Süddeutsche Zeitung

Islamistengruppe Isis:Terror und Verbraucherschutz

Wo die syrisch-irakische Islamistengruppe Isis herrscht, richtet und mordet sie ihre Feinde gnadenlos. Sie hat aber auch eine soziale Seite, impft Kinder, schüttet Schlaglöcher zu, installiert neue Stromleitungen und kümmert sich um die Qualität von Kebab - mit Hilfe eines beträchtlichen Vermögens.

Von Sonja Zekri, Kairo

Es gibt diese furchtbaren Bilder: von Gekreuzigten, deren Leichen an Brettern an einem Kreisverkehr in der syrischen Stadt Raqqa hängen, während Passanten scheinbar ungerührt vorbeigehen, vom Handabschneiden durch Vermummte mit Einweghandschuhen, von zerstörten Schreinen. Das ist eine Seite der Herrschaft von Isis, dem Islamischen Staat im Irak und Großsyrien, den Militanten, die im Irak Ort um Ort einnehmen und inzwischen vor Bagdad kämpfen. Die Vereinten Nationen sprachen am Montag von "Massenhinrichtungen" und "Kriegsverbrechen". Es sei fast sicher, dass Kämpfer, die mit Isis verbündet seien, Hunderte nicht am Kampf beteiligte Männer ermordet hätten, so die UN-Menschenrechtsbeauftragte Navi Pillay. Diese grausliche Seite zeigten die Isis-Rebellen dort, wo sie bislang ihre Basis hatten, im Norden Syriens, zum Beispiel in Raqqa, dem Ausgangspunkt und Kerngebiet für einen Protostaat, der sich noch viel weiter ausdehnen kann oder in ein paar Wochen zusammenbricht, derzeit aber nach Schätzungen des britischen Economist die Größe Jordaniens hat und etwa so viele Einwohner.

Isis plant eine ultra-sunnitische Horrorherrschaft, die langfristig selbst jene irakischen Sunniten abschrecken dürfte, die die Dschihadisten derzeit als willkommenen Widerstand gegen die Dominanz der Schiiten unter Premier Nuri al-Maliki begrüßen. Und doch kehren viele geflüchtete Iraker bereits in ihre Heimatstädte zurück, beispielsweise nach Mossul, obwohl ihre Stadt nun von Isis beherrscht wird. Das Leben in Mossul sei leichter geworden, sagen sie, man habe ja die irakischen Angriffe gefürchtet, nicht Isis, die Militanten lieferten Strom und Wasser, und die Preise seien niedrig. Das ist die andere Seite.

Gepäppelt wurde Isis vom syrischen Machthaber Assad

Wie lange diese konfessionelle Harmonie unter Sunniten im Angesicht der schiitischen Unterdrückung anhält, ist schwer zu sagen. Aber die Islamisten, so schildert es die Zeitschrift The Atlantic , haben in der Tat auch eine verbraucherorientierte, ja fast soziale Seite, auch dies lernt man aus dem syrischen Raqqa. Hier zwangen sie Frauen, sich bis zu den Augen zu verschleiern, setzten Gebetspflicht durch, aber sie richteten auch ein Verbraucherschutzbüro ein, schlossen Kebab-Stände wegen schlechter Qualität, konfiszierten gefälschte Medikamente, schütteten Schlaglöcher auf den Straßen zu und installierten neue Stromleitungen. Sie gründeten Koranschulen für Mädchen und Spaßtage für Kinder mit aufblasbaren Rutschen und Eis. Die Dschihadisten verteilten Gemüse an Bedürftige, betrieben eine Suchstelle für Waisen und eine Armenküche. Anders als die impfscheuen Taliban führte Isis in Raqqa sogar Kampagnen gegen Kinderlähmung durch, so der Bericht. Solche pseudostaatlichen Fürsorge-Elemente könnten auch für Mossul vorgesehen sein.

Die Finanzierung der Sozialleistungen, so weiß man inzwischen, dürfte für die Aufsteiger des Dschihad das geringste Problem sein. Angeblich häufte Isis in Syrien ein beachtliches Vermögen aus dem Verkauf von Rohstoffen und Öl an, welche sie mit Hilfe des Präsidenten Baschar al-Assad verkauften. Das geht aus Daten hervor, die die irakische Armee kurz vor dem Fall Mossuls erbeutete, wie der britische Guardian berichtete. Die 160 USB-Speichersticks enthielten die Pseudonyme und Klarnamen aller ausländischen Kämpfer und Anführer, die Namen ihrer Informanten in den irakischen Ministerien und Einzelheiten über die gesamte Finanzierung. Die Iraker nahmen auch Abu Hadschar fest, den Boten des Isis-Kommandeurs Abdulrahman al-Bilawi Hadschar. Nach zwei Tagen Verhör, über dessen Charakter der Guardian keine Einzelheiten preisgibt, habe Abu Hadschar seinen Kommandeur verraten, kurz darauf habe dieser tot in seinem Versteck in Mossul gelegen, und die Iraker kamen in den Besitz der riesigen Datenmenge über die Terroristen, die sie gemeinsam mit der CIA auswerten.

Demnach päppelte Syriens Machthaber Assad die Isis als abschreckendes Beispiel für den Westen. Gegen die in Blut watenden Bärtigen konnte er sich als kleineres Übel präsentieren. Ausländische Regierungen wie Frankreich füllten die Kassen der Terroristen durch Lösegeld, das sie für Entführungsopfer zahlten. Franzosen gehören deshalb als sichere Geldquelle zur meistgefährdeten Risikogruppe. Außerdem plünderten die Terroristen archäologische Stätten und verscherbelten Syriens Schätze. Allein aus der Region Nabuk in der Nähe der Kalamun-Berge westlich der Hauptstadt Damaskus sollen sie Altertümer im Wert von 36 Millionen Dollar verkauft haben, einige davon 8000 Jahre alt, so sagte ein irakischer Geheimdienstmitarbeiter zum Guardian: "Westliche Beamte hatten uns gefragt, woher sie das Geld haben, 50 000 Dollar hier, 20 000 Dollar da. Aber das war Kleinkram. Jetzt wissen sie es und wir auch. Sie haben das alles allein gemacht, ohne staatlichen Vermittler. Sie brauchten keinen."

Die Eroberungen im Irak dürften Isis reich genug gemacht haben für einen jahrelangen Krieg. "Vor Mossul besaßen sie 875 Millionen Dollar an Bargeld und Besitz", so der irakische Geheimdienstmitarbeiter: "Mit dem Geld, das sie in den Banken geraubt haben, und zusammen mit dem Wert der geplünderten Waffen kommen weitere 1,5 Milliarden Dollar hinzu."

Noch konzentriert sich die Truppe auf das Zweistromland

Inzwischen hat das anfangs atemraubende Tempo der Isis-Eroberungen im Irak etwas abgenommen, aber gebremst wurden sie nicht. Isis-Milizen und Armee kämpften am Rande der Hauptstadt Bagdad in der Region Bakuba. Dabei sollen 23 Isis-Kämpfer gestorben sein. Bei anderen Kämpfen sollen hundert Soldaten gefallen sein, bei Anschlägen in Bagdad 75. Eigenen Angaben zufolge griffen die Islamisten sogar den Flughafen an, wurden aber zurückgedrängt. Das nächste Ziel der Milizen ist Tal Afar im Norden zwischen Mossul und der syrischen Grenze. Dort befreiten die Dschihadisten Hunderte Häftlinge aus einem Gefängnis, hieß es. Zumindest Teile der Stadt kontrollieren die Milizen inzwischen, und sie haben auch hier einen Flüchtlingsstrom ausgelöst. In Tal Afar leben vor allem Schiiten, im Gebiet um die Stadt aber sunnitische Araber und Kurden. Bagdad will Freiwillige gegen die Islamisten ins Feld schicken, auch schiitische Milizen formieren sich. Die Kluft zwischen den Konfessionen wird täglich größer.

Zwar konzentriert sich Isis noch auf das Zweistromland, aber welche Bedrohung die syrisch-irakische Terrortruppe für den Westen darstellen könnte, zeigte sich am Wochenende: In Berlin wurde ein Franzose festgenommen, der in Syrien die Nähe zu Isis gesucht haben soll. Allein nach Deutschland sind offenbar 100 Dschihad-Touristen aus Syrien zurückgekehrt, nach Frankreich vielleicht noch mehr, unter ihnen Mehdi Nemmouche, der bei einem Anschlag auf das Jüdische Museum in Brüssel vier Menschen tötete. Die spanische Polizei nahm in der Nacht zum Montag acht Männer unter dem Vorwurf fest, islamistische Kämpfer für den Einsatz im Nahen Osten anzuwerben. Die Festgenommenen sind Staatsbürger Spaniens, Marokkos und Argentiniens. Es handelte sich um die vierte Aktion gegen Dschihadisten seit Anfang des Jahres, insgesamt wurden 19 Personen verhaftet. Die anderen Festnahmen fanden in den beiden nordafrikanischen Enklaven Ceuta und Melilla statt, in denen Muslime einen großen Teil der Bevölkerung stellen. Beide Hafenstädte gelten als Hochburgen der Islamisten.

Unter den in Madrid Festgenommenen befindet sich der 47-jährige Marokkaner Lahzem Iskasrim (Lahcen Ikassrien), der 2001 von US-Truppen in Afghanistan festgesetzt worden war. Drei Jahre hatte er in dem berüchtigten US-Gefangenenlager Guantánamo verbracht, bevor er an Spanien ausgeliefert wurde. Die spanischen Behörden ließen ihn nach anderthalb Jahren aus Mangel an Beweisen frei. Iskasrim ist verheiratet, seine Tochter besucht Medienberichten zufolge eine Schule in Madrid.

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SZ vom 17.06.2014/mike
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