Islamismus:Das Staatswesen erinnert an das der Taliban in Afghanistan

"Ich erkenne in Raqqa, dass der Islamische Staat eine klare Vorstellung davon hat, wie er ein reales Staatswesen bauen kann", sagte der Lehrer der New York Times. Es gebe eine "Islamische Behörde" mit Scharia-Gericht und Polizei, eine Steuerstelle, die von Ladenbesitzern knapp 17 Euro monatlich erhebt.

So entsteht dort ein Staat, ähnlich dem der Taliban im Afghanistan der späten Neunzigerjahre: Streng islamisch, mit primitiven staatlichen Leistungen, aber hoher öffentlicher Sicherheit. Dies führte in Afghanistan anfangs zu einer relativ hohen Akzeptanz des Regimes der Steinzeit-Islamisten.

Befehl zur Genitalverstümmelung?

Zuzutrauen ist ihnen alles, aber es ergibt wenig Sinn: Nach Angaben der Vereinten Nationen hat die militante Islamistenorganisation "Islamischer Staat" (IS) angeordnet, alle Frauen im Alter zwischen elf und 46 Jahren in ihrem Herrschaftsbereich beschneiden zu lassen. Dies behauptete laut der Nachrichtenagentur AFP die stellvertretende UN-Gesandte im Irak, Jacqueline Badcock. Sie sagte, die brutale Anordnung bedrohe bis zu vier Millionen irakischer Frauen. Sie werde begründet mit der Fatwa eines Islamgelehrten. Badcock nannte in einer Videokonferenz im irakisch-kurdischen Erbil keine Details dieses angeblichen religiösen Gutachtens. Es wurde offenbar über den Kurznachrichtendienst Twitter verbreitet. Die Echtheit und die Urheber ließen sich unabhängig zunächst nicht feststellen.

Dem Islamischen Staat nahestehende Aktivisten bestritten laut der englischsprachigen Internetseite von Al-Jazeera den Erlass. Mit einer erzwungenen Massenverstümmelung von Frauen und Mädchen würden sich die radikalen Islamisten weite Teile der extrem konservativen sunnitischen Bevölkerung in ihrem gerade erst gegründeten Kalifat zum Feind machen. Die Frauenbeschneidung, eine Verstümmelung der weiblichen Geschlechtsorgane, ist in Teilen der arabischen Welt und in Afrika bis heute verbreitet. Dies gilt besonders für Ägypten und den kurdischen Teil des Nordirak. In anderen arabischen Ländern ist diese vor-islamische, pharaonisch-afrikanische Tradition seltener. Eine Minderheit islamischer Gelehrter behauptet, es sei eine bindende islamische Vorschrift. Der Islamische Staat hatte in einer Blitzoffensive weite Teile des Nordwest-Irak überrannt und ein "Kalifat" ausgerufen. Als erstes vertrieben die Kämpfer dort lebende Christen. Tomas Avenarius

Anders als die Taliban kann der IS sein krudes Gemeinwesen leicht finanzieren: Bei der Eroberung Mossuls und weiter Teile des Nordwest-Irak soll den Islamisten angeblich fast eine halbe Milliarde Euro an staatlichen Geldern aus Bagdad in die Hände gefallen sein. Auch wenn Experten das bezweifeln, kommt auch aus anderen Quellen genug Geld in die IS-Kasse.

Islamisten verkaufen Öl an die syrische Regierung, gegen die sie kämpft

Mindestens vier kleine Ölfelder befinden sich im Irak in den Händen der Islamisten. Das im Irak geförderte Rohöl wird laut Nachrichtenagentur Reuters in primitiven mobilen Raffinerien in Syrien aufbereitet, dann in beiden Ländern verkauft: Die Militanten haben im Kalifatgebiet das Monopol auf Benzin. Sie verkaufen den Sprit über dem im Irak subventionierten Preis, in Mossul kostet der Liter Sprit nun gut einen Euro.

Auch in Syrien kontrolliert IS rund um Deir ez-Zor Ölfelder: Schon vor Monaten war berichtet worden, dass die Islamisten den Rohstoff sogar an die syrische Regierung verkauft, gegen die sie kämpft. Jetzt geht das Öl als Benzin wohl vor allem in den Irak: "Lastwagen mit irakischen Nummern kamen in den vergangenen Tagen und holten Öl für den Westirak", meldete die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte, die über die Vorgänge in den Rebellengebieten informiert ist.

Auch Schmuggler sind Teil des Öl-Geschäfts

Das Geschäft mit dem IS lohnt: Auf dem Weltmarkt kostet ein Fass Rohöl 100 Dollar, IS verkauft es angeblich für 20 bis 40 Dollar. "Die Laster gehören irakischen Geschäfsleuten, die jetzt in Syrien Öl von IS kaufen", so die Beobachtungsstelle.

Reuters berichtet, dass auch türkische Schmuggler sich am Geschäft beteiligten. Ölschmuggel über die irakisch-türkische Grenze war schon während des internationalen Sanktionsregimes gegen die Saddam-Diktatur ein Millionengeschäft. Angeblich geht die irakische Armee inzwischen mit der Luftwaffe gegen das grenzüberschreitende Ölgeschäft vor.

Aber auch sonst wird mit dem Kalifat groß verdient: Die irakischen Kurden etwa zählen zu den erbitterten IS-Gegnern. Dennoch sollen die Gotteskrieger bis vor kurzem beim nun angeblich unterbundenen Schmuggelgeschäft mit IS-Öl ins Kurdengebiet umgerechnet knapp eine Million Euro verdient haben - täglich.

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