Wegen des Verdachts der geheimdienstlichen Agententätigkeit durchsucht die Polizei seit Mittwochmorgen Wohnungen von vier Geistlichen, die in Gemeinden des in Deutschland eingetragenen Vereins Ditib (Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion) predigen. Die Razzien finden in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz statt und sind vom Generalbundesanwalt in Auftrag gegeben worden.
Das sichergestellte Material, darunter Kommunikationsmittel, Datenträger und schriftliche Unterlagen, werde nun ausgewertet, teilte eine Sprecherin der Bundesanwaltschaft mit. Es werde geprüft, inwieweit sich der Tatverdacht gegen die Geistlichen erhärten lasse. Festnahmen habe es keine gegeben.
Die Bundesanwaltschaft ermittelt seit Monaten gegen den nach deutschem Recht eingetragenen Verein mit Sitz in Köln. Der religionspolitische Sprecher der Grünen, Volker Beck, hatte im Dezember Anzeige wegen Spionageverdachts gestellt. Ditib steht im Verdacht, Gemeindemitglieder in Deutschland sowie deutsche Lehrer bespitzelt zu haben. Auftraggeber soll Diyanet sein, das Amt für religiöse Angelegenheiten in der Türkei, das praktisch direkt Präsident Recep Tayyip Erdoğan untersteht.
Islam:Ditib ist umstritten - aber als Partner alternativlos
Deutsche Politiker werfen dem Moscheeverband vor, Sprachrohr Erdoğans zu sein. Nur: Die Abhängigkeiten waren lange bekannt - doch man schätzte die Verlässlichkeit von Ditib.
Die Bundesanwaltschaft ermittelt konkret wegen des Verdachts des Verstoßes gegen Paragraf 99 des Strafgesetzbuches, wonach das Sammeln und Mitteilen von "Tatsachen, Gegenständen oder Erkenntnissen" für "Geheimdienste einer fremden Macht" verboten ist. Die betreffenden Imame stehen also im Verdacht, geheimdienstlich als Agenten tätig gewesen zu sein.
Ditib teilte mit, es handele sich bei den durchsuchten Wohnungen um Privatwohnungen, nicht um Ditib-Vereinsräume. "Die Ermittlungen richten sich nicht gegen den Ditib-Verband, nicht gegen Ditib-Mitarbeiter und auch nicht gegen die Ditib-Moscheen", heißt es weiter in der Pressemitteilung.
Ditib wird in der Pressemitteilung der Bundesanwaltschaft zwar tatsächlich nicht explizit erwähnt. Wohl aber die Religionsbehörde Diyanet, die die Imame von der Türkei in die Ditib-Gemeinden entsendet.
13 Imame sollen nach Ankara berichtet haben
Diyanet habe dem NRW-Verfassungsschutz zufolge ihre Bediensteten am 20. September 2016 aufgefordert, Aktivitäten von Gruppen wie der Gülen-Bewegung zu melden. Die Religionsattachés hätten diese Order an die Imame der örtlichen Moscheegemeinden weitergegeben. Inwiefern oder ob Ditib hier als Plattform oder Mittler fungiert hat, müssen die Ermittlungen noch zeigen.
Der islamische Prediger Fethullah Gülen und seine Anhänger werden von der türkischen Regierung für den Putschversuch im Juli 2016 verantwortlich gemacht. Gülen-Anhänger gelten in der Türkei als Staatsfeinde, als Terroristen, die den Staat unterwandern.
Und die türkische Regierung verlangt ihre Verfolgung auch in anderen Staaten. Imame und Religionsattachés sollen nun auf Geheiß der Türkei angebliche Gülen-Anhänger zunächst dem türkischen Generalkonsulat in Köln gemeldet haben. Von dort seien die Informationen nach Ankara weitergeleitet worden.
Mindestens 13 Imame aus Nordrhein-Westfalen stehen nach bisherigen Erkenntnissen des NRW-Verfassungsschutzes im Verdacht, Informationen über vermeintliche Gülen-Anhänger an den türkischen Staat weitergegeben zu haben. Es seien die Namen von 33 bespitzelten Personen, davon fünf Lehrer, also deutsche Staastbeamte, und elf Institutionen aus dem Bildungsbereich an Diyanet geliefert worden, hatte NRW-Verfassungsschutzpräsident Burkhard Freier vor einer Woche im Innenausschuss des Düsseldorfer Landtags gesagt. Für die Berichte an Ankara hätten auch Imame aus drei rheinland-pfälzischen Moscheegemeinden Informationen gesammelt.
Dass es das Schreiben von Diyanet gibt, bestreitet Ditib nicht. Die Diyanet-Anweisung habe sich aber gar nicht an Deutschland und die dortigen Imame gerichtet. Es handele sich um eine "Panne", die der Verband bedauere, hieß es vor einigen Wochen.
Justizminister Maas fordert von Ditib Loslösung von Ankara
Justizminister Maas sieht für einen Zusammenarbeit mit Ditib keine Zukunft, wenn der Verein sich nicht von Ankara loslöst. Der Einfluss des türkischen Staates auf Ditib sei zu groß, sagte Maas als Reaktion auf die Razzien. Er forderte Ditib auf, seine Satzung zu ändern, die die enge Verbindung zur türkischen Religionsbehörde Diyanet festschreibt. Der Verband müsse sich glaubhaft von Ankara lösen, sagte der Justizminister. "Nur als unabhängiger deutscher Verband hat Ditib eine Zukunft als verlässlicher Partner." Maas verlangte von Ditib, dass die Spionage-Vorwürfe "unverzüglich und lückenlos" aufgeklärt werden. Wer den Islam als Deckmantel für Spionage benutze, könne sich nicht auf die Religionsfreiheit berufen.
Mustafa Yeneroğlu, Mitglied der türkischen Regierungspartei AKP und Vorsitzender des Menschenrechtsausschusses im türkischen Parlament, geht Maas für seine Kritik scharf an: "Ich verurteile die Razzien gegen Ditib-Imame auf das Schärfste", schreibt er in einer Stellungnahme an die Süddeutsche Zeitung. "Unter dem Deckmantel eines rechtlich unhaltbaren Spionagevorwurfs wird eine beispiellose Einschüchterungskampagne gegen die mitgliederstärkste islamische Religionsgemeinschaft in Deutschland gefahren und die öffentlichen Erklärungen von Bundesjustizminister Maas offenbaren die eigentliche politische Motivation hinter der Aktion."
Scharfe Kritik aus der Türkei
Yeneroğlu sieht auch hinter dem Zeitpunkt der Razzien politische Beweggründe: "Nicht nachvollziehbar ist zudem, warum der Generalbundesanwalt die Wohnungsdurchsuchungen mehrere Wochen nach Beginn der Ermittlungen anordnet. Auch dies spricht dafür, dass es sich hierbei nicht um eine juristisch notwendige Maßnahme handelt, sondern um eine politische. Offenbar wollte man den Türkei-Besuch von Bundeskanzlerin Angela Merkel nicht belasten."
Die rot-grüne NRW-Regierung verlangt eine lückenlose Aufklärung der Vorwürfe und fordert eine strikte Trennung von Ankara. Davon macht die Regierung abhängig, ob sie die Zusammenarbeit mit der Ditib fortsetzt. NRW-Sozialminister Rainer Schmeltzer (SPD) sagte bei einer aktuellen Stunde des Landtags am Mittwoch, er erwarte von Ditib den "ernsthaften Willen zur Loslösung vom direkten Einfluss türkisch-staatlicher Institutionen". Signale sollten bald erfolgen, die Umsetzung der Verselbständigung brauche aber Zeit. Er wolle aber weiter mit Ditib reden.
Was ist Ditib?
Islamverband:Ditib als "verlängerter Arm" der AKP in der Kritik
Der türkisch-islamische Moscheeverband spielt wegen seiner Nähe zu Ankara schon länger eine fragwürdige Rolle in Deutschland. Nach dem Putsch wird deutlich: Die Sorgen sind berechtigt.
Nach dem Putschversuch im Juli war Ditib schon einmal in die Kritik geraten, weil in einigen der Moscheegemeinden Gülen-Anhänger vom Gebet ausgeschlossen wurden und in den direkt aus Ankara kommenden Predigten gegen sie gehetzt wurde.
Ditib ist mit Abstand die größte muslimische Organisation in Deutschland, sie vertritt gut 900 Gemeinden und wächst. Der Dachverband richtet sich inhaltlich strikt an den Vorgaben aus Ankara aus, ihr Vorstandsvorsitzender wechselt häufig.
Die Ditib-Imame sind aus Ankara abgeordnete und bezahlte Beamte der türkischen Religionsbehörde Diyanet. Auch die sogenannten Religionsbeauftragten in jeder Gemeinde beziehen laut einem Ditib-Sprecher ihr Gehalt aus Ankara. Zudem sitzen in allen wichtigen Ditib-Gremien Diyanet-Vertreter, so steht es in der Vereinssatzung. Außerdem ist der Vorstandsvorsitzende von Ditib traditionell der Religionsattaché der türkischen Botschaft in Berlin.
Trotzdem galt Ditib dem deutschen Staat lange als verlässlicher Dialogpartner, wenn es um die Integration der Muslime ging, um islamische Lehrstühle oder den Religionsunterricht. Vor allem deshalb, weil man keine Alternativen sah. Der deutsche Staat ist es gewohnt, dass Gläubige in großen Kirchen organisiert sind. Bei den Muslimen ist das Bild sehr viel zersplitterter, zumal die Muslime in Deutschland die unterschiedlichsten Herkunftsländer haben. Da Muslime aus der Türkei die größte Gruppe stellen und Ditib dem Modell einer organisierten Kirche am nächsten kommt, lag es nahe, den Verein als Ansprechpartner zu wählen.
In Hamburg und Bremen wurden zunächst Staatsverträge mit Ditib geschlossen, die den islamischen Religionsunterricht an Schulen regeln. Die Skepsis ist seit einigen Monaten allerdings groß. In Hessen ist Ditib ebenfalls der Ansprechpartner für den islamischen Religionsunterricht. Das Kultusministerium prüft aber noch, ob Ditib unabhängig vom türkischen Staat ist. In Niedersachsen stand man ebenfalls kurz davor - seit den Vorwürfen nach dem Putsch liegen die Verhandlungen auf Eis.
Auch in NRW gibt es einen Beirat, der sich mit dem islamischen Religionsunterricht beschäftigt. Der Ditib-Vertreter lässt seinen seinen Sitz dort derzeit ruhen.