Islamkritik:Affekt und Ressentiment

Wenn sich der Wolf als Großmutter verkleidet: Viele der sogenannten Islamkritiker glauben gegen Kritik immun zu sein, weil sie sich auf die Aufklärung berufen. Ein Paradoxon.

Stefan Weidner

Welche Rolle spielt in unseren gegenwärtigen Auseinandersetzungen um den Islam das Irrationale, der Affekt, das Ressentiment? Lassen sich solche Motive in unserer dem rationalen Diskurs verpflichteten Kultur überhaupt nachweisen? Wer heutzutage ein rassistisches Ressentiment pflegt, wird es hinter nachvollziehbaren Motiven verbergen und möglichst objektive Gründe für seine Abneigung gegen eine bestimmte Gruppe von Menschen anführen müssen. Wenn sich der Rassismus aber in eine neue, dem rationalen Diskurs angepasste Sprache kleidet, wird er sich selbst als Affekt nicht mehr erkennen können und wollen. Auch diejenigen - wir -, die mit dieser Sprache konfrontiert sind, können ihn dann nicht klar als solchen erkennen. Genau dies ist das Dilemma bei der Frage, ob die sogenannten Islamkritiker rassistisch, ob die Israelkritiker antisemitisch sind. Bekennenderweise sind sie es nie.

Wenn der Rassismus aber nirgendwo offen auftritt, ist er potentiell überall: Es kann ja sein, dass ich meinen Antisemitismus mit einem gut recherchierten Argument gegen die israelische Siedlungspolitik nur geschickt tarne; oder meinen antiislamischen Rassismus durch ein treffendes Koranzitat, das die Gläubigen in echte Rechtfertigungsnot bringt. Wie gut auch immer mein Argument sein mag, vor der Unterstellung unlauterer Motive bin ich nicht gefeit. Somit bereitet die exzessive Unterstellung von Rassismus und Antisemitismus den Boden für eine Enthemmung des Diskurses. Lauert der Vorwurf ohnedies stets, ist es gleichgültig, ob die Gründe, die ich für meine Meinung vorbringe, wirklich haltbar sind oder nicht. Die anderen werden sie immer ablehnen; im eigenen Lager werde ich immer Beifall finden.

Entsprechend stehen sich bei der Einschätzung des Islams und der Muslime in Deutschland inzwischen zwei weitgehend unversöhnliche Blöcke gegenüber, die kaum miteinander kommunizieren, es sei denn in Form von Spott, Drohungen und Polemiken. Dass dies der Sache nicht dient, ist verständlich. Die letzte Bundesregierung als Ausrichter der Islamkonferenz hat es erfahren. Die gegenwärtige bekommt es zu spüren.

Für den Beobachter, der keine der entgegengesetzten Meinungen zu der seinen machen will, empfiehlt es sich vielleicht, seine Sympathien nicht nur von den behaupteten Positionen abhängig zu machen, sondern auch den Stil zu prüfen, in dem diese vorgebracht werden. Man könnte den alten Verdacht hegen, dass gerade diejenigen, die am lautesten brüllen, bloggen, talken, poltern, am wenigsten zu sagen haben, so hoch ihr Unterhaltungswert sein mag. Schon jetzt werden die einschlägigen Tabubrecher, getreu dem Vorbild von Harald Schmidt, eher als Clowns denn als Befreier gehandelt. Eine Renaissance der leisen, nachdenklichen Töne stünde vor diesem Hintergrund beiden Lagern gut an. Kritik zulassen zu können, statt sich dagegen fortwährend selbst zu immunisieren, scheint aber nicht das Zeichen der Zeit.

Beruft sich der fundamentalistische Islam auf das von ihm hochgezüchtete Dogma und erscheint das Weltbild der Israelkritiker solange bruchsicher, wie Israel gegenüber den Palästinensern unnachgiebig ist, mussten die sogenannten Islamkritiker andere Mittel ersinnen, um gegen Kritik resistent zu sein. Da sie sich auf Aufklärung und rationales Denken berufen, sollte man meinen, dass ihre Argumente falsifizierbar sind, dass sie den Zweifel, den sie an der Position der anderen säen, auch ihren eigenen Positionen prüfend angedeihen lassen. Unabhängig von der inhaltlichen Position, wäre dies das methodische Kennzeichen, das Prüfsiegel aufgeklärten Denkens.

Nun aber geschieht etwas Paradoxes. Viele, wenn nicht die Mehrheit derjenigen, die sich zu Aufklärung und Rationalität bekennen, glauben, durch ebenjenes Bekenntnis über jede Form von Kritik aus dem Lager ihrer Gegner erhaben zu sein. Dies geschieht durch eine ebenso schlichte wie geniale Selbsttäuschung. Rationalität und Aufklärung wird dabei nicht als Prozess und Methode begriffen, sondern als Tradition und Position. Es ist ja kein Zweifel, dass die westliche Staatengemeinschaft in einer aufklärerischen Tradition steht. Wer dieser Gemeinschaft anhört, kann also das Herkommen aus der Aufklärung, eine Art Blutsverwandtschaft mit ihr für sich verbuchen. Zu diesem Ius sanguinis der Aufklärung gesellt sich das Ius soli der aufgeklärten Position: Derjenige ist aufgeklärt, der die klassischen Inhalte der Aufklärung vertritt, also die Kritik an der Religion und die universale Geltung der in der Aufklärung entwickelten Werte.

Nun ist weder an einer Kritik der Religion noch an den Werten der Aufklärung etwas auszusetzen. Ich selbst etwa halte diese Werte für überzeugender als alle anderen, von denen ich bis jetzt gehört habe. Aber bloß dadurch, dass ich mich zu ihnen bekenne, bin ich noch lange nicht aufgeklärt, geschweige denn, dass alles was ich sage, den Gesetzen rationalen und falsifizierbaren Argumentierens gehorcht, nur weil ich die aufgeklärten Positionen für mich reklamiere oder einer Kultur angehöre, deren Werte aus der Aufklärung kommen. Genau dies scheinen aber die meisten der sich auf die Aufklärung berufenden Islamkritiker anzunehmen.

In dieser Denkungsart liegt eine Selbstermächtigung der gefährlichsten Sorte deshalb, weil sie das beste Mittel der Kritik immer schon allein für sich reklamiert, nämlich das rationale Denken. Wenn es jenseits der so definierten Aufgeklärtheit nichts gibt als das Irrationale, Unaufgeklärte und somit nicht ernst zu Nehmende, existiert keine Position mehr, aus der heraus man diejenigen kritisieren könnte, die mit der Aufklärung Schindluder treiben. Ähnlich wie islamistische Ideologen den Begriff des Islams besetzt, um nicht zu sagen gekapert haben, und jede Äußerung, die nicht ihrem Diskursschema entspricht, als unislamisch und damit unkorrekt abtun, genauso ist in unseren Breiten der Begriff der Aufklärung gekapert worden. Die damit einhergehende Selbstermächtigung der Aufklärungspiraten lässt sich ebenso an ihrer Weigerung erkennen, sich an ein Mindestmaß an Sittsamkeit im öffentlichen Gespräch zu halten, wie an der Tendenz, wesentliche der etablierten rechtsstaatlichen Prinzipien außer Kraft setzen zu wollen, selbst wenn sie Errungenschaften der Aufklärung sind, etwa die Religions- oder die Kleidungsfreiheit.

Man darf, ja soll darüber streiten, ob eine Dialektik der Aufklärung, wie Horkheimer und Adorno sie skizziert haben, wirklich existiert. Ist aber nur ein Teil ihrer Thesen zutreffend, rückt die Vorstellung von einem Faschismus der Aufklärung aus dem Bereich begrifflicher Absurdität in denjenigen der Denkbarkeit. In einem Diskursumfeld, in dem sich alles als rational zu verkleiden genötigt sieht, wird das Irrationale zwangsläufig irgendwo versteckt sein, wird lauern, auf einen Ausdruck drängen, wütender und wütender werden und schließlich zum Wolf, der die gute alte aufgeklärte Großmutter frisst und sich in ihr Bett legt, wo er auf die Ahnungslosen lauert, die sich vielleicht über das große Maul wundern, aber die Geschichten treuherzig glauben werden.

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