Süddeutsche Zeitung

Islamkritik in Deutschland:Foulspiel, Freiheit, Leitkultur

Die streitbaren Publizisten Hamed Abdel-Samad und Ahmad Mansour versuchen in Essays die Deutschen zu verstehen: Wieso schweigen diese, wenn Kritik an Islamisten notwendig wäre?

Rezension von Nina von Hardenberg

Letztlich hätten ihn die westliche Philosophie und Literatur nach Europa gelockt, schreibt Hamed Abdel-Samad: Die Gedanken der Aufklärung und die Verheißung der Freiheit hätten ihn verführt. In Ägypten wuchs er in einer Welt mit eng vorgegebenem Rahmen auf. Der Vater wollte, dass er Imam werde wie er selbst. Kritische Rückfragen und Diskussion duldete er nicht. Ein freier Mensch sei er erst in Deutschland geworden. Genau diese Freiheit, die er vor 25 Jahren in Deutschland gesucht und gefunden hat, sieht der Politologe und Publizist nun aber bedroht. Er erlebe eine zunehmend vergiftete Streitkultur und, was ihn fast noch mehr beunruhigt: eine politische Mitte, die aus Sorge, intolerant zu wirken, schweigt und sich raushält.

Mit dieser Kritik ist er nicht allein: "Gesellschaften, in denen die politischen Ränder am lautesten sind, während die Mitte schweigt, verlieren ihre demokratische Basis", schreibt Ahmad Mansour, dessen Aufsatz "Solidarisch sein!" eben fast zeitgleich mit dem Buch von Abdel-Samad ("Aus Liebe zu Deutschland") erschienen ist. Auch Mansour hat Deutschland als neue Heimat gewählt. Der Sohn arabischer Israelis suchte, nachdem er 2014 in Israel einen Terroranschlag miterlebt hatte, einen Ort mit sozialem Frieden. Gefunden hat er ihn nicht. Antisemitismus und Rassismus nehmen zu, auch in Deutschland, konstatiert er.

Es ist bezeichnend, dass ausgerechnet zwei zugewanderte deutsche Intellektuelle in diesen Tagen Alarm schlagen und Deutschland wachrütteln wollen. Nehmt die Freiheit nicht selbstverständlich, rufen sie ihren Mitbürgern zu. Freiheit sei mehr als die Wahrung der eigenen Interessen. Und sie sei auch kein Wunschkonzert, wo man hört, was man gerne hat, schreibt Abdel-Samad. Freiheit sei eher wie ein Fußballspiel: Es wird gerungen und geschubst und gelegentlich auch mal gefoult. Und wenn alle nur zuschauen, funktioniert es nicht.

Dass sie selbst gefoult werden, gerade auch aus den eigenen Reihen, nehmen sie in Kauf. Andere Migranten beschimpfen sie als Muslimhasser und Flüchtlingshasser, die mit ihren Thesen nur den Rechten in die Hände spielten; mache wünschen ihnen den Tod. Abdel-Samad kann sich nur noch mit Polizeischutz aus dem Haus wagen.

Was ihn erzürnt: Seit er islamkritische Bücher geschrieben hat, geht auch manch vermeintlich politisch korrekte Institution auf Distanz, aus falsch verstandener Toleranz, so empfindet er das: Die Universität Augsburg etwa, die ihm zur Studienzeit den Preis des besten ausländischen Studenten verlieh, lehnte nun einen Vortrag ab, weil die linke Asta und einige muslimische Studenten dagegen protestiert hatten, schreibt Abdel-Samad in seinem Buch. Wo aber das Veto Einzelner den Diskurs unterbindet, sieht er die Demokratie in Gefahr.

Warum schweigt die Mitte, fragen beide Autoren

Falsche Toleranz nutzt den undemokratische Kräften. Da sind sich beide einig: Viel zu kritiklos arbeitet Deutschland etwa mit Verbänden wie Ditib zusammen, die in ihren Moscheen gegen Andersdenkende oder Erdoğan-Kritiker predigen lassen. Die gleichen Verbände entscheiden zum Teil, wer in den Schulen den Islamunterricht geben darf. Westlich-liberale Werte dürften aber nicht mit Verweis auf Multikulturalismus ausgehebelt werden

Was kann man tun, um Demokratie und die Freiheit zu verteidigen? Der Pädagoge und Präventionsexperte Ahmad Mansour antwortet darauf mit einem flammenden Plädoyer für mehr Miteinander und gegen Ghettos - sei es das Ghetto von Zehlendorf oder Neukölln. Nur im Gespräch miteinander ließen sich Vorurteile abbauen. Seine psychologischen Erklärungen von Hass und Terrorismus bleiben in der Streitschrift manchmal an der Oberfläche.

Überzeugend ist das Büchlein trotzdem, weil er aus eigener Erfahrung schöpft und berichten kann, wie er als in Israel geborener Muslim das Gespräch mit islamisch radikalisierten Jugendlichen genauso sucht wie mit rechtsradikalen Deutschen. Und wie diese Gespräche alle Teilnehmer verändern. Wenn er Demokratieerziehung in den Grundschulen fordert, klingt das darum dringlich und nicht nach leerer Phrase.

Hat Mansour eine kurzweilige Streitschrift verfasst, so liefert Abdel-Samad den Grundsatzaufsatz dazu. Warum schweigt die bürgerliche Mitte und lässt die radikalen Ränder den Diskurs bestimmen? Und die Antwortsuche führt ihn tief hinein in die zweifelnde deutsche Seele. Die Deutschen hätten bis heute keinen stabile Identität gefunden. Sinnbildlich dafür stehen für ihn Demoplakate mit Sätzen wie "Ausländer, lasst uns nicht mit den Deutschen allein".

Ein Volk, das sich seiner eigenen Identität nicht bewusst ist, könne aber auch Einwanderern keine klare Identität bieten. Und mehr noch: Wo klare gemeinsame Werte und Spielregeln fehlten, entstehe ein Vakuum, das extremistische Kräfte von links und rechts zu füllen versuchten, oder auch Islamisten.

So kommt es, dass ausgerechnet der Zugewanderte Publizist Abdel-Samad eine deutsche Leitkultur fordert. "Ohne Leitkultur macht Willkommenskultur keinen Sinn." Eine unsichere Identität lade Zuwanderer nicht ein, sie ermutige sie, sich abzugrenzen.

Eine bessere Migrationspolitik beginnt mit einem anderen, selbstbewussten Blick auf uns selbst, so kann man Abdel-Samads Buch zusammenfassen. Der Pädagoge Mansour wirbt für mehr Nahkontakt. Beide Autoren wollen keine Schonung für Migranten, sondern empathisches Interesse an ihrer Situation. Es ist ihnen ernst. Sie wollen unbedingt darüber diskutieren. Gerne auch mit jemandem, der ihnen widerspricht.

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Quelle:
SZ vom 19.10.2020/odg
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