Islamisten auf der Anklagebank: "Denke daran, später erwartet dich das Jüngste Gericht":Im Dickicht des deutschen Dschihad

Es geht um Terror, Geld und Gewaltverherrlichung - welche Einblicke drei aktuelle Prozesse in die bizarre Welt der Heiligen Krieger geben

Von Annette Ramelsberger

Die Stimme des Angeklagten Rafik Y. kann ganz unvermittelt sehr weich und einfühlsam werden. Wie ein Vater, der sich um seinen ungeratenen Sohn sorgt, redet er dann plötzlich, wie ein Geliebter, der seine Angebetete umschmeichelt. Ganz nah rückt der 31 Jahre alte irakische Kurde an das Mikrophon heran, nimmt es in beide Hände, als wenn er es liebkosen wollte, stellvertretend für den Zeugen, der da vor ihm sitzt. "Friede sei mit dir", raunt Rafik Y. ins Mikrophon. "Bitte sag' die Wahrheit, auch wenn es zu meinem Nachteil wäre." Kaum beginnt der Zeuge zu sprechen, fällt ihm der Angeklagte ins Wort: "Bitte denke daran. Dies heute ist nur ein Gericht, später erwartet dich das Jüngste Gericht."

Man muss kein gläubiger Muslim sein, um das nicht nur als gut gemeinten Rat-schlag eines alten Freundes aufzufassen. "Wir wollen hier nichts hören, was in Richtung Drohung geht", sagt Richterin Christine Rebsam-Bender mit einem Anflug von Strenge. Doch das beeindruckt den Angeklagten nicht sehr. "Unterbrechen Sie mich nicht", keift er die Richterin an, und seine Stimme kippt vom Milden unvermittelt ins Scharfe. "Jetzt bin ich dran. Ich wollte nur an das Jüngste Gericht erinnern."

Vor dem Oberlandesgericht in Stuttgart-Stammheim, in dem Hochsicherheitstrakt, in dem vor Jahren der Roten Armee Fraktion (RAF) der Prozess gemacht wurde, nimmt es der Rechtsstaat nun mit völlig anderen Gegnern auf - sie sprechen nicht mehr wie die RAF vom "Schweinesystem", bei ihnen sind es die "Ungläubigen", die es zu bekämpfen gilt. Sie reden blumig von "Brüdern", empfehlen sich Allah und wünschen sich ständig nur das Allerbeste, doch längst halten die Sicherheitsbehörden sie und den islamistischen Terror für gefährlicher, als es der RAF-Terror je war. Drei Islamisten-Prozesse laufen derzeit gleichzeitig - in Düsseldorf, München und Stuttgart. Zudem soll am Donnerstag in Karlsruhe das Urteil im Prozess gegen Mounir el-Motassadeq fallen, der eng mit der Hamburger Terrorzelle vom 11. September 2001 verbunden war.

Was vor den Gerichten in Stuttgart, München und Düsseldorf erscheint, ist ein Kaleidoskop des deutschen Dschihad, ein Mosaik aus Menschen, die den islamistischen Terror gutheißen, ihn unterstützen oder - wenn sie die Gelegenheit haben - ihn auch auf deutschem Boden ausüben wollen. Jeder an seinem Platz, jeder mit den Möglichkeiten, die ihm zur Verfügung stehen.

Aufstehen nur für Allah

Der Angeklagte Rafik Y. steht nicht auf, wenn das Gericht den Saal betritt. Nie. Am Anfang hat er dafür eine Ordnungsstrafe erhalten, danach wurde seine Weigerung protokolliert. Das alles hat am Verhalten des Angeklagten nichts geändert. Er stehe, so hat er erklärt, nur vor Gott auf, nicht vor einem Gericht. Nun richtet man es so ein, dass Rafik Y. erst so kurzfristig in den Saal geführt wird, dass ihm stehend noch die Handschellen abgenommen werden, während das Gericht schon erscheint.

Dem Mann wird vorgeworfen, dass er im Dezember 2005 ein Attentat auf den damaligen irakischen Premierminister Iyad Allawi verüben wollte, der gerade auf Staatsbesuch in Berlin weilte. Mit einer Pistole sollte der Politiker erschossen werden. Rafik baldowerte die Fahrtroute aus, hielt sich in der Nähe der Deutschen Bank auf, wo Allawi auftreten wollte. Dann holte er sich von seinen Freunden, dem 32 Jahre alten Iraker Ata R. aus Stuttgart und dem 24 Jahre alten Augsburger Studenten Mazen H., die Erlaubnis, losschlagen zu dürfen. Davon ist die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe überzeugt. Und sie glaubt, dafür gute Beweise zu haben. Denn die Telefone der drei Angeklagten wurden abgehört, die Tatvorbereitung wurde quasi live verfolgt. Am Donnerstag soll nun ein V-Mann aussagen, der erklärt, Rafik Y. habe ihm erzählt, er habe die Erlaubnis für den Anschlag bekommen. Als Hintermann der geplanten Tat gilt der Stuttgarter Ata R., der einer der Anführer der irakischen Terrororganisation Ansar al-Islam in Deutschland sein soll. Im Vordergrund allerdings steht Rafik Y.

"Sie haben erklärt, Rafik freue sich, wenn er im Fernsehen sieht, dass Amerikaner sterben", hält Oberstaatsanwältin Silke Ritzert dem Zeugen vor, der heute aus Berlin angereist ist. Salaheedin R. heißt er, 40 Jahre alt, Muslim, Vater von fünf Kindern. "Jeder freut sich über solche Nachrichten", sagt der Zeuge. "Und Sie haben nie mit Rafik über Anschläge in Deutschland geredet", fragt die Staatsanwältin. "Hört auf mit dem Blödsinn", ruft Rafik Y. dazwischen. "Er hat schon vier Mal nein gesagt. Sie dürfen als Staatsanwältin nicht lügen", zischt er Ritzert an. "Ich lüge nicht", gibt sie kühl zurück und fragt den Angeklagten: "Warum werden Sie so nervös?" Dann wendet sich Rafik Y. direkt an den Zeugen: "Glaubst du, dass ich in der Lage bin, einen Menschen zu töten?" Der Zeuge sagt: "Sei nicht sauer, wir haben dich niemals ernst genommen." - "Das heißt: Ich bin nicht der Mann, der töten kann", fragt Rafik Y. "So habe ich geantwortet", erwidert Ramadan.

Prediger mit Pferdeschwanz

Rafiks Anwalt Reinhard Kirpes gefällt die Art der Beweisführung nicht. "Da werden Zeugen gefragt, wie sie zum Einmarsch im Irak stehen - aber selbst Nichtbetroffene in Deutschland sind darüber empört", sagt der Anwalt. Daraus könne man doch nichts folgern. "Und wenn Rafik sich zu seiner Einstellung zu Frauen und Homosexuellen äußern soll, dann ist die Antwort nicht anders, als wenn Sie in einem durch und durch katholischen Dorf nachfragen." Nur dass der Angeklagte Rafik Y. ein wenig impulsiver agiert. Im Gefängnis hat er in einem Wutanfall durch einen Tritt einem Wachtmeister die Rippen gebrochen.

Unruhe erfüllt den Mann, Eifer. Er steht mehr als er sitzt. Wild spricht er auf seinen Anwalt ein, die Haare fallen ihm ins Gesicht, der spitze schwarze Bart stößt nach vorn. Immer wieder springt er auf. Stellt Fragen. Bis spät in den Abend. Noch während er jetzt seine Einlassungen auf Arabisch formuliert, unterbricht die Richterin. "Diese Frage lasse ich nicht zu", sagt sie. Deutlich war schon das Wort "SS-Männer" zu hören. Doch Rafik Y. macht trotzdem weiter. "Wurde der Zeuge in der Art und Weise von SS-Männern verhört, die Juden töteten? Wurde er bedroht?", übersetzt der Dolmetscher.

Anwalt Kirpes stöhnt auf. Doch Rafik Y. lässt das Mikrophon nicht los. "Wollte der Vernehmer dich gegen deinen Willen zur Aussage zwingen?", wendet er sich direkt an den Zeugen. "War die Art der Fragen wie die der Henker von Saddam Hussein?" Hilfesuchend wendet sich der Zeuge an die Richterin. "Soll ich antworten?" - "Antworten Sie", seufzt sie, genervt und ergeben zugleich. Der Zeuge räuspert sich, dann sagt er: "Der Vernehmer hatte einen harten Ton zu fragen, aber es ist nicht zu vergleichen mit Leuten von Saddam." - "Hattest du das Gefühl, er ist stolz, Islamisten zu erniedrigen?", setzt Rafik nach. "Nein", sagt der Zeuge.

Im Dickicht des deutschen Dschihad

Die Richterin und ihre vier Beisitzer behandeln Rafik wie einen Schwererziehbaren, dessen Provokationen man am besten nicht ernst nimmt. Das kann man geschickt finden, wenn es darum geht, einen Prozess schnell und ökonomisch voranzubringen - oder aber verheerend, wenn es darum geht, Angeklagten die Ernsthaftigkeit und Autorität deutscher Gerichtsbarkeit vorzuführen.

Die Gefahr durch mögliche Attentäter in Deutschland steigt, sagen Sicherheitsexperten, doch sie werde gleichzeitig immer diffuser. Mal versucht ein islamistischer Einzeltäter in den Springer-Verlag einzudringen, um den Chefredakteur der Welt wegen des Abdrucks von Mohammed-Karikaturen zu töten. Mal tun sich junge, in Deutschland geborene Türken zusammen und überlegen, wie sie einen Anschlag auf ein Nena-Konzert verüben könnten. Mal stellen libanesische Studenten Kofferbomben in deutsche Züge, mal kann man nur erahnen, dass Leute gemeinsam unter einer Decke stecken, die offenbar Gefährliches verbirgt. Zum Beispiel, wenn der Zeuge Salaheedin R., der in Stuttgart nichts Böses gegen seinen alten Freund Rafik Y. sagen wollte, eigenartigerweise auch bei einem anderen Terrorprozess ganz nah am Geschehen dran war. Damals, 2004, ging es darum, dass ein Tunesier zu Beginn des Irak-Krieges eine Bombe in Berlin zünden wollte. Bauanleitung und Chemikalien hatte er schon zusammen, Helfer suchte er noch. Der Zeuge Salaheedin R. kannte auch diesen Angeklagten gut. Natürlich nur zufällig. "Erstaunlich viele Zufälle", sagt Oberstaatsanwältin Ritzert.

Nur manchmal gelingt es, ein wenig unter die Decke zu leuchten. Es sind ganz unterschiedliche Gestalten, die dann im Lichtkegel der Gerichte stehen - ein islamistischer Heißsporn in Stuttgart, aber auch zwei Medizinstudenten in Düsseldorf, die perfekt Deutsch sprechen und aussehen wie seriöse Schwiegersöhne. Und dennoch wollten sie 33 Lebensversicherungen in Millionenhöhe abschließen, einen Autounfall vortäuschen und das erschlichene Geld dann nach Ansicht der Anklage dem Heiligen Krieg und der Terrororganisation al-Qaida zukommen lassen. Oder der Nürnberger Prediger Izzat D. und der Spendensammler mit dem in der Szene bekannten Alias-Namen Kawa Hamawandi, die in München vor Gericht stehen.

Izzat D. ist ein großer, schlanker Mann von 41 Jahren, der einen mit grauen Fäden durchzogenen Pferdeschwanz trägt. Sanfte Augen hat er und ein spöttisches Lächeln, das sehr gewinnend wirken kann. Offenbar weiß er es einzusetzen. Wie sich vor dem Münchner Oberlandesgericht herausgestellt hat, ist der Mann begehrt. Izzat D. ist aus der ehelichen Wohnung, in der seine Frau mit den Kindern lebt, ausgezogen. Eine Freundin von ihm trat vor Gericht auf und erklärte, sie habe sich nach einem Jahr wegen seiner ständigen Frauengeschichten wieder von ihm getrennt. Der Mann wirkt dominant - auch auf Männer. Ein deutscher Mithäftling entschloss sich sogar, den Fastenmonat Ramadan einzuhalten und tagsüber nichts zu essen, um nur ja nicht seinen Unmut herauszufordern.

Denn der Frauenschwarm Izzat D. hat noch andere Interessen: den Heiligen Krieg. Nach den Anschlägen auf Vorortzüge in Madrid rechtfertigte der Prediger öffentlich das Töten von Zivilisten und forderte dazu auf, sich aktiv dem Heiligen Krieg zu widmen. Auf der Festplatte seines Computers fand die Polizei 216 Videos mit Enthauptungen westlicher Geiseln im Irak, Erschießungen und Folterungen. Der Kommissar, der das vor Gericht vortrug, sprach von minutenlangen grauenvollen Einstellungen, von um Gnade flehenden Geiseln und von deutlichen "Schneidegeräuschen", die zu hören waren, als Menschen der Kopf abgetrennt wurde.

Unklar ist, ob Izzat D. diese Videos auch Kindern und jungen Leuten vorgeführt hat. Sicher ist, dass einer seiner Söhne eines Tages auf dem Schulhof erschien und mit diesen Videos angab. Und dass auch fremde Kinder in der Wohnung vor dem Computer saßen.

Im Dickicht des deutschen Dschihad

Die Angst des Zeugen

An diesem Prozesstag tritt in München der Zeuge Lokman Mohammed auf - er ist ein alter Bekannter der Richter. Anfang des Jahres haben sie ihn zu sieben Jahren Haft wegen Mitgliedschaft in der terroristischen irakischen Vereinigung Ansar al-Islam verurteilt. Die Strafe hielt sich auch deshalb in Grenzen, weil Lokman zusagte, in weiteren Prozessen auszusagen - vier Mal war er schon in Stuttgart und hat über die Struktur der Terrorgruppe ausgesagt, er war in Düsseldorf, nun spricht er auch in München. Anders als in Stammheim oder in Düsseldorf, wo die Gerichtssäle in ihren Dimensionen eher überdachten Fußballfeldern ähneln, sitzt man hier fast intim zusammen.

Würde sich der Angeklagte Izzat D. ein wenig nach vorne beugen, könnte er Lokman sehr schnell zu fassen kriegen. Deswegen hat der Vorsitzende Richter eine halbhohe Plexiglasscheibe zwischen Angeklagten und Zeugen errichten lassen, um zumindest ein wenig Schutz zu bieten. "Der Zeuge ist hochgradig gefährdet", betont Richter Bernd von Heintschel-Heinegg. Nicht einmal seine Anwälte wissen, wo er einsitzt, vermutlich trägt er in Haft sogar einen anderen Namen. Denn die Behörden befürchten, dass ihm seine früheren Gesinnungsfreunde nach dem Leben trachten. Wenn nicht jetzt, dann später.

Dabei sieht es ganz friedlich aus im Saal B177 des Münchner Justizzentrums. Sogar ein wenig familiär. Im Zuschauerraum sitzt, keine drei Meter von ihrem Mann entfernt, die Frau des zweiten Angeklagten Kawa Hamawandi, der wegen Spendensammlung für die Ansar al-Islam angeklagt ist. Sie lässt ihren Mann nicht aus den Augen - soweit man das erkennen kann. Denn sie trägt nicht nur Kopftuch und einen bodenlangen Mantel, sondern auch schwarze Handschuhe und einen Schleier, der ihr nur einen Sehschlitz lässt.

Die Terrorgruppe, die ihr Mann nach Auffassung der Anklage unterstützt, will die Scharia einführen, Frauen sollen für Ehebruch gesteinigt werden, das Fernsehen war in dem von ihr vor dem Irak-Krieg kontrollierten Gebiet im Nordirak verboten, Musik auch und selbst Verpackungen, auf denen Frauen abgebildet waren, durften nicht verkauft werden. So sieht die Welt aus, für die Heilige Krieger kämpfen.

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