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Islamisten nach dem Arabischen Frühling:Netanjahu warnt vor "islamischer Welle"

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Erst brachte der Arabische Frühling demokratische Wahlen - dann gewannen Islamisten in Tunesien und Marokko: Nun richtet Israels Premier Netanjahu seinen Blick auf Ägypten. Sollten sich die favorisierten Muslimbrüder durchsetzen, kündigt er schon mal Konsequenzen an - fürs Budget der Landesverteidigung.

Peter Münch, Tel Aviv

In Ägypten wird gewählt - und in Israel gebangt. Im jüdischen Staat, der sich so lange seiner Sonderrolle als einzige wahre Demokratie im Nahen Osten gerühmt hat, werden die Früchte des arabischen Frühlings als ausgesprochen bitter empfunden. Denn die Demokratie auf arabische Art, das gilt in Jerusalem als ausgemacht, bringt am Ende immer nur die Islamisten an die Macht.

Erst haben sie in Tunesien die Wahl gewonnen, dann in Marokko, und auch in Ägypten ist nun nichts anderes zu erwarten als ein Sieg der Muslimbrüder. "Eine islamische Welle überflutet die arabische Welt nach Jahrzehnten stabiler Regierungen", warnte Premierminister Benjamin Netanjahu laut Medienberichten am Montag im Parlamentsausschuss für Außen- und Sicherheitspolitik. Als Konsequenz aus der neuen Lage, so hatte er tags zuvor schon im Kabinett erklärt, müssten auch die Ausgaben für die Landesverteidigung überdacht werden.

In Gefahr ist aus israelischer Sicht zumindest langfristig der 1979 geschlossene Friedensvertrag mit Ägypten, der über Jahrzehnte sorglose Ruhe an der südlichen Grenze garantiert hatte. Künftig könnte auch hier wieder eine Front zu sichern sein, und das erfordert zusätzliche Einsatzkräfte und Material. Zwar wird auch in Jerusalem darauf verwiesen, dass jede ägyptische Regierung zunächst einmal andere Probleme zu lösen habe: Die innere Lage muss beruhigt und die Wirtschaft stabilisiert werden. Auf die Milliardenzahlungen aus den USA wird dabei niemand in Kairo verzichten können, und dies setzt eine gewisse Kontinuität im Verhältnis zu Israel voraus.

Zugleich aber ist den Israelis bewusst, dass ja nicht nur bei den Muslimbrüdern, sondern auch bei den liberalen und linken Kräften der jüdische Staat als Störenfried und Besatzer gilt. An Warnzeichen hat es nicht gefehlt in jüngster Zeit: Im September hatte ein wütender Mob in Kairo die israelische Botschaft gestürmt, auf dem Tahrir-Platz waren immer wieder und immer lauter auch anti-israelische Parolen zu hören, und bei El-Arisch wurde am Montag bereits zum neunten Mal in diesem Jahr die Pipeline gesprengt, die Gas von Ägypten nach Israel transportiert. Kilometerweit waren die Flammen zu sehen - ein Fanal ist dies für die Beziehungen.

In Jerusalem ist es also die Losung des Tages, sich zu wappnen gegen die ägyptische Gefahr. Längerfristig erfordert das eine neue strategische Ausrichtung, kurzfristig gilt es, die Grenze zum Sinai zu sichern. Hier entsteht derzeit ein gigantischer Grenzzaun - fünf Meter hoch und elektronisch gesichert. Zunächst sollte er angeblich nur illegale Einwanderer stoppen, doch seitdem im August Terroristen hier die Grenze überquerten und acht Israelis töteten, ist er zum anti-ägyptischen Schutzwall geworden.

Bericht über israelische Intervention im Westen

Bis heute trauert man in Jerusalem dem gestürzten Despoten Hosni Mubarak nach, die aktuelle Militärführung gilt immerhin noch als berechenbar. Wenn es nach Israel ginge, dürfte Feldmarschall Mohammed Hussein Tantawi noch lange herrschen - doch das darf natürlich niemand laut sagen. Hektik löste daher ein Bericht der Tageszeitung Maariv aus, laut dem Israel auf westliche Staaten eingewirkt habe, keinen Druck auf Tantawi auszuüben, die Regierung in zivile Hände zu geben. "Das hat es nie gegeben", sagte ein Sprecher des Außenministeriums zur Süddeutschen Zeitung, "wir mischen uns nicht in die inneren Angelegenheiten Ägyptens ein."

Israel ist bemüht, den ägyptischen Massen keine eine neuen Angriffsflächen zu bieten. Auswirkungen hat das bis hin in die Jerusalemer Altstadt. Regierungschef Netanjahu persönlich verschob nun eine lange geplante Baumaßnahme am Tempelberg, wo eine Zugangsbrücke für Nicht-Muslime erneuert werden soll. Es wurde befürchtet, dass dies Krawalle auslöst, die bis nach Kairo Wellen schlagen könnten. Das soll verhindert werden in den Tagen der Wahl. Danach könnte es noch früh genug unruhig werden.

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Quelle:
SZ vom 29.11.2011
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