Süddeutsche Zeitung

Islamistische Propaganda im Internet:"Ja, wir sind Terroristen!"

Man hat sich schon fast an sie gewöhnt - das jüngste islamistische Video nehmen die deutschen Sicherheitsbehörden dennoch sehr ernst. Sie sehen eine wachsende Bedrohung in radikalen Einzeltätern, die das Internet für Propaganda nutzen.

Tanjev Schultz

An die Propagandavideos radikaler Islamisten hat man sich in Deutschland fast schon gewöhnt, das jüngste Machwerk des Deutsch-Marokkaners Yassin C. alias Abu Ibrahim nehmen die Sicherheitsbehörden dennoch sehr ernst.

Ibrahim steht seit Anfang des Jahres auf den Terrorlisten der USA und des UN-Sicherheitsrats. In seiner neuen Botschaft ruft er erstmals ganz unverhohlen zu Anschlägen in Deutschland auf. Sein Foto ist vor ein Bild des Reichstags in Berlin montiert, in deutscher Sprache verbreitet er seine Hasstiraden: "Ja, wir sind Terroristen!"

Ibrahim preist Arid U., den Attentäter vom Frankfurter Flughafen; er lobt dessen "mutiges Heldenherz". Arid U. hatte im März 2011 zwei US-Soldaten ermordet. Das Attentat gilt als der erste islamistische Anschlag mit Todesopfern in Deutschland. Arid U. hatte sich im Internet selbst radikalisiert. Die Sicherheitsbehörden sehen in solchen einsamen Kämpfern eine wachsende Bedrohung.

Die Reaktion in der islamistischen Szene auf Ibrahims neues Video sei bisher zwar "eher matt", sagt ein Islam-Experte des Verfassungsschutzes. Aber gegen Einzelne, die sich in kurzer Zeit in Terroristen verwandeln könnten, hätten es die Behörden schwer. Die Polizei und die Geheimdienste des Westens seien nicht allwissend, verkündet Ibrahim in seinem Video und ermuntert sie zu Brandstiftungen und zu Anschlägen auf Züge, Diskotheken und Restaurants in Deutschland: "Mach ihre Spaßgesellschaft zunichte, lass deiner Kreativität freien Lauf!" Denn es gebühre den Deutschen, terrorisiert zu werden.

Vom Ruheraum zum Zielland für islamistische Attentäter

Das Video gilt als authentisch, nähere Analysen durch die Behörden stehen jedoch noch aus. An der Gefährdungslage in Deutschland ändere sich zunächst nichts, es gebe keine Verschärfung, heißt es. Ein ranghoher Beamter sagt, was die Behörden seit längerem betonen: Deutschland habe sich vom Ruheraum zum Zielland für islamistische Attentäter entwickelt. Etwa 300 Personen mit Deutschland-Bezug halten die Ermittler derzeit für gefährlich, 125 von ihnen trauen sie zu, jederzeit einen Anschlag zu verüben. Mehr als 250 Islamisten sollen bereits ein Training in einem Terrorlager, etwa in Somalia oder Pakistan, absolviert haben oder ein solches planen.

Auch der in Bonn aufgewachsene Yassin C. hat sich offenbar vor einigen Jahren in so einem Terrorlager schulen lassen, nachdem er zunächst in Jemen einen Sprachkurs absolviert hatte. Yassin C. wird derzeit in Waziristan vermutet, im Grenzgebiet zwischen Afghanistan und Pakistan. Dort soll er der Terrorgruppe "Islamische Bewegung Usbekistans" angehören, die in Verbindung zu al-Qaida steht.

Gemeinsam mit seinem Bruder Mounir, der ebenfalls schon durch radikale Propagandavideos hervorgetreten ist, soll Yassin C. als junger Mann in die fundamentalistischen Kreise der Salafisten geraten sein. Zuvor hatte er gelebt wie ein gut integrierter Jugendlicher: Er spielte Fußball, war beliebt, galt als Stimmungskanone, besuchte ein Gymnasium und begann anschließend ein technisches Studium. Mit diesem Leben hat er vollständig gebrochen. Jetzt beherrscht ihn der Hass auf den Westen.

In Berlin und Koblenz stehen derzeit drei seiner Glaubensbrüder vor Gericht, die ebenfalls in den Terrorlagern von Pakistan geschult und dann für al-Qaida Propaganda und Rekrutierung betrieben haben sollen. In den Lagern lernen die Dschihadisten auch, wie sie sich konspirativ verhalten und Computerdaten vor Ermittlern schützen können. Sie verschlüsseln ihre Dateien mit Kryptographie-Programmen, in einem Fall waren wichtige Dokumente hinter anderen Dateien versteckt, unter anderem hinter Pornofilmen.

Wenn so konkrete Drohungen kursieren wie in Abu Ibrahims neuer Botschaft, steigt aus Sicht der Terroristen der Druck, den scharfen Worten entsprechende Taten folgen zu lassen, um nicht an Glaubwürdigkeit zu verlieren. Schon deshalb müssen die Ermittler die Propaganda der Islamisten beachten, auch wenn sie keine Panik schüren wollen und es die Dschihadisten darauf abgesehen haben, bereits mit ihren Drohungen den Staat und die Bürger zu verunsichern.

Die islamistische Szene ist, nachdem Ende 2011 die rechte Zwickauer Terrorzelle entdeckt wurde, etwas aus dem Blick der Öffentlichkeit gerückt. Weil bundesweit der Kampf gegen Rechtsextremisten verstärkt wird, hört man von einigen Beamten sogar schon die Sorge, es könnten zu wenige Kräfte für die Beobachtung militanter Muslime übrigbleiben. Vor allem in einigen ostdeutschen Bundesländern hätten Islamisten derzeit gute Aussichten, unbehelligt von Ermittlern zu agieren und zu agitieren.

Die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien hat unterdessen drei Kampflieder, sogenannte Anaschid, des Islamisten Abu Malik auf den Index gesetzt. Malik, früher bekannt als Rap-Musiker unter dem Namen "Deso Dogg", hat sich zu einem der wichtigsten Propagandisten des Salafismus in Deutschland entwickelt. Neuerdings nennt er sich "Abu Talha der Deutsche". In den beanstandeten Liedern wird zum bewaffneten Kampf gegen Nicht-Muslime aufgerufen. Die Lieder sind in Teilen der islamistischen Jugendszene populär. Daran wird die Indizierung wohl wenig ändern.

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SZ vom 19.03.2012/fran
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