Süddeutsche Zeitung

Islamismus:Verschollen am Hindukusch

Noch vor einem Jahr drohten sie Deutschland mit Attentaten, inzwischen sinkt jedoch ihre Kampfmoral: Die Szene deutscher Islamisten in Afghanistan ist geschwächt - und von konkreten anscheinend Anschlagsplanungen weit entfernt.

Hans Leyendecker

Vor ziemlich genau einem Jahr drohten islamistische Terroristen im Internet mit Anschlägen in Deutschland für den Fall, dass sich die Bundeswehr nicht aus Afghanistan zurückziehe. Trotz eines Ultimatums, das am 11. Oktober 2009 ablief, ist dann nichts passiert. Jetzt kommt vom Hindukusch die Nachricht, der aus Hamburg stammende und in Kabul festgenommene Islamist Ahmad S. habe bei Verhören in dem berüchtigten US-Militärgefängnis Bagram über Anschlagsszenarien in Deutschland sowie in benachbarten europäischen Ländern gesprochen: "Terrorismus - Angst vor Anschlägen" schreibt ein Wochenmagazin.

Der Begriff Angst umschreibe den Sachverhalt "nicht richtig", sagt ein hochrangiger deutscher Sicherheitsbeamter. Es gebe für die Behörden "immer Grund zur Vorsicht, aber auch nicht mehr". Eine Gefahr bestehe allerdings weiterhin für Deutsche beispielsweise in Nordafrika oder im Jemen, weil die dortigen Terrororganisationen sehr aktiv seien. Der 36-jährige Deutschafghane Ahmad S. fiel den Behörden bereits im Umfeld des wegen Beteiligung an den Anschlägen in den USA verurteilten Mounir al-Motassadeq als Sympathisant auf. Auch besuchte er die vor kurzem geschlossene Taiba-Moschee in Hamburg.

In der Moschee hatten einst die Verschwörer des 11.September verkehrt. Für Ahmad S. und die anderen in der Moschee haben sich diverse Nachrichtendienste interessiert. Der Hamburger Verfassungsschutz hatte das Gebäude verwanzt, auch V-Leute waren eingeschleust worden. Es soll Mitschnitte heimlich abgehörter Gespräche geben, in denen Ahmad S. spekulierte, wer in seinem Umfeld vermutlich ein Spion sei. Im März 2009 verschwand er mit seinem Bruder, seiner Frau und anderen Hamburgern in Richtung Hindukusch und wurde fortan in einem Ausbildungslager und dann an der Front vermutet.

Die Kampfmoral ist gesunken

Knapp 80 aus Deutschland stammende Islamisten sollen in den vergangenen Jahren eine paramilitärische Ausbildung in solchen Terrorcamps absolviert haben. Nach Meinung des hochrangigen Sicherheitsbeamten, der anonym bleiben möchte, ist es "nicht ganz auszuschließen, dass dort über Attentate geredet wird", aber es sei "derzeit ziemlich unwahrscheinlich, dass sie konkrete Planungen machen".

Seit den Attentaten in Madrid und London 2004 und 2005 haben islamische Terroristen keinen Anschlag mehr in Europa verübt. Die Szene agiert weit unprofessioneller als oft beschrieben. Die Dschihadisten stehen im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet unter wachsendem Verfolgungsdruck. Ihnen droht Gefahr von den Drohnen der CIA, von Spezialkommandos, aber auch von Spitzeln.

Die Kampfmoral derjenigen, die sich an die Front wagten, ist zurückgegangen. In den vergangenen Monaten wurden mindestens vier deutsche Kämpfer bei Gefechten erschossen. Der Bekannteste war der Saarländer Eric Breininger, der angeblich auf dem Weg nach Deutschland war, um Anschläge vorzubereiten. Er stieg hierzulande zum Staatsfeind auf. Sein Foto hing an jedem deutschen Flughafen und in vielen Bahnhöfen, aber er hat den Hindukusch nie mehr verlassen. Eine Art Tagebuch, das nach seinem Tod veröffentlicht wurde, war ein Dokument des Zweifels.

Auch Ahmad S. soll - trotz des in diesen Kreisen üblichen Schwadronierens vom Märtyrertod - bei seiner Festnahme erleichtert und resigniert zugleich gewesen sein.

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SZ vom 06.09.2010/mob
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