Ohne den Krieg im Irak und in Syrien hätte Frankreich von diesen jungen Männern wohl nie gehört: der 22-jährige Mickaël Dos Santos, der nette Kerl von nebenan, und der genauso alte Maxime Hauchard, auch er ein Kind der Mittelklasse, Typ Traumschwiegersohn. In einem Video der Terrorgruppe Islamischer Staat (IS) waren die beiden Franzosen im Sommer zu sehen, bärtig, bewaffnet, im Kampfanzug. Sie enthaupteten syrische Soldaten und einen US-Journalisten: Mord im Namen des Kalifen Ibrahim, unter Berufung auf dessen gewaltgetränktes Islam-Verständnis.
Was ihr Denken - und Handeln - angeht, dürften die zwei IS-Franzosen den mutmaßlichen Pariser Attentätern Chérif und Saïd Kouachi nahe sein, die das Massaker in der Redaktion der Satirezeitschrift Charlie Hebdo angerichtet haben: arabischstämmige muslimische Franzosen oder Konvertiten, radikalisiert durch das Internet und fanatische Prediger in Hinterzimmermoscheen in Paris, Bordeaux oder Marseille. Gewalt haben sie kennengelernt beim Dschihad-Tourismus in die Nahost-Kriegsgebiete oder während Gehirnwäschen in den Internet-Chatrooms der Islamistenszene und bei deren praktischer Nachbereitung mit Shooter-Spielen am PC.
Die Mittelklasse-Kinder Dos Santos und Hauchard sind nur zwei der wohl 1100 französischen Dschihadisten, die derzeit im IS-Herrschaftsbereich kämpfen. Ebenso gibt es Kämpfer aus sozialschwachen Milieus. Der Dschihad als großer Gleichmacher steht allen offen, das ersehnte Paradies der Märtyrer ist eine klassenlose Gesellschaft. Ob die Kouachi-Brüder, die das Massaker in der Redaktion des Satiremagazins angerichtet haben, irgendwo im "Heiligen Krieg" gekämpft haben, ist unbekannt: Sympathisiert mit den Dschihadisten im Irak haben sie.
Chérif Kouachi soll Kämpfer für den Kampf gegen die Amerikaner angeworben haben, er wollte selbst in den Irak. Das Video, auf dem sie vor dem Hebdo-Redaktionsgebäude einen Polizisten hinrichten, zeigt sie geübt im Umgang mit Waffen. Sie wirken wie Menschen, die nicht das erste Mal auf andere schießen, und Angst zu sterben werden sie auch nicht haben: Das Paradies wartet.
Gewalt und Kriminalität in verelendeten Arabervierteln
Frankreich hat dieselben Probleme mit militanten Islamisten wie andere europäische Staaten. Aber die Zahl der Dschihadisten ist höher als in Deutschland oder Großbritannien. Und im Unterschied zumindest zu Deutschland zählt Frankreich zu den Ländern, deren Luftwaffe IS-Ziele in Syrien und im Irak bombardieren.
Als Ex-Kolonialmacht in Nordafrika hat das Land schon immer einen größeren Anteil an Muslimen, es gibt eine Reihe sozial verelendeter Araberviertel. In diesen Banlieues macht sich der Unmut in Gewalt und Kriminalität Luft. Und ähnlich wie in anderen EU-Staaten gibt es längst eine von demokratischem Denken und der nationalen Alltagskultur abgekoppelte arabisch-muslimische Parallelwelt, in der eine frustrierte Jugend Anreize in der Religion der Väter sucht, weil die nach Abenteuer schmeckt, wenn sie mit Märtyrer-Heldentum, Krieg gegen die vermeintlichen Heiden und Gewalt gewürzt wird.
Gewalt zwischen europäischen und arabischen Franzosen ist seit dem Algerienkrieg in den Fünfzigerjahren Teil der gemeinsamen Geschichte. Aus dieser Zeit stammen araberfeindliche Zoten wie diese: "Was sagt man zu einem Araber, der in der Mülltonne sitzt? Du bist da drinnen mindestens ein Araber zu wenig." Es sagt viel, dass sie heute wieder verbreitet werden.