machen deshalb dicht, in den Supermärkten wird die Ware verhängt. Das Chametz-Verbot wird in vielen Haushalten so ernst genommen, dass beim großen Pessach-Putz die Wohnungen auch noch von den allerletzten Brotresten gesäubert werden. Das neue Gesetz zielt nun darauf ab, auch die Krankenhäuser keinerlei Krümel-Kontamination mehr auszusetzen.

Treibende Kraft hinter diesem Gesetz ist die ultraorthodoxe Regierungspartei Vereinigtes Thora-Judentum gewesen. Mit der neuen Regelung soll ein Urteilsspruch des in den Augen der Regierung sowieso für alles Übel verantwortlichen Obersten Gerichtshofs ausgehebelt werden. Der hatte 2020 ein generelles Chametz-Verbot in Kliniken untersagt - mit Verweis auf die Religionsfreiheit und das Selbstbestimmungsrecht der Patienten. In einer ersten Version sollte das neue Gesetz auch Taschenkontrollen erlauben. Nun belässt man es dabei, dass die Krankenhäuser selbst den Bann aussprechen und auf ihren Webseiten sowie auf Warnschildern bekannt machen sollen.

Geltung hat das dann für alle Patienten und Besucher, also auch für Muslime, Christen oder säkulare Juden. Kritiker aus der Opposition sehen darin nicht nur einen Angriff auf die Religionsfreiheit, sondern erste Schritte hin zu einem von den Frommen in der Regierung vorangetriebenen jüdischen Gottesstaat. Es geht also wieder mal ums Ganze in Israel, und für Pessach haben ein paar Aktivisten bereits eine spezielle Protestaktion angekündigt: eine Pizza-Party vor einem Krankenhaus.

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