Islamistischer Terrorismus:Höllengemälde Naher Osten

Terroristen der IS-Miliz

Eine Gefahr für Europa? Maskierte Dschihadisten, die im Sieges- und Blutrausch von Stadt zu Stadt stürmen.

(Foto: AFP)

Es gibt Leute, die schauen auf das Grauen im Nahen Osten und sagen: raushalten! Das ist kurzsichtig. Glaubt jemand ernsthaft, es sei für Europa keine Bedrohung, wenn sich südlich und östlich des Mittelmeers Terrorkalifate bilden?

Kommentar von Hubert Wetzel

Man braucht nicht viel Vorstellungskraft, um ein finsteres Bild von der Zukunft der arabischen Welt zu malen. Maskierte Dschihadisten wären da zu sehen, die im Sieges- und Blutrausch von Stadt zu Stadt stürmen; Staaten, die unter der Wucht dieses Ansturms zerbrechen oder in religiös aufgeheizten Bürgerkriegen versinken; ein hilfloser Westen, der mit Abscheu und Unverständnis auf das Gemetzel blickt, aber weder eingreifen will noch kann noch überhaupt weiß, wem er eigentlich beispringen soll; und panische lokale Regime, die aus Angst, in den Strudel hineingerissen zu werden, um sich schießen. Der Nahe Osten - ein Höllengemälde wie von Hieronymus Bosch.

Das Problem: Das ist gar keine Zukunftsvision. Es ist die Gegenwart. Die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) mordet in Syrien und im Irak; Ägypten ist wieder eine Militärdiktatur, Libanon schrammt am Rand des Bürgerkriegs entlang, ebenso Jemen, Libyen versinkt gerade darin; ganz zu schweigen vom ewigen Krieg zwischen Israel und den Palästinensern.

Die jüngste Eskalationsstufe: Nach Erkenntnissen der USA haben die Vereinigten Arabischen Emirate mit Unterstützung Kairos islamistische Kämpfer in Libyen bombardiert. Sieht so das künftige Krisenmanagement in der Region aus - die reichen Golfaraber lassen ihre Luftwaffe auf die Nachbarn los, um sich die bärtigen Eiferer vom Hals zu halten?

Was im Nahen Osten derzeit passiert, ist ein großer Feldversuch. Allerdings kein kontrollierter, sondern ein blutiger, mörderischer; ein Schlachtfeldversuch sozusagen. Man kann dort beobachten, was mit einer Region geschieht, in der es keine Ordnungsmacht mehr gibt. US-Präsident George W. Bush leitete mit seinem Krieg gegen den Irak das Ende der amerikanischen Vorherrschaft im Nahen Osten ein. Präsident Barack Obama erhob den Rückzug der USA aus der Region zur außenpolitischen Doktrin. Selbst Amerika-Kritiker werden nicht behaupten wollen, dass das der Region gutgetan hat.

Die Führungsmacht USA gibt ihre Rolle auf - es bleibt ein Vakuum

Obamas Nahost-Politik ist durch zwei Eigenschaften gekennzeichnet: Sie ist zögerlich, und sie ist minimalinvasiv. Der Präsident wehrt sich sichtlich dagegen, in die Kämpfe und Machtintrigen in der Region verwickelt zu werden. Deshalb handelt er, wenn er überhaupt handelt, oft zu spät. Iran, Saudi-Arabien, Katar, Russland, die Türkei - sie alle zündeln eifrig mit.

Amerika hinkt stets zwei Schritte hinterher. Die Luftangriffe auf IS-Stellungen im Irak begannen erst, als die Terroristen schon Bagdad und die Kurdengebiete bedrohten. Ähnliches gilt für die Aufklärungsflüge über Syrien, die US-Luftschlägen vorausgehen könnten. Dass der syrische Bürgerkrieg sunnitische Fanatiker aus aller Welt anzieht, weiß man seit Jahren, ebenso dass die IS-Miliz umso stärker wird, je länger sie gegen den syrischen Diktator Baschar al-Assad kämpft. Trotzdem hat sich Obama reichlich Zeit gelassen, während die Wunde Syrien schwärte.

Es gibt Leute, die schauen auf das Grauen im Nahen Osten und sagen: raushalten! Das ist kurzsichtig. Glaubt jemand ernsthaft, es sei für Europa keine Bedrohung, wenn sich südlich und östlich des Mittelmeers Terrorkalifate bilden? Oder dass die IS-Kämpfer, von denen nicht wenige einen EU-Pass besitzen, irgendwann wieder in die Wüste verschwinden? Eher nicht.

Es wird ein langer Kampf werden, um mit den IS-Terroristen fertigzuwerden. Niemand will heute von einem zweiten "Krieg gegen den Terror" reden, und erst recht will niemand ihn führen. Aber was ist die Alternative? Es wird vieler staatlicher Instrumente bedürfen, um diesen Kampf zu gewinnen - politischer, diplomatischer, wirtschaftlicher, humanitärer, aber auch militärischer. Ein paar Waffen an die Kurden zu liefern, wird nicht reichen.

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