Islamisten:Die Schatten der Hydra

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Machtgehabe, inszeniert zu Propagandazwecken: Das von der Terrormiliz in Libyen verbreitete Bild soll aus Sirte stammen. (Foto: AFP)

Wieder soll eine Führungsfigur des Terrors getötet worden sein - ein Ex-Vertrauter Bin Ladens. Doch bisher haben die Netzwerke der Extremisten solche Attacken überstanden.

Von Paul-Anton Krüger, Kairo

Der Mann war eine Schattenfigur, aber längst kein Unbekannter. Mohsen al-Fadhli soll zu den wenigen Menschen gezählt haben, die der frühere Al-Qaida-Chef Osama bin Laden in die Pläne für die Anschläge des 11. September 2001 eingeweiht hatte. Die US-Geheimdienste verfolgten in den folgenden Jahren al-Fadhlis Weg in Diensten des Terrornetzwerks. Mal hielt er sich in der Golfregion auf und versuchte, in seiner Heimat Kuwait Spenden für den Dschihad einzuwerben. Mal versteckte er sich in Iran - laut den dortigen Behörden unter Hausarrest. Gekommen war er wohl über die Grenze von Afghanistan. Mitte des Jahres 2013 tauchte er dann in Syrien auf.

Als die Amerikaner im September dort ihren Luftkrieg gegen die Miliz Islamischer Staat (IS) begannen, schlugen westlich von Aleppo acht Marschflugkörper ein. Sie galten al-Fadhli und seinen Männern; die US-Dienste nannten sie Khorasan-Gruppe. Sie sei für die USA und den Westen mindestens genauso gefährlich, wie die Terrormiliz Islamischer Staat, sagte Generalleutnant Bradley Clapper, der Chef der 17 US-Geheimdienste, dem Kongress. Am 8. Juli nun soll der 34 Jahre alte al-Fadhli dem Pentagon zufolge bei einem Luftangriff einer Drohne nahe Sarmada im äußersten Nordwesten Syriens getötet worden sein.

Spezialisiert auf das Rekrutieren von Selbstmordattentätern aus Ländern des Westens

Die Khorasan-Gruppe ist benannt nach einer historischen Bezeichnung für Zentralasien, die unter Dschihadisten gebräuchlich ist. Sie soll aus 25 bis 100 erfahrenen Al-Qaida-Kadern bestehen. Sie gingen auf Befehl Aiman al-Zawahiris nach Syrien, des Nachfolgers Bin Ladens an der Spitze des Terrornetzwerks, der in Pakistans Stammesgebieten vermutet wird. Zwar schlossen sie sich der Nusra-Front an, dem Ableger der Qaida, der gegen Syriens Staatschef Baschar al-Assad kämpft. Doch ihr Ziel war nicht sein Sturz. Sie sahen in Nordsyrien ein neues, sicheres Rückzugsgebiet, um den Kampf gegen den "fernen Feind" zu planen, wie Bin Laden den Westen nannte.

Die Khorasan-Gruppe versucht, unter den vielen ausländischen Kämpfern Staatsangehörige westlicher Länder für Selbstmordattentate gegen Ziele im Westen zu rekrutieren. Sie können, sofern die Sicherheitsbehörden ihre Reise nach Syrien nicht bemerkt haben, mit ihren Pässen leichter an Bord von Flugzeugen in Europa oder mit Ziel in den USA gelangen. Zugleich soll die Gruppe in Kooperation mit Ibrahim al-Asiri, dem Chef-Bombenbauer des Qaida-Ablegers in Jemen, an neuartigen Sprengkörpern gearbeitet haben, die von den herkömmlichen Scannern an den Flughäfen nicht erkannt werden.

Asiri gilt als Mastermind hinter dem "Unterhosenbomber" Umar Farouk Abdulmutallab, der an Weihnachten 2009 versuchte, eine Flugzeug über Detroit zur Explosion zu bringen - mit Flüssigsprengstoff, den er in seiner Unterwäsche an Bord geschmuggelt hatte. Auch soll Asiri die Kartuschen von Laserdruckern präpariert haben, mit denen al-Qaida im Oktober 2010 versuchte, zwei Frachtflugzeuge auf dem Weg in die USA in der Luft zur Explosion zu bringen. Aus Sorge vor Anschlägen mit solchen neuartigen Bomben sind seit vergangenem Sommer ungeladene Mobiltelefone und Laptops bei USA-Flügen verboten. Die Amerikaner hatten zuvor angeblich Hinweise in der Kommunikation zwischen Qaida-Leuten in Syrien und in Jemen abgefangen.

Der Tod al-Fadhlis gilt Terrorexperten in den USA zwar als schwerer Schlag gegen die Führungsstruktur von al-Qaida. Dass damit die Bedrohung durch die Khorasan-Gruppe gebannt wäre, ist dennoch unwahrscheinlich. Zwar soll al-Fadhli 2002 am Anschlag auf den französischen Tanker MV Limbourg im Golf von Aden beteiligt gewesen sein und auch an einer Attacke auf eine US-Militäreinheit auf der kuwaitischen Insel Failaka. Doch ist nicht klar, ob er zuletzt als Militärkommandant direkt Einfluss auf Operationen hatte oder sich seine Rolle eher auf die eines Predigers und spirituellen Anführers beschränkte.

Zudem hat sich die lose Netzwerkstruktur al-Qaidas als widerstandsfähig gegen die von den Amerikanern angewandet Taktik der gezielten Tötungen von Kadern erwiesen - die völkerrechtlich zweifelhaft ist und von Menschenrechtlern scharf kritisiert wird. In Jemen wurde al-Qaida so zwar in den Untergrund gezwungen. Mit Ausbruch des Bürgerkriegs aber fand sie schnell zu alter Stärke zurück. Im Irak verschwanden mit al-Qaida verbundene Gruppen von der Bildfläche, um Jahre später als IS im Irak mit größerer Durchschlagskraft zurückzukehren.

Der Anführer der inzwischen auch in Syrien aktiven Terrormiliz, Abu Bakr al-Bagdadi, passt laut New York Times inzwischen deren Führungsstruktur so an, dass der Kampf nahtlos weitergehen würde, sollten er oder andere Anführer getötet werden. Er habe Kompetenzen auf Mitglieder des Schura-Rates delegiert, einer Art Kabinett des IS, wie irakische und amerikanische Geheimdienstler unter Berufung auf Unterlagen der Terrormiliz sagten, die ein US-Kommando Ende Mai im Osten Syriens sichergestellt hatte.

Im Irak hielten sich lange Gerüchte, Bagdadi sei im März bei einem Luftangriff schwer verletzt worden und habe deshalb die Tagesgeschäfte an seine Stellvertreter übergeben. Er soll aber auch auf die US-Drohnen-Angriffe in Jemen reagiert haben. Regionalen Feldkommandeuren würden zwar Leitlinien vorgegeben, bei Operationen hätten sie aber große Freiheiten. Damit solle sichergestellt werden, dass nur wenige Kader die gesamte Organisationsstruktur überblicken. Das wiederum soll das Risiko verringern, sollten regionale Kommandeure in Haft geraten.

© SZ vom 23.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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