Islamisten-Vormarsch im Irak:Obama schließt militärisches Eingreifen nicht aus

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US-Präsident Obama hält sich "alle Optionen" offen. (Foto: AP)

USA fordern mehr Hilfe für Bagdad +++ Irakische Armee soll Vormarsch von Isis-Kämpfern auf die irakische Hauptstadt gestoppt haben +++ Kurdische Truppen bringen Kirkuk unter ihre Kontrolle +++ Notstands-Votum gescheitert +++

Die Entwicklungen im Newsblog

  • Obama behält sich militärische Reaktion im Irak vor
  • Blutige Gefechte zwischen Islamisten und irakischer Armee nördlich von Bagdad
  • Kurden bringen erdölreiche Stadt Kirkuk unter ihre Kontrolle

Obama hält sich "alle Optionen" offen: US-Präsident Barack Obama hat der irakischen Regierung die Unterstützung im Kampf gegen die vorrückenden islamistischen Extremisten zugesichert. "Unser Team für die nationale Sicherheit prüft alle Optionen", sagte Obama in Washington. "Ich schließe nichts aus." Der Irak benötige "mehr Hilfe von uns und von der internationalen Gemeinschaft", fügte der Präsident hinzu. Er wolle sicherstellen, dass die Extremisten gestoppt werden könnten. Zuvor hatte es geheißen, die USA wollten sich nicht an Luftangriffen auf die Aufständischen beteiligen. Obama forderte die irakische Führung auf, an einer politischen Lösung zu arbeiten. "Dies sollte ein Weckruf für die irakische Regierung sein", sagte er. Die USA unterstützen den Irak bereits mit umfangreichen Waffenlieferungen und Geheimdienstinformationen.

Armee und Islamisten liefern sich blutige Gefechte: Etwa 60 Kilometer nördlich von Bagdad treffen irakische Armeeeinheiten und Isis-Kämpfer aufeinander. In Bakuba in der Provinz Diyala kommt es zu Gefechten, bei denen irakischen Medien zufolge 50 Menschen getötet worden sind. Die Isis-Kämpfer zogen sich im Anschluss zurück, erklärte ein Offizier. Die irakische Armee errichtete dort eine gemeinsame Front mit Polizeikräften und freiwilligen Stammeskämpfern. "Die Reste der Isis-Truppe haben ihre Toten liegen gelassen und sind Richtung Salaheddin geflohen", hieß es. Die Provinz Salaheddin liegt nordwestlich von Bagdad, Isis hatte die Region am Mittwoch unter Kontrolle gebracht. Am Dienstag hatten Kämpfer die nordirakische Millionenmetropole Mossul nahezu kampflos eingenommen. Im Anschluss drangen die Isis-Truppen bis Samara, rund 130 Kilometer nördlich von Bagdad, vor. Unterwegs wurden die Regionen Ninive, Anbar und Salah ad-Din erobert, mit den strategisch wichtigen Städten Baidschi und Tikrit. Letztere, die Geburtsstadt Saddam Husseins, wurde am Donnerstag nach Angaben von Augenzeugen vom irakischen Militär aus der Luft angegriffen.

Kurden bringen Kirkuk unter ihre Kontrolle: Die kurdische Armee hat die Kontrolle in der nordirakischen Stadt Kirkuk übernommen. Die Peschmerga genannten Streitkräfte seien seit Donnerstag in der multiethnischen Stadt, nachdem irakische Streitkräfte geflohen seien, berichtet die kurdische Nachrichtenseite Rudaw. Das bestätigt auch die britische BBC. Man könne nicht riskieren, dass die in Kirkuk lebenden Kurden in die Hände von Isis-Kämpfern fallen, wurde ein kurdischer Armeesprecher zitiert. Kirkuk gehört nicht zu der autonomen kurdischen Region im Norden des Irak, jedoch erheben die irakische Regierung wie die halbautonome kurdische Regierung im Nordirak Ansprüche auf Kirkuk. Rings um die Stadt liegen die größten Ölreserven des Landes. Inmitten des Vormarschs der radikalislamischen Terrorgruppe Isis ( "Islamischer Staat im Irak und der Levante", auch "Islamischer Staat im Irak und in (Groß-)Syrien") nutzen die Kurden offenbar die Schwäche der irakischen Armee, um die Stadt unter ihre Kontrolle zu bringen. Zuvor hatte Premier al-Maliki die unabhängigen kurdischen Truppen im Norden des Landes aufgefordert, bei der Abwehr der Islamisten zu helfen. In Syrien haben unabhängige kurdische Milizen bereits erfolgreich gegen Isis-Truppen gekämpft.

Verschleppte türkische Lkw-Fahrer frei: Zwei Tage nach ihrer Entführung im Nordirak sind 31 türkische Lkw-Fahrer wieder in Freiheit, berichten türkische Medien. Die Fahrer waren am Dienstag mutmaßlich von Kämpfern der Terrorgruppe Isis verschleppt worden. Sie waren auf dem Weg von der südtürkischen Stadt Iskenderun in den Nordirak, um Diesel-Kraftstoff zu liefern. Nach dem Sturm auf Mossul sind nach wie vor der türkische Konsul sowie 47 weitere Menschen in der Gewalt der Islamisten. Türkischen Regierungskreisen zufolge sind darunter drei Kinder. Die Geiseln seien unverletzt auf einen Stützpunkt der Rebellen gebracht worden. Der türkische Außenminister Ahmet Davutoğlu droht mit "härtester Vergeltung", sollte einer der Geiseln etwas geschehen. "Im Augenblick sind wir beim ruhigen Krisenmanagement, aber das sollte nicht missverstanden werden", sagt er.

Radikalsunnitische Isis-Kämpfer patrouillieren an einem Checkpoint in der nordirakischen Stadt Mossul. (Foto: Reuters)

Erdöl-Preise steigen: Die Kämpfe im Irak lassen die Ölpreise an den internationalen Handelsplätzen steigen. Der Preis für ein Barrel der Nordsee-Sorte Brent zur Lieferung im Juli ging zwischenzeitlich auf 111,71 US-Dollar nach oben. Das ist der höchste Stand seit fast einem halben Jahr. Der Preis für ein Barrel der US-Sorte WTI stieg auf 106,20 Dollar, der höchste Wert seit einem dreiviertel Jahr. Der Anstieg spiegele die Sorgen der Investoren, dass die Kämpfe die Versorgungsströme in der Öl-Raffinerie in der Stadt Baidschi stören könnten, berichtete ein Analyst. In der gut 200 Kilometer nördlich von Bagdad gelegenen Stadt befindet sich die größte Öl-Raffinerie des ganzes Landes. Der Irak verfügt über das fünftgrößte Erdölvorkommen der Welt.

Steinmeier warnt vor regionalem Chaos: Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) fürchtet um die Stabilität in der gesamten Region. "Die Lage ist alarmierend, weil die Kämpfe nicht nur den Irak, sondern auch die durch den Syrien-Krieg aus der Balance geratene Region noch weiter in Gewalt und Chaos zu stürzen drohen", sagte Steinmeier der Bild-Zeitung. Trotz der Nähe des Konfliktes zum Nato-Staat Türkei erwartet der Minister aber keinen Nato-Bündnisfall. Bei einer Dringlichkeitssitzung der Nato-Partner am Mittwochabend habe die Türkei "keine Erwartungen an ein Tätigwerden der Nato" geäußert. Auch mit einer Verwicklung der in der Osttürkei zur Abwehr von Raketenangriffen aus Syrien stationierten Soldaten der Bundeswehr in die Kämpfe sei nicht zur rechnen. Das Auswärtige Amt forderte Deutsche zur sofortigen Ausreise aus den eroberten Provinzen auf. Im Irak halten sich demnach mehr als tausend Bundesbürger auf.

Hunderttausende auf der Flucht: Nach Angaben der Organisation Ärzte ohne Grenzen sind rund eine Million Iraker auf der Flucht. Viele versuchten das als stabil geltende kurdische Autonomiegebiet im Nordirak zu erreichen. Allein in Mossul flohen etwa 500 000 Menschen vor den Extremisten. Sie hätten ihre Wohnhäuser aus Angst vor gewalttätigen Übergriffen verlassen, berichtet die Internationale Organisation für Migration (IOM) in Genf. Durch Kämpfe habe es unter der Zivilbevölkerung "eine hohe Zahl von Opfern" gegeben.

Linktipp: Die Ereignisse vom Vortag im Newsblog.

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